Genitalverstümmelung: Ihr macht einen Menschen kaputt!

AZ: Frau Korn, Sie waren vor wenigen Wochen in Burkina Faso im Einsatz. Welche Eindrücke haben Sie gesammelt?
Fadumo Korn: Ich habe so viel Elend gesehen, danach hatte ich selbst Albträume. Wir haben sechs Tage hintereinander sechs bis acht Stunden am Tag Frauen behandelt, von Krebsvorsorge bis Untersuchungen von Genitalverstümmelungen. Ich habe der Münchner Gynäkologin Eiman Tahir assistiert, ihr zum Beispiel mit einer Taschenlampe Licht bei der Untersuchung gespendet.
111 von 114 Frauen in Burkina Faso waren noch nie beim Frauenarzt
Was genau war Ihre Mission?
Unsere Gruppe hatte unter anderem 100 Kilo Medikamente dabei. Der Plan war, die Frauen zu untersuchen, aber auch Statistiken zu erstellen, etwa welche Art von Beschneidung sie haben, oder auch, wie viele Kinder sie zur Welt gebracht haben. Eine Frau hatte zwölf oder 14 Geburten hinter sich, genau wusste sie es nicht mehr. Fünf Kinder hat sie verloren.
Wie alltäglich ist für Frauen in dem westafrikanischen Land ein Besuch beim Frauenarzt?
Von insgesamt 114 Frauen waren vorher drei schon einmal bei einem Gynäkologen. Das Schwierigste war, ihnen zu verdeutlichen, was überhaupt gemacht wird. Sie haben gezittert, geschwitzt, haben die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen. Wir haben ihnen erklärt: Wir tun euch nichts, wir schauen erstmal.

Trotz dieser Furcht sind sie freiwillig zur Behandlung gekommen?
Die Frauen sind teilweise vier Stunden zu Fuß gelaufen, um die Ärztin 20 Minuten treffen zu können. Jeden Tag standen viele Patientinnen vor der Tür. Wir hätten wahrscheinlich jeden Tag 300 Frauen behandeln können. Es waren ausgesuchte Patientinnen mit den schlimmsten Problemen. Zum Beispiel einer extremen Senkung der Gebärmutter oder großen Zysten. Mein Mann hat Nummern an die Wartenden vergeben, dadurch gab es keinen Streit und kein Gedrängel.
Sie kämpfen seit Jahren gegen Genitalverstümmelung, die gesundheitliche Folgen nach sich ziehen kann wie Totgeburten, Zysten, aber auch Schmerzen beim Toilettengang und der Periode. Wie viele von den Patientinnen in Burkina Faso waren davon betroffen?
Nur drei Frauen waren nicht beschnitten. Ich habe ihnen gesagt, dass sie glücklich sein können und dass ich selbst meine Organe mit sieben Jahren verloren habe. Dann haben sie wiederum mich gedrückt, es war so rührend.
Ägyptische Tradition will weibliche Sexualität kontrollieren
Woher kommt die Tradition, Frauen zu beschneiden? Ist das religiös begründet?
Diese Tradition geht 5000 Jahre zurück. Damals gab es unsere Religionen noch gar nicht. Ausdrücklich: Es kommt auch nicht vom Islam – es wird ja überall beschnitten. Genauso gibt es muslimische Länder, die nicht beschneiden, wie Marokko und Tunesien.
Woher kommt es dann?
Es ist nachgewiesen, dass die Beschneidung aus dem alten Ägypten kommt. Die schlimmste Form heißt deswegen auch pharaonische Beschneidung.
Was bedeutet das?
Dabei werden die Klitoris und die inneren Schamlippen entfernt, anschließend wird alles zusammengenäht. Es bleibt eine fünf bis sieben Millimeter große Öffnung übrig.
Wie rechtfertigen Befürworter diese Grausamkeit?
Einerseits damit, dass es eben schon immer so war. Ich habe mit Menschen gesprochen und gesagt: "Ihr macht einen Menschen kaputt!" Aber in diesen Gesellschaften hat man nur als beschnittenes Mädchen einen Wert. Die Mutter ist verantwortlich dafür, dass das Mädchen jungfräulich und gut erzogen in die Ehe geht. Durch die Beschneidung soll die weibliche Sexualität kontrolliert und zugleich verhindert werden, dass die Frauen Lust auf Sex haben und vielleicht am Ende sogar fremdgehen. Es wird ganz bewusst gegen die Sexualität der Frau gekämpft.
Auch in Peru und Südamerika werden Frauen beschnitten
Kann man eingrenzen, wo diese Praktik vollzogen wird?
Früher ging man von 28 afrikanische Ländern aus. Die globale Bewegung aber hat die Beschneidung ausgebreitet. Es sind Länder dazugekommen, wo wir das vorher gar nicht angenommen haben.
Welche zum Beispiel?
Etwa Peru in Südamerika. Ich habe auch schon in Sri Lanka eine beschnittene Frau kennengelernt.
Was löst die Beschneidung bei Mädchen aus?
Einen seelischen und körperlichen Schock. Diese kleinen Kinder werden ohne Narkose und überfallartig beschnitten. Denn es ist ein Tabuthema, es wird nicht darüber gesprochen. Die Kinder werden oft hereingelegt. Ihnen wird weisgemacht, man gehe etwa zum Einkaufen. Dann schnappt man sie und beschneidet sie. Der Schock, die Schmerzen, der Betrug – es kommt alles zusammen.

Bildung statt Beschneidung: Korn kämpft mit Petition
Wie kämpfen Sie dagegen an?
Die Menschen müssen aufgeklärt werden, auch in Deutschland! Unser Slogan ist: Bildung statt Beschneidung. Die Mütter sollen verstehen: Die Tochter ist nicht auf die Ehe, auf einen Mann beschränkt, sondern sie ist selbstständig und kann auch ohne Mann überleben. Das muss verstanden werden. Das bedeutet sehr viel Arbeit, immer wieder von vorne anfangen und daran erinnern, dass Gott das nicht möchte.
Lässt sich der Eingriff rückgängig machen?
Was weg ist, ist weg. Aber es gibt die Möglichkeit von plastischer Chirurgie.
Sie haben vorhin erwähnt, dass auch Sie als kleines Kind beschnitten wurden. Verblasst die Erinnerung an die Beschneidung irgendwann?
Bei mir verblasst diese Erinnerung nie. Diesen ersten Schnitt werde ich nie in meinem Leben vergessen, das war wie eine Explosion in meinem Kopf. Ich war sieben Jahre alt und total ahnungslos. Ich habe kurz davor gespürt, dass jetzt etwas ganz Schlimmes passieren würde – aber wohin sollte ich laufen in der somalischen Steppe? Es gibt kein Wort für diesen Schmerz. Später fühlte es sich bei der Periode an, als würde ein wildes Tier in mir wühlen. Dazu kommt: Wie erklärt man seinem Arbeitgeber, dass man jeden Monat zwei Tage vor Schmerzen ausfällt? Deswegen fühle ich ganz genau, was diese Frauen spüren. Aber aus dieser fürchterlichen Geschichte ziehe ich positive Wut und kämpfe zum Beispiel mit meiner Petition.
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