Gewalt in der Partnerschaft: Wenn das eigene Zuhause zur Hölle wird

Viele Frauen erleben Gewalt in der Partnerschaft. Doch in Frauenhäusern gibt es nicht genug Plätze, um allen Schutz zu bieten.
von  Melanie Strobl
Häusliche Gewalt gegen Frauen ist keine Seltenheit. Und trotzdem fehlt es an Plätzen in Einrichtungen, die Betroffenen Schutz bieten können. (Symbolbild)
Häusliche Gewalt gegen Frauen ist keine Seltenheit. Und trotzdem fehlt es an Plätzen in Einrichtungen, die Betroffenen Schutz bieten können. (Symbolbild) © Jan-Philipp Strobel/dpa/Archivbild

München - Nur heute hat er den Schlüssel liegen lassen. Nur heute kann sie fliehen. Frau P. lebt seit Juni 2020 in Deutschland bei dem Mann, den sie aus Zwang heiraten musste. Ihre Stiefmutter und der ältere Bruder haben die Ehe noch in Afghanistan für sie beschlossen. In der neuen Wohnung ist sie eingesperrt, nur mit ihrem Mann darf sie das Haus verlassen - er bestimmt über sie, er übt Gewalt auf sie aus. Mental und körperlich.

Frau P. ergreift die Flucht und ihr neues Zuhause heißt jetzt Haus Tahanan. Es ist eine Notunterbringung für Frauen mit meist ungeklärtem Aufenthaltsstatus - dort fühlt sie sich endlich sicher.

In München bräuchte es doppelt so viele Plätze, wie vorhanden sind

Frau P. hatte Glück. Sie bekam eine Wohnmöglichkeit im Frauenhaus. Anderen Frauen bleibt das verwehrt, denn die Plätze in München sind rar.

Bis heute fehlen laut der Frauenhausstatistik 2020 bundesweit etwa 14.000 Frauenhausplätze. Dabei hat sich Deutschland ein anderes Ziel gesteckt: Mit dem Inkrafttreten der Istanbul-Konvention hat sich die Bundesregierung vor vier Jahren dazu verpflichtet, Gewalt gegen Frauen zu bekämpfen, präventiv dagegen vorzugehen und Betroffenen Schutz zu bieten.

Und Betroffene wie Frau P. gibt es noch immer zu viele. Über 119.000 Frauen erlebten im Jahr 2020 Gewalt in der Partnerschaft, so die Daten des Bundeskriminalamts. Körperverletzung, Bedrohung, Stalking und Nötigung zählen zu den häufigsten Delikten.

Während der Pandemie wurden Anfragen von Betroffenen weniger

Die Dunkelziffer liegt schätzungsweise sehr viel höher. Frauen melden sich nur selten selbstständig, meint Sandra Pawle, die Teamleiterin des Haus Tahanan.

Im Pandemie-Jahr 2020 verstärkte sich die Entwicklung. Insbesondere während eines Lockdowns gingen Anfragen von Betroffenen zurück. Und das, obwohl Fälle von häuslicher Gewalt in diesen Zeiten zunahmen. Durch die ständige Beobachtung zu Hause und den Wegfall von Außenkontakten war es für Frauen schwieriger, sich bei Partnerschaftsgewalt Hilfe zu holen.

2020: Bundesweites Hilfetelefon berät alle 22 Minuten

Wissenschaftler der TU München fanden heraus, dass rund drei Prozent der Frauen in Deutschland während der strengen Kontaktbeschränkungen zu Hause Opfer von körperlicher Gewalt wurden. Beim bundesweiten Hilfetelefon fand 2020 alle 22 Minuten eine Beratung zu häuslicher Gewalt statt - ein Anstieg von 15 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Frau P. suchte sich damals Hilfe bei ihrem Cousin und einer Ehrenamtlichen in Erding: Mit ihnen schaffte sie es zu fliehen. Ihr Ehemann und ihre Familie in Afghanistan drohten daraufhin damit, sie zu töten.

Sandra Pawle liest die Geschichte von Frau P. laut vor, sie ist schriftlich festgehalten. Eine Mitarbeiterin des Hauses erinnert sich an ein Gespräch mit ihr: "Es war für sie ein absoluter Befreiungsschlag, endlich konnte sie zur Ruhe kommen."

Nur Betroffene und Mitarbeiter kennen Standorte der Frauenhäuser

Die junge afghanische Frau kam ins Haus Tahanan, weil sie dort auch mit ungeklärtem Aufenthaltsstatus unterkommen durfte. Das unterscheidet das Haus von klassischen Frauenhäusern, sagt Pawle. Denn: "Frauenhäuser nehmen nur Frauen und Kinder auf, die von Partnerschaftsgewalt betroffen sind."

Wenn es freie Plätze gibt, verläuft ein Einzug ins Frauenhaus oft sehr schnell. Wo die Schutzhäuser stehen, wissen nur die Betroffenen und die Teams vor Ort. Die Gefahr, dass Männer nach ihren Frauen suchen und sie verfolgen, ist immer vorhanden. Zum weiteren Schutz der Frauen dürfen grundsätzlich keine Männer ins Haus - nur bei den Kindern sind Jungen bis zu einem vorgegebenen Alter erlaubt.

Wie lange Frauen im Frauenhaus bleiben, ist nicht festgelegt. Im Haus Tahanan sind es in der Regel sechs bis acht Monate, bis die Weitervermittlung beginnt.

Stadtrat plant 48 neue Frauenhausplätze

Doch die Suche nach einer geeigneten Wohnung auf dem Münchner Immobilienmarkt gestaltet sich schwierig. In vielen Fällen müssen Frauen und Kinder länger im Frauenhaus bleiben und es kommt zu Aufnahmestopps.

Mit der Istanbul-Konvention empfiehlt der Europarat eine sichere Unterkunft für Frauen und ein Platz für eine Familie pro 10.000 Einwohner. In München gibt es derzeit 78 Frauenhausplätze, nach der Empfehlung sollten es 156 sein. Immerhin: Dieses Jahr sollen 48 weitere Frauenhausplätze entstehen, so hat es der Stadtrat 2021 beschlossen.

Auf einen Platz in einem Schutzraum gibt es keinen Rechtsanspruch

Zwei neue Frauenhäuser bieten in Zukunft Wohnplätze für Frauen, die Opfer von Partnerschaftsgewalt sind und gleichzeitig psychisch krank oder suchtkrank sind. Wann sie öffnen, ist noch unklar. Was aber feststeht: Sie sollen barrierefrei zugänglich sein.

Damit wird das EU-Recht auf niedrigschwelligen und diskriminierungsfreien Gewaltschutz (gemäß Istanbul-Konvention) umgesetzt. Ein notwendiger Schritt, denn Barrierefreiheit ist bei den bestehenden Frauenhäusern kaum vorhanden, obwohl mehr als ein Viertel der Bewohnerinnen darauf angewiesen ist.

Im Vergleich mit Frauen im Bevölkerungsdurchschnitt erleben Frauen mit Behinderungen zwei bis dreimal häufiger sexualisierte Gewalt.

Partnerschaftsgewalt ist kein seltenes Phänomen

Es fehlt an Plätzen, an Barrierefreiheit, an bezahlbarem Wohnraum: Die Mitarbeiterinnen der Frauenhäuser stehen vielen Problemen gegenüber. Bis heute gibt es in Deutschland keinen Rechtsanspruch auf eine Unterkunft im Frauenhaus.

Frauen, die aus Gewalt in der Partnerschaft Schutz suchen, müssen also hoffen, dass ein Platz im nächstgelegenen Haus frei ist. Bei Frau P. war das der Fall. Die Mitarbeiterinnen im Haus Tahanan unterstützten sie bei der Wohnungssuche und sie bekam ihre Aufenthaltserlaubnis.

Das Haus Tahanan hat Frau P.'s Geschichte auf einer DIN-A4-Seite niedergeschrieben. Deutschlandweit könnte man mit ähnlichen Geschichten ganze Bücher füllen - denn Partnerschaftsgewalt ist kein seltenes Phänomen. Schutzhausplätze für Frauen dagegen bleiben weiter Mangelware.

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