Geschichte der Münchner Polizei: Wildwest an der Isar
München - Mit Franz Xaver Pitzer fand die Nachkriegs-Misere an der Spitze der Münchner Polizei noch lange kein Happy End. Vielmehr griffen bereits erkennbare rassistische Tendenzen um sich. Seinen Stellvertreter und damit Nachfolger hatte Pitzer, noch als SPD-Mitglied, so ausfindig gemacht: "I bin die ganze Zeit umanand grennt und hob an Vizepräsidenten gsuacht, der Jurist is. Aber die Juristn warn halt alle PG (Parteigenossen, d. Red.)."
Schließlich fand er Ende 1949 doch ein Nichtmitglied der NSDAP, den Antinazi Dr. Ludwig Anton Weitmann. Der war in die Schweiz emigriert und dort beim Spekulieren an der Börse höchst erfolgreich; über ein Internierungslager in Australien war er nach München heimgekehrt.
Mit seinem Chef Pitzer verband ihn das rigorose Durchgreifen. So soll Weitmann in einem vertraulichen Schreiben an die Militärregierung "freien Schusswaffengebrauch bei jüdischer Bestialität" gefordert haben und außerdem eine "endgültige Säuberung des Aufruhrortes". Gemeint war die Möhlstraße.
Demonstration wegen antisemitischen Leserbrief
Dort waren am 9. August 1949 wegen eines antisemitischen Leserbriefs, den die "Süddeutsche Zeitung" versehentlich veröffentlichte, wütende Demonstranten zum Verlagshaus aufgebrochen. Am Friedensengel stießen sie auf amerikanische und deutsche Polizei. Es kam zum Feuergefecht. Zurück blieben drei jüdische Marschierer mit Bauchschüssen und 21 verletzte Polizisten.
Im Dezember darauf übernahm Weitmann das Kommando in der Ettstraße. Er drohte: "Der Arm der Polizei reicht bis in den letzten Winkel der Erde. Da kommt uns keiner aus." Doch bald schon leitete die Staatsanwaltschaft gegen ihn Ermittlungen ein.
Es ging um Devisen in der Schweiz, die er, was streng verboten war, in die deutsche US-Zone geschmuggelt hatte. Auch in einen Weinschieberprozess in Traunstein war der Polizeipräsident zusammen mit einigen CSU-Politikern verwickelt. Der Fall kam zwar nicht vor Gericht, doch schied Weitmann, kurzfristig noch des Meineids verdächtigt, Mitte 1952 aus dem Polizeidienst aus - er wurde Oberrechtsrat in der Stadtverwaltung.

Nach einem Intermezzo bekam München einen Obersheriff, der die unruhig werdende Isarstadt ein wenig mit dem Wilden Westen verwechselte. "Wenn ich diese Typen sehe, geht mir das Klappmesser in der Hosentasche auf" - Anton Heigl, Polizeipräsident seit 1952, meinte jene meist jugendlichen, oft langhaarigen, mit grünen Parkas bekleideten Bürger, die in der späteren, wenig reformfreudigen Adenauer-Ära gegen allerlei Erstarrung aufmuckten.
1905 geboren, hatte er schon in der Weimarer Zeit als junger Staatsanwalt für Recht und Ordnung gesorgt. Sein Brevier war ein Standardwerk von 1930 über den "Einsatz stärkerer Polizeikräfte". Bei "Ansammlungen", so denn auch eine Ausbildungsrichtlinie von 1957, sei neben der Räumung die "Festnahme der Rädelsführer und deren fanatischer Gefolgsleute sicherzustellen".
Anton Heigl: Keine Gnade vor Recht, kein Hinterfragen
Anton Heigl war der willige Vollstrecker. Keine Gnade vor Recht, kein Hinterfragen. Mit voller Wucht begegnete seine damals noch städtische Polizeimacht den sogenannten Halbstarkenkrawallen ebenso wie den Unruhen um den Ladenschluss Ende 1953 und Anfang 1954, als der Einsatz berittener Polizei zahllose Demonstranten, aber auch unbeteiligte Passanten in Gefahr brachte und die Zellen in der Ettstraße sich füllten. Der Präsident selbst liebte das Kommandieren auf Pferden.

In einer nur 32 Spezialbeamten zugänglichen Ecke der Ettstraße war ein Archiv mit sechs Millionen großenteils uralten Strafakten von Münchner Bürgern versteckt, die noch aus der Nazi-Zeit stammten. Als 1958 ein geheimer, lukrativer Handel mit einzelnen Dokumenten ruchbar wurde, stellte sich Heigl schützend davor: "Die Kartei ist unser Gedächtnis bei der Verbrecherjagd." Heigl ließ jagen, wo immer es ihm nötig schien.
Das Schlachtfeld des Polizeipräsidenten: Die Leopoldstraße
Die heißesten aller Tage erlitt Nachkriegs-München bei den Schwabinger Krawallen im Juni 1962. Heigls Schlachtfeld war die Leopoldstraße. Als aus den Reihen tanzender Jungbürger heraus die Reifen eines Funkstreifenwagens zerstochen wurden, befahl der schneidige Präsident den bedingungslosen Großeinsatz. Wahllos wurde auf völlig Unbeteiligte, darunter den Direktor des Stadtjugendamtes, eingeprügelt. Bis zu 30 Polizeiwagen waren gleichzeitig vor Ort. Berittene Beamte benutzten den Boulevard wie Cowboys eine Prärie voller Rinderherden.

Die genaue Zahl der Verletzten auf beiden Seiten und die der vorläufigen Festnahmen wurden offiziell nie bekannt. Der seit zwei Jahren amtierende Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel berief eine Krisensitzung kommunaler Gremien ein.
Später erinnerte sich der damals 36-Jährige: "Polizeipräsident Heigl, der jedenfalls nominell den Einsatz leitete, war kein Freund differenzierter Betrachtungen und Abwägungen. Er wollte daher die Polizei unverzüglich und mit allem Nachdruck vorgehen und auch vom Gummiknüppel Gebrauch machen lassen."
Heigl war auch kein Freund von Diskussionen. Bei einem Gespräch, das Vogel im Rathaus mit Studentenvertretern führte, verweigerte er seine Teilnahme. Und einem Reporter der "SZ" wollte er keine Frage beantworten, weil ihm bei den Krawallen sein "Hefterl" abhanden gekommen sei.
Weil sich die Stadträte (bis auf den parteifreien Dr. Keller) trotzdem hinter diesen Polizeipräsidenten stellten, verkündete die stets kritische Abendzeitung, sie übernehme nunmehr die "öffentliche Kontrollfunktion".
Erst als Vogel den fast gleichaltrigen, legeren, längst legendären Kriminaldirektor Manfred Schreiber zum 4. November 1963 als Polizeipräsident berief, wurde die Münchner Polizei das, was sie heute ist: eine demokratische, funktionierende Ordnungskraft. Dank Schreibers Devise "Mir san liberal, aber ned bläd" konnten ernsthafte Auseinandersetzungen von vornherein verhindert werden.
Die Polizei blieb, über all die Jahrzehnte hinweg, Freund und Helfer und Beschützer von Bürgern und Gesetzen. Die neuartige Krise freilich stellt sie vor neue Herausforderungen, die vielen Bürgern Probleme bereiten.
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