Gerda Peter und Christian Amlong: Geschäftsführer der GWG über Wohnen in München

München - Eine bezahlbare, angemessene Wohnung: Das Thema ist so aktuell wie vor 100 Jahren. Am 6. Mai 1918, wenige Monate vor dem Ende des Ersten Weltkriegs, wurde im Münchner Rathaus die "Gemeinnützige Wohnstättengesellschaft" gegründet - eine der ersten kommunalen Wohnungsgesellschaften in Deutschland. Aus ihr wurde die städtische Wohnungsgesellschaft GWG.
Zum 100-Jährigen sprach die AZ mit den Geschäftsführern von heute, Gerda Peter und Christian Amlong.
AZ: Frau Peter, Herr Amlong, Ende der 60er Jahre brachten Hausverwalter jeden Monat eine Million Mark Mieteinnahmen zur Bank - bewaffnet! Aus 10.000 GWG-Wohnungen sind 28.600 geworden. Wie hoch sind heute die Einnahmen?
CHRISTIAN AMLONG: Weit über 10 Millionen Euro im Monat - und die Bewaffnung wurde abgeschafft . . .!
In den 50er Jahren war das Standard-Zimmer für zwei Kinder eine Kammer ohne Fenster, acht Quadratmeter klein. Wie ist es heute?
GERDA PETER: Heute muss das Zimmer für ein Kind mindestens zehn Quadratmeter und natürlich ein Fenster haben. Für zwei Kinder 14 Quadratmeter.
Ist Kinderlärm immer noch die häufigste Beschwerde?
AMLONG: Nein. Es gehört zu unserer Philosophie, kinderfreundlich zu sein. So ist auch unsere Hausordnung. Das bekommen alle Mieter, die bei uns einziehen, ausführlich erläutert. Wenn man das so in die Siedlungen hineinträgt, wird es auch akzeptiert.
Woran entzünden sich die meisten Konflikte?
AMLONG: Die meisten entstehen, weil die Fähigkeit abnimmt, Dinge normal miteinander zu regeln. Da geht es zum Beispiel darum, dass der Nachbar den Müll nicht richtig trennt oder den Sperrmüll liegenlässt. Ohne Unterstützung geht es oft nicht mehr. Das Hauptproblem ist, dass wir immer mehr Personen in der Gesellschaft haben, die durchs Raster fallen und individuelle Probleme haben. Das kann zu sozialen Konflikten führen.
Wie begegnen Sie dem?
AMLONG: Die GWG hat sechs Konfliktmanager - alle sind Sozialpädagogen - die vor Ort unterwegs sind und Frieden stiften, wenn es Ärger gibt.
Gibt es heute mehr Nachbarschaftsstreitereien als früher?
GERDA PETER: Ja. Es ist generell so, dass sich das Gebot der Rücksichtnahme - auch bei unserer Mieterschaft - verliert.
Thema Bauen und Wohnen: Was kommt gut an bei Ihren Mietern?
PETER: Unsere Außenanlagen und Balkone werden sehr gut aufgenommen. Mittlerweile ist es Standard, dass jede Wohnung mit Balkon ausgestattet wird.
AMLONG: Von den abgezäunten Mini-Gärten im Erdgeschoss wollen wir wieder abkommen.
Warum das?
AMLONG: Jeder möchte einen privaten Bereich nur für sich, und sei er auch noch so klein. Bis man merkt, man hat eigentlich nichts davon. Aber das merken die Leute erst, wenn sie dort wohnen. Da braucht es erst ein paar Informationsveranstaltungen. Wir setzen lieber auf eine Grünfläche mit einem tollen Kinderspielplatz und Liegewiese, die gemeinsam genutzt werden kann.
Was schätzen Mieter noch?
AMLONG: Qualität. Wir merken, dass es sich lohnt, auch im geförderten Wohnungsbau auf gute Materialien zu setzen. Einen guten Standard in ein Bad einzubauen, rentiert sich langfristig, da die Mieter sorgfältiger damit umgehen. Andererseits wird manches, das baulich viel kostet, gar nicht als Qualität wahrgenommen.
Zum Beispiel?
AMLONG: Früher hat man viele unterschiedliche Grundrisse in einem Gebäude angeboten, das wurde von den Mietern nicht honoriert. Heute standardisieren wir mehr und bieten auf allen Etagen denselben Wohnungstypus an. Damit wird viel Geld gespart, das wir woanders einsetzen können.
Womit tun sich Ihre Mieter schwer?
PETER: Wir haben Apartments gebaut, die zusammengeschaltet werden können zu Senioren-WGs. Da ist die Akzeptanz schwierig. Es ist generell so, dass es nicht so gut ankommt, wenn eine WG sozusagen von außen verordnet ist und nicht von sich selbst aus entstehen kann. Das ist bei uns der Fall, da wir nicht selbst vermieten, sondern unsere Wohnungen in Zusammenarbeit mit dem Sozialreferat bzw. über eine Plattform anbieten.
"Hochhäuser sind eine Möglichkeit, um Wohnraum zu schaffen"
Müssen Wohnungen künftig kleiner werden, um Wohnraum für mehr Menschen zu schaffen?
PETER: Ja, das ist auf jeden Fall eine Zielsetzung unseres Hauses. Da arbeiten wir ganz stark daran. Aus den Förderrichtlinien gibt es Bestimmungen für Durchschnittsgrößen. Wir haben festgestellt, dass man durch intelligente, kreative Planung auch mit weniger Fläche gute Grundrisse schaffen kann. Wir wollen auch die Größe der Individualräume annähern und den Familien die Entscheidung überlassen, wie sie sie nutzen. Also statt einem Wohnzimmer mit 18 bis 20 Quadratmetern und einem Kinderzimmer mit zehn Quadratmeter lieber zwei gleich große Räume anbieten.
Wie sehr werden GWG-Wohnungen schrumpfen müssen?
PETER: Es gibt einen Durchschnittsfaktor, den wir von 67 Quadratmetern auf 63 runtergeschraubt haben. Wir wollen ihn noch um drei bis vier Quadratmeter verkleinern.
Also knapp 60 qm als Durchschnittswohnungsgröße? Für wie viele Menschen?
PETER: Das ist eine Kennziffer.
Wohnwahnsinn in München? So geht's auch billiger
Dann anders: Was ist die Schmerzgrenze für ein Ein-Zimmer-Apartment?
PETER: Ich denke, bei Wohnraum auf Zeit reicht es, wenn ein Voll-Apartment mit Sanitär und Kochnutzung 16 bis 18 Quadratmeter hat. Bei Wohnen auf Dauer muss man schon knapp 30 Quadratmeter ansetzen.
AMLONG: Wenn es deutlich unter 36 werden, nimmt die Nachfrage ab. Für eine 45-Quadratmeter-Wohnung haben wir schon mal 140 Bewerber, für eine mit 32 vielleicht mal nur 15 Bewerber.
Sind die Ansprüche zu hoch?
PETER: Ja, wir haben wahnsinnige Ansprüche. Da kann man sich zurückentwickeln.
AMLONG: Wir stellen aber auch fest, dass viele gerade bei den 2-3-Personen-Haushalten eine kleinere Wohnung wollen. Es ist allen klar, dass München sehr viel bietet und dass das Leben nicht nur in der Wohnung stattfindet.
Werden in 100 Jahren Hochhäuser die Stadt dominieren?
PETER: Hochhäuser sind eine Möglichkeit, Wohnraum zu schaffen. Ich kann es mir aber nicht als das einzige Format vorstellen. Wohnkolosse oder chinesische Verhältnisse sind soziale Brennpunkte, die man unbedingt verhindern muss. Die Stadt lebt von Vielfalt. Punktuell würde ich gerne Wohnhochhäuser bauen, es gibt in Frankfurt gute Beispiele.
Von kommunalen Wohnungsgesellschaften?
PETER: Eher von privaten. Beim Hochhausbau können die Statik und der Brandschutz die Kosten enorm in die Höhe treiben. Sowohl vom Stadtbild als auch aus der Perspektive des kommunalen Wohnungsbauers kann ich mir aber gut vorstellen, dass wir acht- bis zehngeschossige Häuser bauen. Wir brauchen eine höhere Dichte! Was wir aber auf gar keinen Fall brauchen sind Ghettos. Je dichter wir bauen, umso wichtiger ist die hohe Qualität der Architektur und der Freianlagen. Wir brauchen Lösungen, die uns größere Stadt- oder Wohnungsbausteine ermöglichen. Wir brauchen eine Vereinheitlichung bei Gestaltungsprinzipien, um Kosten zu sparen. Und wir brauchen eine hohe Aufenthaltsqualität, damit sich Menschen, die sich nicht so gut von sich aus vernetzen können, integriert werden können.
Gerda Peter und Christian Amlong arbeiten in der Nähe der Theresienwiese. Der Sitz der GWG ist in der Heimeranstraße. Foto: Daniel von Loeper
Wo will die GWG so bauen?
PETER: Auf dem Gelände der Bayernkaserne wollen wir in diese Richtung gehen. Dies wird das erste Areal, das wohl ähnlich dicht bebaut werden wird wie seinerzeit Schwabing.
Was wünschen Sie München für die nächsten 100 Jahre?
AMLONG: Ich wünsche mir, dass hier nach wie vor alle Gesellschaftsschichten wohnen und in Kontakt kommen können. Und nicht die Preisentwicklung dazu führt, dass hier nur noch eine bestimmte Klientel lebt. Und ich wünsche mir, dass Stadtplaner Quartiere mal ganz anders denken. Heute sind die stark segmentiert, es gibt Parkplätze, Begleitgrün, Radwege, Gehwege, Häuser. Ich wünsche mir Quartiere komplett ohne Autos, eingebettet in einen Grünzug mit Mobilitätsstation, wo man mit dem E-Auto vorfahren kann. Im Münchner Nordosten könnte so etwas entstehen. Ich kann mir auch weitere Parks vorstellen, die eingebettet sind in die wachsende Stadt.