Gerner Brücke: Ein Münchner Sommerort am Nymphenburger Kanal

München - Das eigentliche Spektakel ist der optische Dreiklang. Von oben, sagt Till Klasen (24), ist es die Sonne. Die geht morgens über dem Hubertusbrunnen auf, zieht ihre Bahn schnürlgerade über den Kanal, bis sie hinter dem Nymphenburger Schloss versinkt und golden durch die Fenster strahlt. Von unten ist es das Wasser, das in allen Farbtönen schimmert, von Laubfroschgrün bis zum Nachtblau eines Waldes.
Und Nummer drei? Das ist die Wasserspiegelung, die auf dem Betongeländer Schattenspiele reflektiert. "Unfassbar ästhetisch ist das", sagt er, "das entschleunigt mich total."

Gerner Brücke wurde 1897 erbaut
Es ist ein sommerlicher Donnerstagabend Mitte August, Till, ein Kommunikationsdesign-Student, sitzt auf der Brüstung der Gerner Brücke. 29 Meter autofreie Zone sind das hier, zehn Meter breit, eine Brücke aus dem Jahr 1897 aus schwerem Eisenbeton gebogen, die Brüstung gerade breit genug, um gemütlich darauf zu lümmeln.
Neben ihm lässt sein WG-Nachbar Nils Steinacher (19), Architekturstudent, die Beine baumeln. Sie prosten sich zu mit ihrem Feierabendbier, und nichts ist so, wie man es der Gerner Brücke seit dem Frühsommer nachgesagt hat. Kein Partyhotspot voller junger Leute, kein Klirren von Bierflaschen, keine Beats aus mobilen Lautsprecherboxen. Die Jugend scheint noch verreist zu sein - oder anderswo unterwegs in der Stadt.
Gerner Brücke: Ein sagenhaft schöner Ort
Jetzt traben Jogger links und rechts an der Auffahrtsallee entlang. Pärchen lachen leise. Ein Hund bellt. Eine Flaschensammlerin schiebt ihr Radl vorbei, es gibt nicht viel, das sich einzusammeln lohnt. Vereinzelt kreuzen Radler die Brücke auf dem Weg von Neuhausen nach Gern oder andersherum. Und Wolken lassen sich vom Abendlicht bescheinen, Tupfen aus Gold, Mattgrau, Rosa.
Ein leises Kichern dringt von gegenüber her. Marco, ein Wirtschaftsingenieur (25) im schwarz-goldenen Faun-T-Shirt hat eine Flasche Dornfelder Rosé ausgepackt und in zwei Weingläser eingeschenkt. Eine Tüte Tortillachips raschelt. Chantal (29) neben ihm schiebt sich die Sonnenbrille ins Haar, hält das Roséglas gegen den Himmel.

Was ist das, ein Date? Nein, nur ein sagenhaft schöner Ort, sagt Marco, mit dem Sonnenuntergang hier könne man gut "Ladies bespaßen". Und das Programm sei unterhaltsam. Einmal hat's einen Streetfight oben ohne gegeben. Die Polizei hat eine Vollbremsung gemacht, da haben alle ihre T-Shirts mit viel Gelächter wieder angezogen. Einmal ist jemand Schwimmen gegangen, weil seine Bierdose von der Brüstung gefallen ist. Badengehen für die Nachhaltigkeit.
"Die Brücke verbindet uns irgendwie"
Auf der Mitte der Brücke bleibt ein älterer Herr stehen, lehnt sich an die Brüstung. Schaut. Er sieht zwei Damen, die sich zum "Brückentreff" verabredet haben, Nina, eine Anwältin, lebt drüben in Nymphenburg, Alessandra, Heilpraktikerin, gegenüber in Gern. Und er sieht vier junge Leute, die sich nach dem Job treffen, auf ein Kaltgetränk, um dann weiter zu ziehen.
Jeden Abend mache er das, also fast jedenfalls: auf der Brücke stehen, Menschen zuschauen, wie sie gehen, was sie anhaben, wie sie lächeln, sagt Miramad Bosorgsade (72). Die drei Söhne sind aus dem Haus, er lebe allein. "Ich mache hier eine Menschendusche."

Und dann rührt sich doch noch was in der Ereignislosigkeit. Am Nordende der Brücke packt ein Mann einen Mikrofonständer aus. Stellt einen kleinen Verstärker auf. Ein Schild. "Mitch the Harper" steht darauf.
Zufällig sei er da, sagt Mitch (49) aus Grünwald, der eigentlich Michael heißt, er habe sich irgendwo hinstellen und Mundharmonika spielen wollen. Nicht immer an derselben Stelle die Anwohner nerven. Er spielt dann, irgendwas zwischen Blues und Rockabilly. Lange spielt er, bis ein Streifenwagen hält. Und weiterfährt.

Es ist dunkel geworden. Die zwei Ampeln vor der Gerner Straße leuchten rot und grün in die Dämmerung. Miramad Bosorgsade ist weg. Till und Nils, die Studenten, hocken immer noch da. Ihre Hellen sind leer, sie geben sie der Flaschensammlerin mit, die wieder ihr Radl vorbeischiebt. Das Körberl ist jetzt voll, zwei schwere Tüten hängen am Lenker.
"Ich kenne die Leute alle nicht, die hier sind", sagt Till. "Ich habe trotzdem das Gefühl, als würden wir alle zusammengehören, alle denselben Vibe haben." Ob da viele sitzen, wie im frühen Sommer. Ob sie 17 sind oder 70. Ob welche picknicken oder tanzen.
Oder ob es still ist wie heute. "Die Brücke verbindet uns irgendwie." Und irgendwann wird er's machen: am Hubertusbrunnen in ein Schlauchboot steigen. Unter der Brücke durch eineinhalb Kilometer gen Sonnenuntergang paddeln, bis dahin, wo die Schlossfenster golden strahlen. Erlaubt sei's ja nicht. Macht hier auch keiner. Aber cool wär's schon.