Gewalt gegen Rettungskräfte: "Die Dunkelziffer ist erheblich"

Eine Studie untersucht das Phänomen Gewalt gegen Rettungskräfte. Die AZ hat mit der Autorin gesprochen.
Interview von Annika Schall |
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Die Juristin ist Autorin der Studie "Gewalt gegen Einsatzkräfte: Eine kriminologische Großstadtanalyse".
dpa/privat/AZ Die Juristin ist Autorin der Studie "Gewalt gegen Einsatzkräfte: Eine kriminologische Großstadtanalyse".

München - Janina Lara Dressler, Kriminalwissenschaftlerin und Juristin, hat für ihre Doktorarbeit Feuerwehrleute und andere Rettungskräfte aus Berlin, Hamburg, Köln und München zu Übergriffen während ihrer Einsätze befragt. Die Zahlen sind erschreckend: 4.000 Fälle innerhalb eines Jahres meldeten ihr die Helfer. Im Gespräch mit der AZ schildert sie die Situation in München und wie es überhaupt zur Gewalt gegen Helfer kommt.

AZ: Frau Dressler, für Ihre Studie haben Sie mehr als 1600 Helfer zu deren Erfahrungen mit Gewalt im Einsatz befragt. Gab es Berichte, die Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben sind?
JANINA LARA DRESSLER: Ja, sehr deutlich erinnere ich mich zum Beispiel an die Schilderung eines Notarztes, der mir erzählt hat, wie ihm der Bruder eines Patienten ein Messer in den Rücken gehalten hat. Er wollte ihn so zwingen weiter zu reanimieren. Für den Patienten bestand da schon keine Chance mehr, aber der Notarzt musste trotzdem zwanzig Minuten so tun als ob, weil er wusste, er wird sonst abgestochen.

Hat Sie das Ausmaß der geschilderten Gewalt allgemein überrascht?
Ich kenne aus meinem privaten Umfeld viele Feuerwehrleute und wusste deshalb schon, dass etwas im Argen liegt. Was mich dennoch überrascht hat, war aber der Anteil der Fälle, die völlig überraschend kommen. Einsatzkräfte haben oft überhaupt keine Möglichkeit zu reagieren oder deeskalierend einzugreifen. Wenn man zum Beispiel auf einmal von hinten gewürgt wird, wird es sehr schnell richtig gefährlich. Was ich auch heftig fand: Es gab Einsatzkräfte, die sagten, in ihrer Stadt gibt es Gebiete, in die fahren sie ohne Polizeischutz nicht mehr. In Berlin wird so bei gewissen Straßenzügen die Polizei inzwischen automatisch mitalarmiert.

"Die Uniform alleine reicht schon, um manche aggressiv zu machen"

Wie ist die Situation in München?
Im Vergleich zu den anderen Großstädten, die ich untersucht habe, ist München deutlich weniger belastet. Wir haben im Schnitt 40 Prozent weniger Vorfälle. Die Situation ist aber trotzdem bedenklich. Wir hatten im Jahr 2014 allein 800 körperliche Angriffe auf Helfer. Trotzdem sieht man, dass in München die Sozialstruktur der Stadt eine andere ist und Polizei und Feuerwehr besser aufgestellt sind, um sich zu schützen.

Wie kommt es überhaupt dazu, dass Menschen ihre Retter angreifen?
In Fällen, in denen der Patient selber übergriffig wird, hat man es häufig mit Alkohol und Drogen zu tun. Oft sind es aber auch Angehörige oder Freunde, die dabei sind und meinen, der Rettungsdienst hilft nicht so, wie sie sich das vorgestellt hätten.

Aber auch Unbeteiligte werden übergriffig.
Ja. Es kommt vor, dass Helfer bei zum Beispiel einer Straßensperrung absichtlich angefahren werden. Das hat mit einem massiven Egoismusproblem zu tun. Leute sind wütend, dass ihnen im Weg gestanden wird und sie nicht rechtzeitig zur Arbeit kommen. Dass direkt daneben ein schwerer Unfall passiert ist, bei dem es vielleicht auch um das Leben von Menschen geht, spielt für sie keine große Rolle. Auch politisch motivierte Taten kommen vor, bei denen die Täter die Rettungskräfte mit der Staatsmacht gleichsetzen und deshalb angreifen. Die Uniform alleine reicht schon, um manche aggressiv zu machen.

Hat die Gewalt gegen die Helfer in den vergangenen Jahren zugenommen?
Der wissenschaftlich einwandfreie Beweis fehlt nach wie vor, aber es gibt Tendenzen. Zum einen in den offiziellen Zahlen, aus der Kriminalstatistik, in der wir einen Anstieg sehen. Zum anderen wissen wir aus der Forschung, dass die Dunkelziffer erheblich ist. Auch die Aussagen aus meiner Studie legen einen Anstieg nahe: Wenn ich 1.600 Personen befrage und davon 99 Prozent sagen, es wird mehr, sehe ich wenig Anlass, das zu bezweifeln.

Wie kommt es zu der hohen Dunkelziffer?
Die offiziellen Zahlen sind nur die Strafanzeigen. Was nicht angezeigt wird, taucht auch nirgendwo auf. Die Feuerwehren und Rettungsdienste selbst erheben solche Vorfälle nämlich nach wie vor noch nicht.

Warum zeigen die Opfer die Taten dann nicht konsequenter an?
Anzeigen sind sehr aufwändig und Feuerwehrleute sehen leider oft keine großen Erfolgsaussichten, weil sie wissen, dass die meisten Verfahren in solchen Fällen eingestellt werden.

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