Interview

Grundstücke in München: CSU-Minister Christian Bernreiter zofft sich mit Reiter – "Wenn ihr vom hohen Ross runterfallt"

Es brennt beim Wohnen, beim Bauen und beim Verkehr sowieso: Die AZ hat mit Bayerns Bauminister Christian Bernreiter (CSU) über das Deutschland-Ticket, die GDL-Streiks und die Zweite Stammstrecke in München gesprochen. So viel Hoffnung kann er Pendlern und Mietern machen.
von  Heidi Geyer, Christina Hertel
Christian Bernreiter auf dem Dach des Bau- und Verkehrsministeriums in München.
Christian Bernreiter auf dem Dach des Bau- und Verkehrsministeriums in München. © Bernd Wackerbauer

München - Der 59-jährige Christian Bernreiter war Landrat von Deggendorf, bevor er 2022 zum Minister für Wohnen, Bau und Verkehr in Bayern berufen wurde. Der gelernte Ingenieur für Stahlbau ist CSU-Bezirksvorsitzender in Niederbayern.

AZ: Herr Bernreiter, im Landtag kursiert der Spruch: "Als Landrat ein Fürstchen, als Minister unter Söder ein Würstchen." Kommt Ihnen der bekannt vor?
CHRISTIAN BERNREITER: Nein, gar nicht. (lacht)

Man munkelt, es sei ein gewisser Umgewöhnungsprozess gewesen, als Sie vom Landrat – mit vielen Freiheiten – zum Minister geworden sind.
Ich habe hier ein tolles Team im Ministerium, das ich, wie damals mein Team im Landratsamt, ins Herz geschlossen habe. Aber ich musste mich schon umgewöhnen. In der Kommunalpolitik habe ich als Landrat zu 95 Prozent einstimmige Beschlüsse bekommen. Da besteht ein gemeinsames Interesse – das kann ich im Landtag nicht feststellen. Da wird vieles schlecht geredet und das war erschütternd für mich.

Es wurde auch gelacht: Bernreiter im Gespräch mit den AZ-Redakteurinnen Heidi Geyer (Mitte) und Christina Hertel.
Es wurde auch gelacht: Bernreiter im Gespräch mit den AZ-Redakteurinnen Heidi Geyer (Mitte) und Christina Hertel. © Bernd Wackerbauer

Im Wahlkampf 2018 versprach die CSU 10.000 Wohnungen bis 2025 zu bauen. Fertig werden aber wohl nicht mal 700. Haben Sie ein schlechtes Gewissen, wenn die CSU so ihre Wahlversprechen bricht?
So schlecht schaut es nicht aus. Ich habe heute früh den neuesten Quartalsbericht von Bayernheim bekommen: Wir haben zum Jahresende 2023 8350 Wohnungen unter Dach und Fach.

Was heißt unter Dach und Fach? Schon gebaut?
Nein, Corona und der Ukraine-Krieg haben uns auch getroffen. Aber unsere staatlichen Wohnungsbaugesellschaften haben letztes Jahr über 500 Millionen investiert. Die Bayernheim hat aktuell 267 Wohnungen fertig. Knapp 1800 sind in Bau und mehr als 6300 sind in Planung und Entwicklung.

Bayerns Bauminister Christian Bernreiter: So viele neue Wohnungen wird es in München geben

Wie viele werden dann tatsächlich fertig bis 2025?
Wie viele zum 31. Dezember 2025 fertig sind, kann man jetzt nicht konkret voraussagen. Aber die 10.000 werden unter Dach und Fach sein. Wir sind sehr, sehr gut unterwegs. Ab Januar 2023 haben uns private Bauherren und Kommunen gefragt, ob wir uns an ihren Projekten beteiligen oder sie übernehmen würden, weil sie es nicht mehr machen können. Immobilienfirmen sind reihenweise in die Insolvenz gegangen. Da haben wir im vergangenen Jahr viel ermöglichen können.

Das sind also keine neuen Projekte, sondern der Freistaat hat sie von der Privatwirtschaft übernommen?
Wir haben das Grundstück und den Plan übernommen. Ohne uns wären die nicht gebaut worden.

Wie viele Wohnungen entstehen in München?
Bei der Bayernheim sind in München rund 420 Wohnungen an der Hochmuttinger Straße und im Alexisquartier in Planung (Anm. d. Red. Feldmoching-Hasenbergl und Perlach). Außerdem sanieren wir über 1000 Wohnheimplätze in der Studentenstadt. Bei der Stadibau sind über 1100 Wohnungen in München in Bau. Das größte Projekt ist das südliche Oberwiesenfeld beim Justizpalast. Da bauen wir 611 Wohnungen. Letztes Jahr haben wir auch am McGraw-Gelände in Giesing gestartet. Da bauen wir rund 260 Wohnungen und ein Appartementhaus mit rund 300 Zimmern.

Die McGraw-Kaserne ging Anfang der 90er Jahre an den Freistaat. Warum hat der Freistaat seine Hauptstadt so lange beim Wohnungsbau vernachlässigt?
Für ein so großes innerstädtisches Grundstück dauert es, bis mit der Stadt das Baurecht geklärt ist. Natürlich haben wir auch einen Architektenwettbewerb durchgeführt. Auch das nimmt Zeit in Anspruch.

Christian Bernreiter ist optimistisch, dass die Alte Akademie in München zu gutem Ende geführt wird

Statt mit Wohnungsbau fällt der Freistaat in München eher damit auf, dass er Grundstücke der Privatwirtschaft überlässt. Sieben Fußballfelder hat er in den vergangenen zehn Jahren in München verkauft. Hat die CSU die Großstädter als Wählerklientel schon aufgegeben?
Nein, aber wir haben ganz Bayern im Blick und mir ist die wirtschaftliche Entwicklung sehr wichtig. Ich kann die negativen Kommentare beim Verkauf des Apple-Grundstücks nicht verstehen. Ich habe – Gott sei Dank – Dieter Reiter überzeugen können. Am Anfang hat er gesagt: Was kommst du mit Apple? Die 1000 Mitarbeiter, die brauchen Wohnungen. Ich hab zu ihm gesagt: Wenn ihr von dem hohen Ross, auf dem ihr sitzt, runterfallt – diesen Aufschlag überleben wir nicht.

Die Alte Akademie hat der Freistaat in Erbpacht an Benko vergeben. Er ist inzwischen pleite und in der Innenstadt ist eine Baustelle, von der keiner weiß, wie sie endet. Ist der Freistaat auf einen Blender reingefallen?
Da wären dann sehr viele einem Blender aufgesessen. Ich bin optimistisch, dass die Immobilie "Alte Akademie" zu einem guten Ende geführt wird.

Wie denn?
Da bin ich außen vor. Denn der Freistaat hat momentan noch gar kein Zugriffsrecht, weil die Insolvenz noch gar nicht eröffnet ist. Erst dann hätten wir eine Möglichkeit, den Heimfall auszuüben.

Es heißt, es gilt als unwahrscheinlich, dass die Immobilie an den Freistaat zurückgeht.
Wir müssten eine Vergütung zahlen. Aber was dort gebaut wird, ist keine Staatsaufgabe. Deshalb haben wir ein Interesse daran, dass ein Investor baut und die Innenstadt belebt.

Ziehen Sie aus dem Ganzen die Konsequenz, keine solchen Grundstücke mehr abzugeben?
Wirtschaft ist immer mit einem Risiko behaftet. Man muss immer den Fall betrachten. Ein Kaufhaus zu betreiben, zum Beispiel, ist allerdings keine Staatsaufgabe.

Wenn man mit Münchner Stadträten spricht, wenn gerade etwas nicht klappt, heißt es oft: Der Freistaat ist schuld. Was könnte das Münchner Rathaus besser machen?
Beim Wohnungsbau?

Zum Beispiel.
Wenn man auf so eine glorreiche Idee kommt, Bauherren mit der Sobon (Sozialgerechte Bodennutzung, Anm. d. Red.) dazu zu verpflichten, 60 Prozent geförderten Wohnungsbau zu bauen, muss man sich nicht wundern, wenn dann gar kein Wohnungsbau mehr stattfindet. Ich glaube, da haben sich sogar schon im Münchner Rathaus ein paar Fragezeichen ergeben. Man darf das Privatinvestment nicht verteufeln. Man muss schauen, dass private Investoren auch Mietwohnungen bauen und dass Eigentum weiter gefördert wird. Sozialistische Gedanken funktionieren nicht. Sie treiben im Gegenteil die Mieten insgesamt nach oben.

Und beim Verkehr – was macht da das Rathaus falsch?
Ich bin nicht verantwortlich für kommunale Angelegenheiten. Die Zusammenarbeit mit dem Oberbürgermeister ist sehr gut. Wir haben ein gleiches Verständnis – auch, weil ich lange Landrat war. Wir haben natürlich unterschiedliche Ansätze, aber wir haben das gleiche Interesse und in einer Metropole wie München lohnt es sich, auf den ÖPNV zu setzen.

Zweite Stammstrecke in München: Das Fiasko um die zweite Röhre

Die Zweite Stammstrecke in München ist auch noch so eine Baustelle. Als Sie Minister geworden sind, wie schnell haben Sie gemerkt, dass es dort Probleme gibt?
Sehr schnell, weil ich natürlich aus meinem Ministerium informiert wurde, dass die Bahn hier mauert.

Viele Pendler stehen sich die Füße platt. Sie haben Verbesserungen versprochen. Warum ist es so schwer, etwas zu ändern?
Die Stammstrecke ist so überlastet, da sind Verbesserungen nur noch beschränkt möglich. Da kann man leider nicht viel machen. Verbesserungen bedürfen in der Regel baulicher Eingriffe, und zusätzliche Baumaßnahmen würden weitere Störungen bewirken. Allein durch die bereits geplanten Baumaßnahmen: Es wird wieder Nachtsperrungen geben, allein schon, weil das Material auf die Baustelle geliefert werden muss. Wir haben viele Verbesserungen an der S-Bahn auf den Weg gebracht, etwa durch das Programm "Starke S-Bahn München – Programm 14plus". Da ging es um 14 Verbesserungen – jetzt sind wir schon bei deutlich über 20 Maßnahmen. 500 Millionen Euro investiert die DB in eine Qualitätsoffensive, außerdem eine Milliarde Euro für Angebots- und Infrastrukturverbesserungen, von der der Freistaat 40 Prozent bezahlt. Und wir haben die Zusage von der Bahn, dass München der nächste digitale S-Bahn-Knoten wird.

Wo liegt der Vorteil in einem digitalen S-Bahn-Knoten?
Es gibt ein neues europäisches System namens ECTS, das ich mir in Österreich auf der Strecke zum Brenner in einer Güterlok schon mal angeschaut habe. Da läuft viel automatisiert in sehr kurzen Zeitabständen, was gerade bei den dicht getakteten S-Bahnen eine deutliche Qualitätsverbesserung erwarten lässt. Die Technologie ist auch energieeffizienter.

Viele Pendler wären schon froh, wenn der Zug überhaupt kommt. Ist es dann gerechtfertigt, wenn die Bahnvorstände hohe Boni bekommen?
Ich mische mich da nicht ein, das ist Sache des Aufsichtsrats. An Stammtischen kann man das diskutieren. Das verstehe ich gut. Fakt ist: Das System ist auf Verschleiß gefahren. Meiner Meinung nach liegt es an der Bahnreform.

Wobei es ja einige CSU-Verkehrsminister gab.
Ja, aber Finanzminister waren immer andere. Zumal die Bahnreform unter Gerhard Schröder geschehen ist. Ich war schon immer der Meinung, dass es kritisch ist, Infrastrukturprojekte zu privatisieren. Das ist oft schlecht für den ländlichen Raum, weil es sich dort nicht rechnet.

Lokführer-Streik trifft auch München: GDL muss in der Realität ankommen

Ist das, was die GDL zurzeit macht, noch eine legitime Tarifverhandlung?
Als Politiker mische ich mich da eigentlich nicht ein. Aber ich sage trotzdem was: Wir stehen im internationalen Wettbewerb und ich bezweifle, dass wir bei kürzeren Arbeitszeiten und höheren Löhnen noch wettbewerbsfähig sind. Die Bahn spricht von einer Tarifsteigerung von 50 Prozent, aber das passt nicht in die Zeit. Ich würde dafür plädieren, in der Realität anzukommen.

Wundert es Sie, dass so viele Leute mit dem Auto nach München kommen angesichts der ganzen Bahn-Probleme?
Wenn es nicht anders geht – ich sehe das ja auch bei meinen Mitarbeitern. Wenn es einen wichtigen Termin gibt, fahren sie lieber mit dem Auto oder gehen, wenn es virtuelle Termine sind, an den Tagen ins Homeoffice. Dafür habe ich Verständnis.

Wie viel Verständnis haben Sie dann dafür, dass das Münchner Rathaus so viele Parkplätze streicht und damit Autofahren immer unbequemer macht?
Das ist eine kommunale Aufgabe. Ich habe eher wenig Verständnis, dass man in München so aktiv gegen das Auto arbeitet. Ich hab mal spaßeshalber zum Dieter Reiter gesagt: Wenn da alle nur noch mit dem Lastenrad reinfahren sollen, kommen wir Niederbayern halt nicht mehr zum Aufbau der Stadt München. Wenn alles pünktlich funktionieren würde, bin ich überzeugt, dass viel mehr Menschen auf den ÖPNV umsteigen würden.

Haben Sie dann noch eine Idee, wie man die Pendlerströme in den Griff bekommen könnte?
Wenn wir gefragt werden, unterstützen wir gern und schauen, wie wir das hinbringen. Aber ansonsten bin ich nicht der Vordenker für die bayerischen Kommunen. Das hätte ich mir als Landrat verbeten, wenn ich andauernd Ratschläge bekommen hätte.

Aber bei München geht es nicht um irgendeinen Landkreis, sondern um eine Stadt, in die jeden Tag eine halbe Million Menschen einpendeln.
Deshalb geben wir sehr viel Geld für München aus. Aber die Entscheidung ist immer eine kommunale. Deshalb muss die Stadt bei uns einen Antrag einreichen. Alles was sinnvoll ist, werden wir weiter unterstützen.

Christian Bernreiter (CSU): Künftig wohl teureres Deutschland-Ticket

Wie geht es mit dem Deutschland-Ticket weiter?
Wir haben ein großes Interesse, dass es fortgeführt wird. Aber eine dauerhafte Finanzierung vom Bund muss geklärt werden. Das sieht übrigens auch mein grüner Kollege aus Baden-Württemberg so – wir arbeiten sehr gut zusammen. Bis heute weiß das keiner! Ich hatte Mathe-Leistungskurs und wundere mich. Da gibt man ein Gutachten in Auftrag und sagt, jetzt rechnet mal, was kann man für drei Milliarden Euro für ein Ticket machen – da kommt dann für 69 Euro eins raus. Dann sagt man aber, man will eins für 49 Euro und wundert sich, dass das Geld nicht reicht.

Was ist ein vertretbarer Preis?
Der, der rauskommt. Wir geben in Bayern das meiste Geld für das Ticket aus: 317 Millionen Euro sind geplant plus 317 Millionen Euro vom Bund. Hinzu kommen Semesterticket, Azubis, Freiwilligendienstleistende und Schülerinnen und Schüler ab der 11. Klasse, die einen Anspruch darauf haben. Das sind insgesamt 400 Millionen Euro aus eigenen Mitteln. Da frage ich mich schon, ob das Geld nicht besser in Infrastruktur angelegt wäre oder den Ausbau des Angebots. Dann kann man über einen vernünftigen Preis reden. Ich stehe zu einer Vereinfachung der Tarife, aber es muss finanziert werden, und zwar dauerhaft und verlässlich.

Horst Seehofer hatte das Ziel, dass ganz Bayern bis 2023 barrierefrei ist. Auch in München sind einige Bahnhöfe noch nicht barrierefrei. Wann löst die CSU ihr Versprechen ein?
Das war eine Absichtserklärung. Aber zuständig für die Bahnhöfe ist nicht der Freistaat, sondern die Deutsche Bahn und ihr Eigentümer, der Bund.

Das heißt, Horst Seehofer hat eine Absichtserklärung für etwas abgegeben, was er selber gar nicht beeinflussen kann?
Er war damals auch Parteivorsitzender und die CSU war in der Bundesregierung . Der damalige Bundesverkehrsminister Dobrindt hat daher für die Barrierefreiheit Programme auferlegt. Jetzt gibt es keine neuen Förderprogramme. Das habe ich auch schon angemahnt. Bayern hat zuletzt bis zu 50 Millionen Euro pro Jahr aus eigener Tasche für die Barrierefreiheit seiner Bahnhöfe ausgeben. Wir haben in Bayern 1056 Bahnhöfe. Derzeit sind 517 barrierefrei.

Wann kommt die komplette Barrierefreiheit? 2023 wird es ja nichts mehr.
Ich habe bereits als Landrat gesagt, dass das auf kommunaler Ebene nicht funktionieren kann. Das kann schon noch dauern. Wir haben in unserem Koalitionsvertrag das Ziel, dass wir in dieser Legislaturperiode weitere Hundert Bahnhöfe barrierefrei hinbekommen.

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