Gelähmte Muska: "Alle lassen mich im Stich"
München - Als Muska Nadem aus ihrer Bewusstlosigkeit erwacht, spürt sie ihre linke Hand nicht mehr. „Ich war in Panik, schockiert, erstarrt“, erzählt die 21-Jährige.
Schon die ganze Woche lang haben sie starke Nackenschmerzen geplagt. Und jetzt das: Auf dem Weg zu ihrer Arbeitsstelle in einem Modegeschäft wird ihr auf einmal ganz schlecht. Sie schafft es gerade noch in den Laden – und kippt um.
Seit diesem Tag, dem 25. März, ist in Muskas Leben nichts mehr so, wie es früher war. Die junge Frau sitzt im Rollstuhl, ihre linke Körperhälfte ist von der Schulter abwärts gelähmt. Beim Anziehen, Duschen, Essen, auf der Toilette – Muska ist immer auf Hilfe angewiesen. Sie hat die Pflegestufe II. Wenn sie die Wohnung ihrer Eltern verlassen möchte, müssen ihre Schwestern sie die Treppe heruntertragen – ein Lift fehlt.
Der Verdacht auf einen Schlaganfall bestätigt sich nicht. Alles, was die Ärzte bei der 21-Jährigen feststellen können, ist ein Gefäßproblem am Nacken und eine daraus resultierende Durchblutungsstörung. Eine Ursache für die Lähmung entdecken die Mediziner dagegen nicht.
Muska sagt: „Sie glauben, dass es einen psychischen Grund dafür gibt, weil sie nichts anderes gefunden haben.“
Vielleicht steht Muskas Erkrankung in Zusammenhang mit einem schlimmen Erlebnis, das sie im Februar hatte. Damals musste sie mit ansehen, wie ein früherer Mitarbeiter das Modegeschäft Zara in der Fußgängerzone ausraubte, in dem sie beschäftigt war. Er war bewaffnet – und schoss auf eine von Muskas Kolleginnen: Diese kam mit einer leichten Augenverletzung davon.
„Es passieren so viele Dinge auf der Welt, die viel eher der Anlass für eine Traumatisierung sein könnten“, sagt Muska tapfer. Und trotzdem zuckt sie heute immer noch zusammen, wenn irgendwo ein Pieps-Ton erklingt, der sie an das Alarmgeräusch im Geschäft erinnert.
Was auch immer die Ursache dafür ist: Muska muss mit der Lähmung leben. Ihr linker Arm hängt schlaff herunter, nur die Finger kann sie bewegen. Das linke Bein ist komplett taub. Dabei war die hübsche Frau früher eine begeisterte Tänzerin. Hip-Hop, Folklore- oder Bollywood-Tänze – egal, Hauptsache Bewegung.
„Jetzt hängt meine ganze Hoffnung an einer Reha“, sagt sie. Doch die wird ihr von der Rentenversicherung Bayern Süd verweigert. Ihr Antrag ist abgelehnt worden. Genau wie ihr Widerspruch. Die Begründung: „Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass zunächst eine akute stationäre Krankenhausbehandlung in einer psychosomatischen Klinik erforderlich ist.“ Eine Reha, so meint man dort, wäre zum jetzigen Zeitpunkt nicht erfolgreich.
In einer solchen Spezialklinik war Muska bisher zwar nicht, aber im Krankenhaus – gut zwei Wochen in Harlaching, später zwei Wochen in Großhadern. Entlassen wurde sie mit einem Arztbrief, der eine „psychosomatische Therapie/Rehabilitation“ als „unumgänglich“ und „dringend medizinisch indiziert“ bezeichnet. Das war im Mai. Seither ist Muska, abgesehen von Krankengymnastik, ohne Therapie. Und ohne Fortschritte.
Eine psychosomatische Klinik, wie sie die Rentenkasse vorschlägt, lehnte es ab, sie aufzunehmen – und empfahl stattdessen eine neurologische Weiterbehandlung.
Zielführend ist dieses Hin und Her nicht. „Alle lassen mich im Stich“, sagt Muska deshalb. „Ich fühle mich, als wäre ich im System verrutscht.“ Sie versteht nicht, warum die Rentenversicherung eine Reha ablehnt.
In der Schule war Muska gut. Für diesen Herbst hatte sie ursprünglich einen Azubi-Platz bei der Stadtsparkasse in Aussicht. „Je schneller ich auf die Beine kommen, desto schneller kann ich wieder Beiträge einzahlen“, sagt sie.
Auch ihre Krankenkasse, die AOK, hält sich zunächst zurück: „Vor ihrer Erkrankung war Frau Nadem erwerbstätig, weshalb für Reha-Maßnahmen grundsätzlich die Rentenversicherung zuständig ist.“ Jetzt, wo das Thema Reha jedoch auf Eis liegt, heißt es auf AZ-Anfrage bei der AOK: „Wir können nun anbieten, dass ein Arzt des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung mit dem Hausarzt von Frau Nadem Kontakt aufnimmt, um über das weitere Vorgehen und die in Frage kommenden Behandlungsmöglichkeiten zu sprechen.“ Immerhin ein Anfang.
Muska sagt: „Es wird jeden Tag schwieriger, die Hoffnung nicht zu verlieren.“ Sie will ihren Zustand nicht akzeptieren. „Ich bin doch erst 21, ich habe noch so viel vor mir.“
Muska ist übrigens afghanisch, es bedeutet „Lächeln“.
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