Große Pflegenot in München: Das sind die Gründe
Besonders in Oberbayern und dem gesamten Umkreis der Landeshauptstadt fehlt es in der Pflege an Personal. Woran das liegt und was man langfristig tun kann.
München - Die Große Koalition hat sich geeinigt - zumindest zum Thema Pflege. 8000 neue Fachstellen sollen geschaffen werden, Angestellte besser bezahlt und der Zugang zu Leistungen erleichtert werden (AZ berichtete). Viele Experten, die in der Pflegebranche tätig sind, kritisieren die beschlossenen Maßnahmen als zu gering.
Dazu gehört auch der Bayerische Landespflegerat (BLPR), der gestern in München auf einer Tagung über die Entwicklung der professionellen Pflege und die Gewichtung in der Politik angesichts der Landtagswahlen diskutierte. Klar wurde: Innerhalb Bayerns ist die Nachfrage nach Fachkräften insbesondere in Oberbayern und dem Großraum München - etwa in Fürstenfeldbruck oder Dachau - am größten.
Laut dem Pflegewissenschaftler Michael Isfort liegt das zum einen an der demografischen Entwicklung. Im Landkreis München etwa nimmt die Zahl der über 80-Jährigen nach Schätzungen bis zum Jahr 2030 um 75 Prozent zu.
München wegen der Mieten wenig attraktiv
Zum anderen können sich viele vor allem München schlicht nicht mehr leisten. Das Problem, das inzwischen viele Mieter kennen, macht also auch vor der Pflege nicht Halt. Da Auszubildende und Fachkräfte in der Pflege nicht gut bezahlt werden, ist München auch für Personal aus anderen Regionen wenig attraktiv, da die Lebenshaltungskosten sehr hoch sind. In Westdeutschland verdient etwa ein ausgebildeter Altenpfleger im Schnitt 2500 Euro brutto.
Bayernweit sind laut Zahlen des Statistischen Landesamtes von 2017 etwa 350.000 Menschen pflegebedürftig. Laut Bertelsmann-Stiftung wird es in Bayern bis 2030 eine Versorgungslücke von rund 14.000 Vollzeitkräften in der ambulanten Pflege geben, in der stationären Altenpflege fehlen dann sogar 48 000 Fachkräfte. Der BLPR fordert deshalb, dass die Politik sich endlich der professionellen Pflege annimmt.
Im Argen liegt vieles: Ein großes Problem in Bayern ist etwa, dass es keine berufsspezifische Ausbildung für Lehrer in der Pflege gibt. Viele Heimbetriebe, wie etwa die München Stift, setzen auch auf die Ausbildung von Geflüchteten, um neues Personal zu rekrutieren. Doch auch das ist in Bayern nicht einfach: Wie die AZ am Dienstag berichtete, erhalten hier viele Flüchtlinge trotz Verträgen keine Ausbildungsgenehmigung.
Bundesweit reicht das Geld für die Pflege längst nicht aus
Zudem würden immer mehr Menschen eine Ausbildung in der Pflege beginnen, die dafür nicht geeignet seien, kritisiert Rainer Ammende, Vorstandsmitglied im BLPR. Viele seien dann überfordert, nur etwa 60 Prozent würden am Ende einen Abschluss schaffen. "Pädagogisch sehe ich da ein Skandal", so Ammende.
Daneben trägt auch die geringe Bezahlung nicht dazu bei, junge Menschen für den Pflegeberuf zu begeistern. Schon jetzt würden zahlreiche Pflegekräfte nach Abschluss der Ausbildung nach Österreich oder in die Schweiz auswandern, weil sie dort 30 bis 40 Prozent mehr Gehalt bekämen, sagt Ammende. Hinzu kommt wenig Zeit für Patienten, was dazu führt, dass man das Gelernte nicht anwenden kann.
Edith Dürr, Vorsitzende des BLPR, fordert nun Lösungen. Erste Ansätze sind die Angleichung von Löhnen in der Altenpflege, bessere Studienangebote im Bereich Pflegepädagogik und Unterstützung für die Pflegeschulen, damit diese den höheren Betreuungsbedarf der Schüler, die sich mit der Ausbildung schwer tun, auffangen.
Natürlich spielt auch die Finanzierung eine Rolle. Ein erster Ansatz ist ein Förderprojekt des bayerischen Gesundheitsministeriums. Dieses stellt 200.000 Euro zur Verfügung, damit Pflegende etwa Kurse besuchen können, um ihr Stresslevel zu senken.
Bundesweit betrachtet reicht das Geld für die Pflege jedoch lange nicht aus. Laut BLPR braucht es kurzfristig mindestens 40 Millionen Euro, um Forschungsprogramme und Digitalisierung voranzutreiben. Langfristig sehen Branchenkenner einen Bedarf von 100.000 Fachkräfte in der Pflege und einen Investitionsbedarf von 10 Milliarden Euro.
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