Gewalt daheim: In 10 000 Familien wird geprügelt

München - Ihre Lippe war aufgeplatzt, ihr rechtes Auge zugeschwollen, sie hatte Schürfwunden am ganzen Körper. Immer wieder hatte ihr Mann, ein Münchner Ingenieur (47), am Sonntagabend auf die Kindergärtnerin eingeschlagen. Als die Polizei bei der Familie in der Maxvorstadt eintraf, fand sie den Gatten wutschnaubend vor, die Frau wimmernd, blutend und am Boden zerstört.
Ein ähnliches Bild am Montag in der Früh in Sendling. Noch vor Schulbeginn hatte ein Familienvater (38) in der Küche seine Frau und die zwei kleinen Kinder verprügelt.
In beiden Fällen hatten die Nachbarn die Polizei gerufen. „Wir haben diese Fälle tagtäglich in München“, sagt Polizeisprecher Oliver Timper. „Das zieht sich durch alle Berufs-, Alters- und Vermögensgruppen – vom arbeitslosen Maurer bis zum Topmanager.“ Häusliche Gewalt – viele Betroffene schweigen darüber. Und doch ist sie in München allgegenwärtig: 2013 ist die Münchner Polizei 3500 Mal ausgerückt, um Prügel in Familien zu verhindern. Dabei ist die Dunkelziffer viel höher. „Ich denke, dass es weit mehr als 10 000 Fälle sind“, sagt Cornelia Lohmeier, kommissarische Chefin der Münchner Gleichstellungsstelle. In der Regel sind es Männer, die innerhalb der Familie gewalttätig werden. In zehn Prozent der Fälle sind Frauen die Täter.
Lesen Sie hier: #WhyIStayed: Twitter-Debatte über häusliche Gewalt
„Meistens sind es Kleinigkeiten, die als Auslöser genannt werden“, sagt Cornelia Lohmeier. „Da waren die Kinder zu laut, das Essen zu salzig oder sie hat sich geweigert, zu bügeln. Erst schreit der Täter, dann macht er ihre Familie schlecht, ihre Erziehungsmethoden oder ihren Einsatz im Job. Schließlich fliegen Fäuste, knallen Gürtel – bis hin zur Vergewaltigung. Es geht immer um Machtausübung.“
Schneller Schutz für Opfer
Was nur wenige Betroffene wissen: Mit dem „Gewaltschutzgesetz“ (das seit 2002 gilt) haben Opfer gute Möglichkeiten, sich zu schützen: Zeigt etwa eine Frau an, dass ihr Mann sie akut bedroht, kann die Polizei ein „Kontaktverbot“ für 48 Stunden aussprechen.
„Der Täter muss dann die gemeinsame Wohnung sofort verlassen und darf sich so lange weder sehen noch hören lassen“, erklärt Polizeisprecher Timper. „Hält er sich nicht daran, begeht er eine Straftat.“
2013 hat die Polizei 747 Münchner Tätern ein solches Kontakt- oder Näherungsverbot wegen häuslicher Gewalt aufgebrummt. Auf Wunsch vermittelt die Polizei auch sofort Hilfe über einen der Hilfsvereine für Opfer.
Zum Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen erscheint heute eine Neuauflage der städtischen Broschüre „Gewaltschutzgesetz“, die die Rechte der Opfer gut erklärt und zeigt, wo sie Hilfe finden. Man kann sie kostenlos bei der Gleichstellungsstelle im Rathaus (Marienplatz) abholen oder unter www.muenchen.de abrufen. Irene Kleber