Geschlossene Clubs: Wenn mit der Party ein Lebensgefühl wegbricht

Tanzen, flirten, sich ausprobieren: Das ist seit über eineinhalb Jahren nicht möglich. Kaum ist seither über die soziale Seite von Clubs gesprochen worden. Kommt die Unbeschwertheit bald wieder zurück?
David Lohmann |
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Dicht an dicht tanzen, sich ausleben - ohne Gedanken an morgen (oder an eine Corona-Infektion): fast vergessene Szenen aus einem Club.
Dicht an dicht tanzen, sich ausleben - ohne Gedanken an morgen (oder an eine Corona-Infektion): fast vergessene Szenen aus einem Club. © picture alliance/dpa

Nur eine Nacht mal wieder ausgehen: Das steht ganz oben auf der Wunschliste von Kilian Steinberg. Vor der Pandemie war der Student regelmäßig mit seinen Freunden in Münchner Techno-Clubs unterwegs. "Clubs unterbrechen den Alltag", sagt der 23-Jährige. Seit eineinhalb Jahren ist das nun nicht mehr möglich. "Durch die Clubschließungen ist ein Ort verloren gegangen, an dem man sich ausprobieren kann."

Gerade für Junge, die neu in der Stadt sind, sei es wahnsinnig schwer gewesen, in dieser Zeit neue Freunde kennenzulernen. Ein weiterer negativer Aspekt an der Zwangspause sei, dass die Subkultur in München weiter abnehme.

Tatsächlich geht die Zahl der Diskotheken und Tanzlokale stetig zurück - 2019 gab es fast ein Drittel weniger als noch 2012. Zahlen für 2020 liegen noch nicht vor. Durch die monatelangen Schließungen dürfte sich der Trend noch weiter beschleunigen. Wie wichtig Musikspielstätten für die Kultur sind, zeigt eine vom Bundesstaatsministerium für Kultur und Medien finanzierte Studie der Initiative Musik.

Die Club-Szene wird sich durch Corona verändern

In normalen Zeiten finden bundesweit täglich mehr als 500 Musikveranstaltungen statt, die pro Jahr von 50 Millionen Gästen besucht werden. Das ermöglicht jährlich 260.000 Künstlern einen Auftritt. "Die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf das Sozialverhalten von Jugendlichen reichen aus unserer Sicht aber weit über die Schließung von Clubs und Diskotheken hinaus", sagt ein Sprecher von Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU).

Der Moderator, DJ und Musikjournalist Markus Kavka sagt in einem Interview: "Die Club- und Kulturszene wird sich im Zuge der Corona-Krise nachhaltig verändern. Und natürlich nicht zum Guten." Er findet: "In einem Club können sich Menschen aller Hautfarben und aller sexuellen Ausrichtungen begegnen, was Vorurteile abbauen hilft."

Lange sind Clubs Spielhallen und Bordellen gleichgestellt

Die Verantwortung für die Situation der Clubbranche sieht der Musikjournalist bei der Politik. "Ich empfinde es als unverantwortlich und nicht nachvollziehbar, wie wenig die das auf dem Schirm hat." Die Debatte drehe sich ausschließlich um die Jobs, nicht um "die soziale Komponente, die Clubkultur hat". Immerhin wurden Clubs im Mai vom Bundestag rechtlich Kultureinrichtungen gleichgestellt - davor waren sie auf einer Stufe mit Spielhallen und Bordellen.

Aber die Clubschließungen beeinflussen auch die Ausbildung junger Menschen. Das Institut für Kunstpädagogik an der Universität München bietet seit 1995 Seminare zu experimentellen Videoarbeiten an, die zum Seminarabschluss regelmäßig mit einem VJ-Live-Einsatz in Clubs wie dem Münchner Harry Klein enden. "Der Bewegtbild-Bereich ist nach unserer Philosophie nie zu trennen von einer Erfahrung von Raum, Sound und anderen Menschen", sagt Dozent Daniel Botz.

Tanzmusik per Livestream kann kein Ersatz sein

Aus diesem Grund könnten auch Videoseminare und Streaming-Events kein Ersatz sein. Er befürchtet, dass durch Corona DJs und VJs auf der Strecke bleiben, da sie lediglich als "Unterhaltung" wahrgenommen werden. "Dabei ist der Besuch im Club für mich immer künstlerisch genauso wichtig und inspirierend gewesen wie der Besuch einer Ausstellung, ein Fest für alle Sinne", unterstreicht Botz.

"Es fehlt ein Teil des Lebens. Es fehlt die spontane Ausgelassenheit. Es fehlt das Ventil. Es fehlt das zufällige Zusammenkommen mit vielen anderen, die denselben Sound erleben wollen. Und es fehlt auch das Gefühl, mit den eigenen Bedürfnissen anerkannt zu werden", sagt David Süß vom Verband der Münchner Kulturveranstalter. Es sei mit einer großen Traurigkeit verbunden, all die Orte ungenutzt zu wissen. Süß hätte sich vor allem im Sommer mehr Angebote im Freien gewünscht. "Es fehlte das klare Zeichen: Wir wissen um eure Bedürfnisse und wir helfen euch, diese möglichst sicher auszuleben."

Der Bundesverband deutscher Discotheken und Tanzbetriebe im Deutschen Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) bezeichnete die Lage als "katastrophale Ausnahmesituation". "Die Politik hat unterschätzt, wie wichtig Lebensfreude für den Zusammenhalt in einer Pandemie ist", sagt Bayerns Dehoga-Chef Thomas Geppert.

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Dehoga-Chef: "Das hat mir aus Mitleid das Herz zerrissen"

Es sei immer nur über Systemrelevanz gesprochen worden, dabei haben Orte, an denen Menschen zusammenkommen, eine wichtige gesellschaftliche Funktion. Der Moment, als das Ausgehen verboten wurde, habe ihm aus Mitleid beinahe "das Herz zerrissen", sagt Geppert.

Immerhin ist der Münchner Psychologe Dieter Frey überzeugt, dass der jungen Generation kein Lebensgefühl verloren geht. "Natürlich fehlt durch den Wegfall einer gewissen Unbeschwertheit ein schöner Baustein des Erwachsenwerdens." Frey glaubt aber, dass junge Menschen vieles nachholen und zukünftig auch wieder mehr feiern werden. "Gott sei Dank", schiebt er hinterher.

Auch um den Clubnachwuchs macht sich Frey keine Sorgen. Ein Problem bleibt aber weiterhin bestehen: "Viele Jugendliche haben mir erzählt, dass ihre Smalltalk-Fähigkeiten eingerostet sind, weil sie die letzten eineinhalb Jahre nur über Corona gesprochen haben."

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5 Kommentare
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  • Boandlkramer am 18.09.2021 21:00 Uhr / Bewertung:

    Von den ganzen Clubbetreibern und Clubbesuchern hat man auf den diversen Demos gegen die Coronapolitik nichts und niemanden gesehen. Scheint also nicht so schlimm zu sein.

  • Frale am 18.09.2021 14:24 Uhr / Bewertung:

    Seit 18 Monaten NIX .... komme mir nur vor als ob ich 3 Sachen machen darf = viel arbeiten / viel Steuern zahlen/ Essen einkaufen !!! === Will man mehr , wird man ausgebremst.
    Es reicht. ... und ja ich bin geimpft !
    Man will auch mal weggehen, abschalten vom Alltag. Geht nur nicht. Und das schlägt aufs Gemüt !

  • Boandlkramer am 18.09.2021 20:58 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von Frale

    26.09. Coronapolitiker abwählen.

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