Generation Porno: "Aber ab elf Jahren geht es los"

Mit den neuen Medien fallen alle Hemmungen – erst haben Jugendliche Filme von Gewaltexzessen online gestellt, jetzt landen Fotos von Teenies beim Sex im Internet – was eine Expertin dazu sagt.
Chatrooms, Netzwerke, Porno-Plattformen – wo Teenager ihre Zeit im Internet verbringen, ist für viele Erwachsene nur schwer zu durchschauen. Doch nie stand die Tür zum Sex im Kinderzimmer weiter offen. Lehrer, Psychologen und Sozialpädagogen haben sich in München zur Fachtagung „Sexualisierte Übergriffe zwischen Kindern unter 12 Jahren“ getroffen. Zentrales Thema dabei war das veränderte Sexualverhalten in jungen Jahren: Was gehört zur sexuellen Neugierde und bei welchen Handlungen sollten Erwachsene alarmiert sein? Verrohen die Kinder durch den vielen Sex in Bildern? Julia von Weiler, Geschäftsführerin von „Innocence in Danger“, hat sich dem Kampf gegen Missbrauch und sexuelle Ausbeutung von Kindern im Internet verschrieben. Dazu gibt es die Hotline N.I.N.A (01805/123465), bei der Verdacht auf Missbrauch gemeldet werden kann. Ein Interview mit der Psychologin über die neue Hemmungslosigkeit der Teenager.
Frau von Weiler, das Internet ist voller Sex, auf Handys kann man Pornos anschauen. Was bedeutet das für Heranwachsende?
JULIA VON WEILER: Fachleute berichten immer häufiger von sexualisierten Übergriffen zwischen Kindern und Jugendlichen. Am Anfang war das Phänomen Happy Slapping in Großbritannien – Kinder und Jugendliche trafen sich, um einen Fremden zu vermöbeln und das mit dem Handy zu filmen. Sehr schnell entwickelte sich ein sexualisiertes Verhalten, auch hier in Deutschland. Zum Beispiel der Fall von einem Mädchen, das sich in einem Chat in einen anderen Jugendlichen verliebt hatte. Sie kamen zusammen, hatten Sex. Er fragte sie, ob sie es schlimm fände, wenn sein kleiner Bruder das mit der Kamera filmt. Sie hatte nichts dagegen und so verbreitete sich das Video im Internet. Auf einmal drehte sich die ganze Schule nach ihr um. Wie schlimm das für das Mädchen war, muss ich nicht betonen. Daraufhin haben wir unser Präventionsprojekt für Jugendliche entwickelt.
Warum zeigen Kinder und Jugendliche diese privaten Videos und Bilder herum?
Ein Punkt ist die Sexualisierung der Gesellschaft. Außerdem verschwimmt die Grenze zwischen Privatem und Öffentlichem immer mehr. In Chaträumen fallen die Hemmungen. Ich fürchte, die Jugendlichen machen sich keine Gedanken. Schauen Sie sich Youporn an, das kennen heute doch alle Jugendlichen. Homemade Sexvideos von irgendwem. Man muss sich die Frage stellen, was Intimität heute überhaupt noch bedeutet.
Ab welchem Alter spielt denn Cyber-Sex eine Rolle?
Unter den Zehnjährigen, mit denen wir gesprochen haben, waren manche noch sehr kindlich, hatten nicht viel Online-Erfahrung. Aber ab elf geht es los. Die Kinder sind auf Seiten unterwegs, auf denen finden Sie alles, was sie sich vorstellen und nicht vorstellen wollen. Welches Kind sagt dann schon: Ganz ehrlich, mir ist beim Schauen ein bisschen schlecht geworden. Das wäre doch uncool. Ein drastischer Fall passierte vor kurzem bei der Studienreise einer siebten Klasse: Zwei Schüler schlafen miteinander, einer filmt durchs Fenster, am nächsten Tage haben's alle. So wie man früher über die Klos geguckt hat und sagte ,hihihi’, so werden heute solche Fotos genutzt.
Was richtet es mit denen an, deren Fotos online sind?
Das ist eine vollkommen neue Art der Scham und Schuld. Man fragt sich: Was habe ich selber dazu beigetragen? Was passiert zum Beispiel mit Kindern, die in Chats aufgefordert werden, sich vor der Webcam auszuziehen und sich zu berühren? Das ist eine neue therapeutische Herausforderung.
Wie nutzen jüngere Kinder ihre Fotohandys?
Der Klassiker sind Fotos auf dem Klo oder in peinlichen Situationen. Sie basteln ein bescheuertes Bild mit einem Pickel oder einen dicken Nase, stellen es online und der andere ist öffentlich einfach total bloß gestellt. Das Netz vergisst nie, Cyber-Mobbing ist ein häufiges Phänomen.
Wie schützt man Kinder?
Es ist wichtig, mit den Kindern zu sprechen – über digitale Medien und Sex. Sexualaufklärung ist heute eine andere als früher. Via Internet kennen die Kinder und Jugendlichen alle Stellungen und Techniken rauf und runter. Aber sie wissen nicht, was ein Zyklus ist oder eine Erregung. Idealerweise übernimmt das das Elternhaus, wo das nicht geht, müssen Kindergärten und Schulen aktiv sein. Aus meiner Erfahrung kann ich empfehlen: Zuhören, hinhören, nicht moralisch sein. Wenn die Kinder älter werden, entwickeln sie auch eine eigene Haltung dazu.
Interview: Vanessa Assmann