„Giftmorde, Orgien, ganz große Gefühle“

Im ZDF startet der nächste Historien-Film: der Sechsteiler „Borgia“. Hier erklärt der Experte, wieso der Titel(anti)held so ein fieser, kranker Schurke gewesen ist
Am Montag, zur Primetime um 20.15 Uhr, lernt das ZDF-Publikum die Borgias kennen. Quasi eine schrecklich nette Familie aus dem 15. Jahrhundert. Uwe Neumahr, Literaturagent und Schriftsteller vom Ammersee, hat daran entscheidend mitgearbeitet. Der Autor, dessen Cesare-Borgia-Biographie beim Casimir Katz Verlag gerade als Neuauflage erschienen ist, hat für eine Münchner Produktionsfirma als wissenschaftlicher Berater der Borgia-Dokumentation mitgewirkt, suchte Drehorte aus, prüfte Fakten. Im Interview erklärt er, was die TV-Zuschauer nicht sehen.
AZ: Herr Neumahr, hätten Sie gerne im Italien der Renaissance gelebt?
UWE NEUMAHR: Einerseits ja. Es gab so viele herausragende, geniale und interessante Menschen, die ich gern kennen gelernt hätte: Leonardo da Vinci, Macchiavelli, Cesare Borgia, Michelangelo und viele andere mehr. Aber wenn ich mir die durchschnittliche Lebenserwartung in dieser Zeit ansehe, die Lebensumstände oder die enorme Gewalttätigkeit bei oft absoluter Willkür, lebe ich doch lieber heute.
Von den Tudors bis Borgia: Woher rührt jetzt dieses große Interesse an historischen Büchern und Serien?
„Die Tudors“ waren ein riesiger Quoten-Erfolg im Fernsehen. Das wollten die Produzenten wiederholen, und so kamen sie auf die Borgias, die ungefähr in derselben Zeit lebten. Die Borgias bieten Filmdramaturgen alles: Sex&Crime in der Renaissance. Giftmorde, Würgemorde, Sexorgien im Vatikan, edle Liebe und absoluter, zynischer Machtwille. Menschenleben spielten keine Rolle. Letztlich geht es dabei aber auch um die ganz großen Gefühle. Liebe, Hass, Leidenschaft. Letztlich sind die Borgias ja auch ein Lehrstück über das Scheitern der absoluten, unkontrollierten Macht.
Sie waren Supervisor der ZDF-Dokumentation. Was macht so einer?
Einerseits wurde ich interviewt und bin auch in der ZDF-Doku vor der Kamera als Experte zu sehen. Andererseits war ich wissenschaftlicher Berater. Ich stellte Know-How zur Verfügung. Etwa Literatur über die Borgias, oder ich beantwortete einfach Fragen über die Borgia via Mail für den Drehbuchautor. Ich musste auch den Sprechertext der Doku auf historische Genauigkeit prüfen.
Es war ziemlich schwierig, Drehorte zu finden, oder?
Der Vatikan, wo sich heute noch die originalen Borgia-Räume befinden, ist strikt dagegen, dass dort gefilmt wird. Da gibt es meines Wissens auch keine Sondergenehmigungen für das ZDF. In römischen Kirchen, wo sich etwa die Grabmäler der Borgia-Päpste befinden, ist man ebenfalls sehr streng. Natürlich bekommt man dort unter Umständen doch eine Drehgenehmigung, aber die kostet. Und man ist auf den guten Willen des Hausmeisters angewiesen. Und wenn den gerade seine Frau geärgert hat …
Spielen München und Bayern eine Rolle im Leben Borgias?
Ich sollte es einer Münchner Zeitung besser nicht sagen, aber eine Rolle spielte in der Tat nur Franken! Und zwar in Form des Erziehers von Cesare Borgia, Lorenz Beheim. Der kam aus Nürnberg, war Sohn eines Geschützgießers und Cesare Borgias Lehrer in Rom. Die beiden hatten ein sehr enges Verhältnis. Überliefert ist ein sehr skurriler Fragebogen, den Cesare Borgia seinem fränkischen Lehrer stellte. Darin erkundigt er sich nach schleichenden Giften, fragt, wie man einen Totenkopf zum Sprechen bringt. Ein ganzer Absatz handelt von Sexualkunde, der ist aber in einer Geheimsprache geschrieben, die man bis heute nicht genau entziffern kann.
Wie treu hält sich die Produktion an die historische Wirklichkeit?
Die Rahmenhandlung und das grobe historische Gerüst stimmen. Die Feinde und Kriege der Film-Borgia waren auch die Feinde der realen Borgia. Es gibt aber viele Fehler und Ungenauigkeiten, die oft der Dramaturgie geschuldet sind. So braucht ein Fernsehproduzent heute etwa für ein weibliches Publikum eine starke weibliche Identifikationsfigur. Das Problem ist aber, dass es bei den Borgia keine starke Frau gab. So wird im Film aus einer Geliebten von Papst Alexander VI., die in der Realität vor allem eine Bettgeschichte des Papstes war, eine graue Eminenz im Hintergrund, die sogar einen Krieg vom Zaun bricht. Historisch gesehen ist das natürlich Quatsch.
Hat Cesare Borgia seinen schlechten Ruf verdient?
Dass er zahlreiche Morde in Auftrag gab, seine Gegner hinterging, sie teilweise in Fallen lockte, um sie dann auf grausame Art ermorden zu lassen, dass er intrigierte und heuchelte – das ist wahr. Die spannende Frage, zumindest aus historischer Perspektive, ist aber, wie ein Mensch zu einem solchen Scheusal wurde? Um es kurz zu machen: Cesare Borgia hatte von Anfang an keine Chance. Er war ein von allen gehasster Bastard, schon als Kind, und musste – um in der römischen Schlangengrube zu überleben – schurkischer sein als die Schurken, die ihn umgaben.
Oh.
Man darf auch nicht vergessen, dass er ein schwerkranker Mann war. Cesare Borgia war eines der ersten prominenten Opfer der Syphilis. Die war damals nicht heilbar, und im fortgeschrittenen Stadium greift sie das Hirn an. So sind viele seiner irrationalen Taten wahrscheinlich auch auf die Auswirkungen der Krankheit zurückzuführen.
Wird es eine Borgia-Fortsetzung geben?
Die ZDF-Serie erzählt nicht die ganze Geschichte. Sie endet einige Jahre vor dem Tod Papst Alexanders VI. Ich denke, die Macher der Serie werden über eine Fortsetzung dann entscheiden, wenn die Quote der ersten Staffel stimmt. Also: Bitte einschalten ab dem 17. Oktober!