Große Sorgen, wenige Teilnehmer: Demo gegen das PAG

München - Zwei Jahre ist es her, dass Ingo Blechschmidt eine Hängematte in einem Wald südwestlich von München aufspannte. Er blieb so lange dort oben in der Baumkrone, bis die Polizei hinaufkletterte und ihn herunterholte. Blechschmidt, ein 34 Jahre alter Mathematiker, wollte damit – so wie andere Klimaaktivisten – die Abholzung von Forst Kasten verhindern. Heute ist klar: Sie hatten Erfolg. Der Wald bleibt. Trotzdem sagt Blechschmidt: Er würde die Aktion nicht wiederholen.
Seit 2018 hat die bayerische Polizei mehr Rechte
Grund ist das Polizeiaufgabengesetz (PAG). 2018 gab die bayerische Regierung der Polizei damit mehr Rechte. Und Blechschmidt erfuhr, welche Folgen das haben kann. Damals, erzählt er, steckte ihn die Polizei in eine Einzelzelle, eineinhalb Tage lang. Dann wurde er zur Haftrichterin gebracht. Sie habe ihn für vier Wochen in Präventivhaft nehmen wollen. Auf Grundlage des PAG ist das möglich, so will die Polizei Straftaten verhindern. "Ich war völlig überfordert", sagt Blechschmidt. Der Richterin habe er dann versprochen, Forst Kasten nie mehr zu betreten.
Lieber nicht in München protestieren
Danach wurde er freigelassen. An sein Versprechen fühlt sich der 34-Jährige aber gebunden. "Die Richterin sagte, sie muss den Bescheid nur wieder aus der Schublade ziehen." Blechschmidt ist Umweltaktivist geblieben – und sei seit den Tagen in Haft sogar noch engagierter. Nur nicht in München. Für Protestaktionen bleibe er lieber in seiner Heimatstadt Augsburg – oder fahre nach Baden-Württemberg.

Auch Geflüchtete wurden eingesperrt
Fünf Jahre ist das verschärfte Polizeiaufgabengesetz nun in Kraft. Blechschmidt ist längst nicht der Einzige, der auf der Grundlage in Haft musste: Auch Geflüchtete, die gegen ihre Asylbedingungen protestierten, Klimaaktivisten und Corona-Gegner wurden ins Gefängnis gesteckt. "Am Anfang wurde immer gesagt: Es geht um Terrorabwehr. Aber die Regierung hat gelogen", sagt Franziska Büchl. Deshalb hat sie mit dem Bündnis NoPAG am Sonntag eine Demo organisiert.
Auch Ingo Blechschmidt ist zur Demo am Max Monument gekommen – und mit ihm um die 600 Menschen. Allerdings: Vor fünf Jahren, bevor das Gesetz in Kraft trat, protestierten bis zu 50.000. Ist er enttäuscht, dass nun so viel weniger los ist? "Ich kann es nachvollziehen", meint er. "Die Menschen haben den Eindruck, es bringt alles nichts."
Präventivhaft ist keine Ausnahme mehr
Im Gegenteil, alles wird eher noch schlimmer – erzählt Hedwig Krimmer (65) von Verdi. Früher hätten Polizei und Gerichte nur in Einzelfällen eine Präventivhaft angeordnet. "Und jetzt tun sie das immer mehr und mit breiter Brust", meint die Rentnerin. Auch sie macht an diesem Sonntag Erfahrungen mit der Polizei – und zwar keine positiven: Sie wollte ein Plakat gegen Rechts zeigen. Hitler ist darauf mit dem Spruch: "Freunde, ich war nur kurz weg".
Die Polizei nahm es der Gewerkschaftlerin ab, als sie ausprobieren wollte, ob es von der Bühne aus alle sehen können. Es sei volksverhetzend, lautete das Argument. "Lächerlich", ist Krimmers Kommentar dazu.
Dass sich das Verhältnis zwischen Demonstranten und Polizei verschlechtert hat, erzählt auch Leonie, eine 29-jährige Juristin, die die Demo moderiert. "Auch auf friedlichen Demos filmt und fotografiert die Polizei von vornherein. Das hält viele davon ab, auf Demos zu gehen. Viele gehen davon aus, es wird gefährlich", erzählt sie.

Migranten nehmen aus Angst nicht an Demos teil
Auch Jan Renner vom NoPAG-Bündnis und Geschäftsführer vom Verein "Mehr Demokratie" erlebt, dass gerade Migranten Angst haben, sich an Demos zu beteiligen. Insgesamt sei es noch nicht die große Masse, die von Demos aus Angst vor der Polizei fernbleibe. "Aber die Erfahrungsberichte mehren sich."
Wären das nicht alles gute Gründe, dass wieder Zehntausende auf die Straße gehen? Und warum kommen trotzdem nicht mehr als ein paar Hundert? Corona habe der Demonstrationskultur einen Dämpfer verpasst. Dieses Argument nennen viele.
Wo waren die Politiker?
Allerdings fehlen an diesem Sonntag nicht nur die Massen, sondern auch bekannte politische Gesichter. Bayerische Spitzenkandidaten von Grünen oder SPD sind keine gekommen – obwohl beide Parteien gegen das PAG klagen. Enttäuscht, dass keine Grünen-Promis wie Katharina Schulze eine Rede halten? Nein, meint Jan Renner. Die Grünen-Stadtratsfraktion sei schließlich vertreten. Und es sei auch sicher nicht die letzte Demo vor der Landtagswahl.