Glockenbachviertel: Schwule ziehen weg

Ein aggressiveres Klima auf den Straßen sorgt für einen Exodus der schwulen und lesbischen Szene aus dem Glockenbachviertel.
von  John Schneider


München - Quo vadis Glockenbachviertel? Steigende Mieten, ausufernde (Hetero-) Gastronomie und Übergriffe auf der Straße - viele Schwule und Lesben fühlen sich nicht mehr wohl in „ihrem” Viertel. Jetzt ist die negative Entwicklung des „Rosa Viertel” auf Anfrage der CSU-Stadträte Richard Quaas und Georg Schlagbauer Thema im Stadtplanungsausschuss.


Thomas Niederbühl (Rosa Liste): „Das Problem ist zweigeteilt, auf der einen Seite die Immobilienpreise. Die Frage der Atmosphäre im Viertel finde ich aber noch wichtiger.” Und die sei deutlich aggressiver geworden. „Wenn mir zum Beispiel ein Junggesellenabschied mit einer Gruppe junger Männern entgegen kommt, dann lasse ich die Hand meines Mannes los.” In seinem Rücken werde sich dann über die „Tunten” lustig gemacht. Ein Phänomen, dass es so im Glockenbachviertel noch nicht gab, wohl aber in anderen Stadtteilen.


Niederbühl fürchtet jetzt um das Heimatgefühl der Szene im Viertel. Er findet, dass man sich als Schwuler oder als Lesbe in seinem „Regenbogenviertel” nicht mehr so frei bewegen kann wie früher. In den letzten zwei Jahren sei das schlimmer geworden.


Auch wenn die Polizei sagt, dass sie von verstärkten Anfeindungen oder Anpöbelungen Schwuler und Lesben im Viertel nichts weiß: Es gibt sie. „Viele zeigen diese Übergriffe einfach nicht an”, erklärt Thomas Niederbühl.
Christopher Knoll (Leiter der SUB-Beratung) kennt einen besonders erschreckenden Fall aus dem letzten Sommer: Ein schwuler Mann - als solcher auch erkennbar - begegnet auf der Klenzestraße einem Hetero-Pärchen und wird von der angetrunkenen Frau beleidigt. Die Frau schlägt ihm völlig unvermittelt mit der Faust ins Gesicht. Als er sich wehrt, greift der Freund ein und schlägt ebenfalls zu. Der Schwule fällt zu Boden, sie tritt ihm ins Gesicht. Inzwischen kein Einzelfall mehr, sagt Knoll.


Das bestätigt auch Stadtbaurätin Elisabeth Merk. Die Koordinierungsstelle für gleichgeschlechtliche Lebensweisen (KGL) berichte häufiger über Belästigungen oder Beleidigungen, berichtete sie dem Stadtplanungsausschuss. „Es ist eine Verkleinerung der Gemeinde und die generelle Zunahme eines Verdrängungswettbewerbes im Viertel zu beobachten.” Anwohner werden deutlicher: „Schwule und Lesben ziehen weg.”


Bei der Frage der Gentrifizierung des Viertels durch steigende Immobilienpreise sieht er ein Stück weit Normalität einkehren. Niederbühl: „Auch die schwul-lesbische Szene ist differenziert. Es gibt wohlhabende Singles oder Paare, die sich die teuersten Mieten leisten können, aber es gibt auch ärmere Schwule und Lesben, die so aus dem Viertel hinausgedrängt werden.” Positiver Aspekt: Es ist unproblematischer im Schlachthofviertel, in der Au oder in Sendling als schwules oder lesbisches Paar eine Wohnung zu mieten.
Die Stadt habe kaum Möglichkeiten, die Entwicklung zum „Luxusdepartment” noch zu korrigieren. Die Wiedervermietungsmieten liegen in der Isarvorstadt im Schnitt einen Euro über Münchens Schnitt.


Der schwule Exodus ist auch in der Gastronomie zu beobachten: Während Hetero-Kneipen boomen, geht die Zahl der schwul-lesbischen Lokale stark zurück. In der Hans-Sachs-Straße gab es einmal neun Schwulen-Kneipen, jetzt sind drei übrig geblieben. Auch die „Teddy-Bar” musste umziehen, residiert nun in der Pestalozzistraße, das „Mylord” machte ganz zu.


Damit ist eine überregional wichtiger Anlaufstelle für Schwule und Lesben in Gefahr. Immerhin habe die Stadt es aber geschafft, schwul-lesbische Organisationen im Glockenbachviertel in städtischen Gebäuden anzusiedeln, freut sich Niederbühl.


Thomas Niederbühls Hoffnung: Viertel die heute beim Ausgeh-Publikum in sind, sind morgen schon wieder out. Von Schwabing nach Haidhausen, weiter zum Kunstpark Ost, zuletzt wieder in die Innenstadt und das Glockenbachviertel: Irgendwann zieht die Party-Karawane weiter und das kann in München sehr schnell gehen.

 


 

Vom Straßenstrich zur Partymeile

 

Rainer Maria Fassbinder lernte im Glockenbachviertel seinen Freund Armin kennen, Walter Sedlmayer hat sich hier ebenso vergnügt wie Rudolph Moshammer oder Freddie Mercury. Die Liste der prominenten Schwulen, die im Viertel wohnten oder im „Pimpernel“, der „Deutschen Eiche“, im „Mylord“ oder „Ochsengarten“ feierten, ist lang. Die Geschichte des „rosa Viertel“ beginnt Anfang des 20. Jahrhunderts, als die Müllerstraße noch Münchens Straßenstrich war.

Homosexualität wurde noch strafrechtlich verfolgt. Schwule trafen sich auf öffentlichen Toiletten, den „Klappen“, mussten dabei immer den Polizeizugriff fürchten. Das Pissoir am Holzplatz ist solch ein geschichtsträchtiger Ort. In den 1920ern wird die Gesellschaft auch in München liberaler. Am Glockenbach und in der Müllerstraße machen mit Arndthof und Gasthaus Schwarzer Fischer zwei Schwulenkneipen auf.

Nach der Unterdrückung durch die Nazis - viele Schwule sterben im KZ Dachau - keimt die Schwulenszene Münchens an alter Stelle wieder auf. „Teddy-Bar“, „Deutsche Eiche“, „Mylord“ und „Ochsengarten“ nutzen die größeren Freiheiten, die im Glockenbachviertel nach dem Krieg von der Polizei zugestanden werden. Daran konnte auch die Aids-Hysterie der 80er nichts ändern. Kreisverwaltungsreferent Peter Gauweiler ging mit der Forderung nach Meldepflicht oder Zwangstests massiv gegen die Schwulenszene vor.

Die Szene überlebt seine Amtszeit zwar, muss jetzt aber fürchten, dass ihr die eigene Beliebtheit zum Verhängnis wird. Viele Schwule fürchten die „Verheterung“ des Viertels fürchten. Soll heißen: Das Viertel ist inzwischen bei Heterosexuellen als Partymeile angesagt. Reine Schwulenkneipen werden weiter zurückgedrängt.

 

 

 

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