Georg Elser: Der Bastler aus dem Hinterhof
MÜNCHEN - Rosmarie Noel ist die einzige noch lebende Person, die Georg Elser kannte – der Handwerker baute im Hinterhof der Türkenstraße seine Bombe, die Adolf Hitler galt. Rosemarie sah ihm dabei zu.
„Suchen Sie was Bestimmtes?“ Ein Mann beugt sich aus dem Fenster hinunter. „Die Werkstatt, wo Georg Elser gearbeitet hat“, sagt Rosmarie Noel. Sie steht im Hinterhof der Türkenstraße 59. Sie muss es wissen – sie ist die einzige noch lebende Person, die Georg Elser kannte.
Noel lebte 1939 hier mit ihren Eltern, damals war sie zehn. Ihr Vater Joseph hatte eine Kohlenhandlung – weiter hinten stehen noch die gemauerten Pfeiler des Kohlenlagers. Schräg gegenüber des kleinen Büros war die Schreinerei Brög. Dessen Geselle war 1939 schon im Krieg, an der Werkbank arbeitete Georg Elser an der Bombe, die Adolf Hitler am 8. November 1939 im Bürgerbräukeller treffen sollte. Elser war sehr zurückhaltend. Rosmarie Noel: „Er hat mit niemandem gesprochen.“
In der Schreinerei bekam sie immer Holzklötze zum Spielen. Als sie Elser an einer Holzkiste mit Metallfedern werkeln sah, fragte sie ihn, was er da macht. „Des verstehst du net, des wird a Padend, Madle“, antwortete er mit schwäbischen Akzent. Das gleiche hatte er auch Schreiner Brög erzählt. Als der fragte, ob das ein Uhrwerk wird, das morgens beim Wecken auch das Licht anzündet, sagte Elser: „Ja, so ähnlich.“
Im Bürgerbräukeller hielt Hitler jedes Jahr am Tag des Hitlerputsches eine Rede. 1938 kundschaftete Elser dabei die Lage aus, von August bis Anfang November 1939 isst er hier häufig – und lässt sich abends in das Lokal einschließen. In über 30 Nächten meißelt Georg Elser einen Hohlraum in eine Säule. Er fertigt eine Klappe an, mit der er das Loch immer verschließt. Gestein nimmt er im Sack mit. Morgens schleicht er sich durch den Notausgang nach draußen.
Tagsüber arbeitet Elser an der Bombe. Er baut zwei Uhren ein, die sechs Tage vorher gestellt werden können. Am 6.November fährt er – nachdem er alle Arbeiten beendet hatte – nach Stuttgart. Doch einen Tag später kommt er wieder. Er will sich vergewissern, ob die Uhren noch gehen. Am Morgen vor dem Attentat verlässt er den Keller, er will in die Schweiz.
Die Bombe erwischt Hitler nicht. An diesem Abend beendet er seine Rede früher als sonst. 13 Minuten, nachdem Hitler den Saal verlassen hat, explodiert die Bombe, acht Menschen sterben. Georg Elser wird abends in Konstanz zufällig festgenommen. Am 9.April 1945 wird er im KZ Dachau erschossen.
Aus der Zeitung erfuhr das Mädchen Rosmarie, wer der stille Zeitgenosse war, der bei ihnen im Hof arbeitete. „Wir waren erstaunt und schockiert, dass es der war, der im Hof ein- und ausgegangen ist“, erinnert sie sich. In der Türkenstraße tauchte die Gestapo auf. „Sie haben meine Eltern ausgequetscht wie eine Zitrone.“ Der Schreiner Brög sei sogar fünf, sechs Wochen bei der Gestapo gewesen.
Lange Zeit wurde Elser nicht gewürdigt, ihm wurde unterstellt, er sei bei der SS gewesen, andere sagten, er sei vom britischen Geheimdienst beauftragt worden. Doch er hatte alleine gehandelt. „Ich wollte den Krieg verhindern“, hatte er beim Verhör durch die Gestapo gesagt. Er hatte extremen Mut bewiesen und gezeigt, dass die Bürger in der Nazizeit sehr wohl Bescheid wussten über die Gräuel.
Auch München tat sich schwer mit ihm. In den 60er Jahren scheiterte der Versuch, eine Straße nach ihm zu benennen. 1989 wurde an der Stelle des abgerissenen Bürgerbräukellers eine unscheinbare Tafel angebracht. Ohne den Einsatz von Hella Schlumberger von der Georg-Elser-Initiative wäre es kaum zur Einweihung des Georg-Elser-Platzes an der Türkenstraße gekommen. Jetzt bekam er an dieser Stelle ein Kunstdenkmal. Das Datum des Anschlags – der 8. November leuchtet täglich um 21.20 Uhr über dem Platz. Gegenüber ist der Eingang zu dem Hinterhof, in dem Elser an der Werkbank die Bombe bastelte.
Rosmarie Noel, die 1968 aus dem Haus in der Türkenstraße ausgezogen ist, findet die Leuchtinstallation gut. „Das ist mal was anderes. Wenn es leuchtet, schaut jeder hin.“ An der Zeit sei es sowieso gewesen: „Ich habe das Gefühl, dass er sonst ganz vergessen worden wäre.“ Sie wird Georg Elser ganz bestimmt nicht vergessen.
Christian Hellermann
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