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Gewalttat mitten in München: Das Protokoll eines Todes

Mithilfe der Sicherheitskameras im Alten Botanischen Garten können die Ermittler den Tod des 57-Jährigen minuziös rekonstruieren. Dem mutmaßlichen Täter droht eine mehrjährige Haftstrafe wegen Körperverletzung mit Todesfolge.
von  Ralph Hub
Polizistinnen sichern am Tatort im Alten Botanischen Garten Spuren: Dort wurde am 25. September ein schwer verletzter Mann gefunden; der 57-Jährige starb im Krankenhaus. Die Münchner Polizei ermittelt wegen Körperverletzung mit Todesfolge und hat den 30-Jährigen flüchtigen Tatverdächtigen gefasst.
Polizistinnen sichern am Tatort im Alten Botanischen Garten Spuren: Dort wurde am 25. September ein schwer verletzter Mann gefunden; der 57-Jährige starb im Krankenhaus. Die Münchner Polizei ermittelt wegen Körperverletzung mit Todesfolge und hat den 30-Jährigen flüchtigen Tatverdächtigen gefasst. © Peter Kneffel/dpa

München – Eine Woche nach dem tödlichen Angriff auf einen 57 Jahre alten Münchner im Alten Botanischen Garten sitzt der mutmaßliche Täter hinter Gitter. Rafal Artur P. (30) wurde von Polizisten auf der Flucht in Düsseldorf in einem Flixbus festgenommen. Ihm droht eine mehrjährige Gefängnisstrafe wegen Körperverletzung mit Todesfolge.

"Wir gehen derzeit davon aus, dass der Täter nicht mit Tötungsvorsatz handelte", sagt Oberstaatsanwältin Anne Leiding von der Staatsanwaltschaft München I. Trotzdem droht dem mutmaßlichen Täter im Fall einer Verurteilung eine mehrjährige Haftstrafe. Über die Höhe werde der Richter entscheiden, so die Oberstaatsanwältin.

Pressekonferenz zum tödlichen Streit im Alten Botanischen Garten: Von links Oberstaatsanwältin Anne Leiding, Kriminaloberrat Stephan Beer und Pressesprecher Andreas Franken.
Pressekonferenz zum tödlichen Streit im Alten Botanischen Garten: Von links Oberstaatsanwältin Anne Leiding, Kriminaloberrat Stephan Beer und Pressesprecher Andreas Franken. © Ralph Hub

Ein Schwall Wasser über den Kopf des bewusstlosen Opfers

Der Haupttäter kam, wie das Video der Überwachungskamera zeigt, nach der Attacke zu dem regungslos auf dem Boden liegenden Opfer zurück und schüttete dem 57-Jährigen Wasser auf den Kopf. Dies werde als "Versuch zu helfen angesehen", sagte Leiding. Es könnte sich später im Prozess strafmindernd auswirken.

Eine Viertelstunde lang sehen Zeugen zu, keiner hilft dem Opfer

Das Opfer lag mehr als 15 Minuten regungslos am Boden neben dem Neptunbrunnen. Niemand hat in der Zeit dem 57-Jährigen geholfen, obwohl mehrere Menschen in der Nähe auf Parkbänken saßen. Einer kam vorbei, aber nicht um zu helfen. Der Mann schnappte sich das Handy des Opfers und wollte damit verschwinden. Der Dieb wurde von Polizisten festgehalten.

Die Staatsanwaltschaft prüft, ob gegen die betreffenden Personen wegen unterlassener Hilfeleistung Ermittlungen aufgenommen werden können. Das sei allerdings nicht einfach, so die Oberstaatsanwältin.

Dank der erst im Juni am Justizpalast installierten Überwachungskameras ist die Tat im Park detailliert dokumentiert. "Die Aufnahmen helfen uns maßgeblich bei der Beweisführung", betont Stephan Beer, Chef der Münchner Mordkommission. Durch das Video sei es zudem gelungen, den Haupttäter zu identifizieren.

Ein Video und ein aufmerksamer Beamter der PI 14 geben entscheidende Hinweise

Ein Beamter der PI 14 erkannte den Verdächtigen wieder. Er hatte Rafal Artur P., einen gebürtigen Polen, am Tattag morgens im Alten Botanischen Garten kontrolliert und sich dessen Personalien notiert. Mithilfe polnischer Behörden gelang es der Münchner Polizei, die Identität des flüchtigen Täters zu klären und umgehend eine gezielte Fahndung nach dem Mann zu starten.

Keine Woche nach einem tödlichen Angriff auf einen Mann in der Münchner Innenstadt ist der Hauptverdächtige gefasst.
Keine Woche nach einem tödlichen Angriff auf einen Mann in der Münchner Innenstadt ist der Hauptverdächtige gefasst. © Ralph Hub

Stephan Beer, Chef von K11, schilderte am Dienstag bei einer Pressekonferenz im Polizeipräsidium anhand des Timecodes des Überwachungsvideos minuziös den Tatablauf, was am Mittwoch im Alten Botanischen Garten passiert ist:

Das Minuten-Protokoll eines unbegreiflichen Verbrechens

  • 8.33 Uhr: Der 57-Jährige kommt zum Neptunbrunnen.
  • 8.55 Uhr: Eine Gruppe von vier Männern nähert sich.
  • 9.53 Uhr: Die Männer fangen an, mit dem späteren Opfer zu diskutieren.
  • 9.56 Uhr: Der 57-Jährige steht von einer Bank auf. Er will gehen und zeigt dabei der Gruppe den Mittelfinger.

In den folgenden Minuten überschlagen sich die Ereignisse dramatisch. Auf dem Video ist zu sehen, wie Rafal Artur P. dem Münchner mit der rechten Hand von hinten gegen den Kopf schlägt. Das Opfer knickt ein. Ein weiterer aus der Gruppe, ein 35-jähriger Pole, tritt ihm in den Hintern.

  • 9.58 Uhr: Das Opfer rappelt sich wieder auf die Beine.
  • 10 Uhr: Rafal Artur P. tritt dem 57-Jährigen mit dem Fuß ins Gesicht. Der Münchner geht zu Boden und bleibt regungslos liegen. Die Täter gehen zu einer Parkbank in der Nähe. Rafal Artur P. kommt zurück. Er schüttet dem bewusstlosen Opfer etwas Wasser über den Kopf.

Der 57-jährige Münchner erleidet einen Herzinfarkt  

Laut Obduktionsergebnis der Rechtsmedizin starb der 57-Jährige nicht an den Folgen des Tritts gegen seinen Kopf. "Der Münchner erlitt bei dem Angriff einen Herzinfarkt", sagt Stephan Beer. Zudem rutscht dem bewusstlosen Opfer die Zunge nach hinten in den Rachen, wodurch der 57-Jährige keine Luft mehr bekommt. Der Münchner starb später im Krankenhaus.

Die vier Männer der Gruppe lassen das hilflose Opfer zurück und verschwinden. Zwei von ihnen werden von der Polizei im Rahmen der Sofortfahndung gefasst. Einer ist der 35-Jährige, der das Opfer in den Hintern getreten hat. Gegen ihn wird wegen Körperverletzung ermittelt. Der zweite Mann (38) gilt als Zeuge. Er ist polizeibekannt, hat 14 Einträge wegen Diebstahl und Körperverletzung.

Der Hauptverdächtige ist schon früher bei der Polizei aufgefallen
Der mutmaßliche Haupttäter Rafal Artur P. ist bereits früher bei der Polizei aufgefallen. Er hat demnach sechs Einträge wegen Körperverletzung und einen wegen eines Drogenvergehens. Nach der Tat fährt er in eine Wohnung und zieht sich um. Den dunklen Pulli und die dunkle Hose wirft er in den Mülleimer und verschwindet.

Aufzeichnung einer Videokamera in Tatort-Nähe: Mit diesem – nachträglich verpixeltem – Foto des mutmaßlichen Hauttäters löste die Polizei ihre Öffentlichkeitsfahndung aus.
Aufzeichnung einer Videokamera in Tatort-Nähe: Mit diesem – nachträglich verpixeltem – Foto des mutmaßlichen Hauttäters löste die Polizei ihre Öffentlichkeitsfahndung aus. © Polizei

Am Busbahnhof in Düsseldorf ist die Flucht zu Ende

Rafal Artur P. wird am Montag in Düsseldorf um 11.30 Uhr am Busbahnhof von Polizisten aus München und NRW festgenommen. Er will zu einem Flixbus, offenbar mit dem Ziel, sich in die Niederlande abzusetzen. Inzwischen befindet sich der mutmaßliche Haupttäter wieder in München. Ein Ermittlungsrichter entschied am Dienstag, dass der 30-Jährige in U-Haft kommt. Er wartet in einer Zelle der JVA Stadelheim auf seinen Prozess.

Nach nur fünf Tagen ist der Fall damit so gut wie aufgeklärt: "Schlüssel zum Erfolg war die polizeiliche Videoüberwachung", betont Stephan Beer. "Ein Bild zeigt mehr als 1000 Worte."


Zwei Videokameras am Alten Botanischen Garten im August abgezogen

Der Alte Botanische Garten hat sich zu einem Brennpunkt in der Stadt entwickelt, ein Hotspot für Drogen, Saufgelage und Gewalt.
Laut dem aktuellen Sicherheitsreport des Polizeipräsidiums wurden im Bereich der Grünanlage im vergangenen Jahr 936 Straftaten registriert, davon 790 Drogendelikte. Dazu kamen rund 90 Fälle von Körperverletzung und rund ein Dutzend Sexualstraftaten, darunter eine Vergewaltigung.

Vermüllung und Verwahrlosung, Leerstände und Großbaustellen tragen dazu bei, dass viele Menschen sich zunehmend unsicher fühlen“, kritisierte Polizeipräsident Thomas Hampel. Stadt und Polizei versuchen, gegenzusteuern.

Im Zuge der Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit waren im Sommer außer den fest montierten Sicherheitskameras am Justizpalast zwei weitere Anhänger mit beweglichen Kameras aufgestellt. Die waren allerdings nur für einen Testzeitraum befristet bis zum 25. August dort platziert. Ob die Kameraanhänger zurückkehren, ist offen. 

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