Geisterhafter Stillstand: Die große Leere am Münchner Flughafen

München - Vogelgezwitscher ist zu hören im überdachten Munich Airport Center (MAC) zwischen Terminal 1 und 2. So laut, dass es alle anderen Geräusche übertönt. Recht hysterisch klingt dieses Konzert, fast wie im Hitchcock-Film "Die Vögel".
Das kann nicht sein, ist der erste Gedanke an diesem Nachmittag. Jemand spielt die Zwitscherkulisse bestimmt über die Lautsprecher ab - aber das Gezwitscher ist echt. Wie im Park klingt es - das Dauerrattern der Rollkoffer hingegen ist nur noch selten zu hören.
Flughafen München: Wenigstens die Spatzen fliegen hier noch
Die Natur hat sich hier von den Menschen ein Kleinod zurückerobert. Zwischen den halb vertrockneten, in Kübeln verwurzelten Bäumen des verlassenen Biergartens haben Dutzende Spatzen eine neue Heimat gefunden. Von weitem sieht man die Tiere kaum. Wer sich aber den Grenzen des Biergartens nähert, dem flattern die verschreckten Spatzen davon. Wenigstens die fliegen noch.

Bundespolizisten patrouillieren mit Maschinenpistolen
Nur 23 Prozent der Starts und Landungen, die es vor Corona gab, verzeichnet der Flughafen München derzeit wegen des Lockdowns.
Schlendert man quer durch das MAC, hinüber zu Terminal 1, sind die Hallen A bis E geprägt von geisterhafter Leere. Bundespolizisten patrouillieren mit Maschinenpistolen. Ihre Schritte hallen durch das Gebäude, unterbrochen von dem raumschiffartigen Surren der manchmal einsetzenden Rolltreppen.

Wer hier spaziert, wird kontrolliert - auch der Reporter. Bestimmt wirkte dieser Ort zuletzt kurz vor dem Einzug 1992 ähnlich verlassen und leer. Seither war er tagsüber geprägt von wuselnden Menschenmengen und deren Gemurmel wie in einem Fußballstadion - bis der Lockdown kam.
Branche hofft auf steigende Umsätze ab März
Zurück im Terminal 2, dem einzigen Check-in, der noch in Betrieb ist. Hier steht der Kommunikationschef der Flughafen München GmbH (FMG) vor den fast leeren An- und Abflug-Anzeigen. "Der Flughafen ist bis zur Pandemie mit wenigen Unterbrechungen jedes Jahr gewachsen", sagt Hans-Joachim Bues. Er muss es wissen. Der Mann arbeitet seit 1989 für die FMG und hat den Umzug von Riem ins Erdinger Moos noch genau vor Augen.

"Die Trauer ist groß, aber die Hoffnung überwiegt", sagt Bues, angesprochen auf die aktuelle Lage, "die Branche hofft auf steigende Umsätze ab März." Das zeigten auch viele Reisevorbuchungen. Die Kombination aus wärmeren Temperaturen und der steigenden Impf-Rate sei der große Hoffnungsschimmer. Zudem sei die FMG auch noch solvent, da ihr die Kapitalmärkte trotz der fehlenden Einnahmen vertrauten. Dabei wirken die Zahlen gar nicht so rosig.
Zahl der Fluggäste am Münchner Flughafen ist 2020 auf 11,1 Millionen gesunken
Allein im Januar und Februar 2020, bis kurz vor dem ersten Lockdown, verzeichnete der Flughafen mehr An- und Abflüge als im gesamten restlichen Jahr. 11,1 Millionen Passagiere wurden letztlich gezählt. Das ist in etwa das Jahresniveau, als es 1992 losging im Erdinger Moos (12,1 Millionen). Im Jahr 2019 waren es noch etwa 48 Millionen. Bues wünscht sich das zurück: "Das ist eigentlich so reizend am Flughafen München. Im Normalbetrieb laufen sie durch die Hallen und treffen in wenigen Minuten Menschen von allen fünf Kontinenten.

75 Prozent der Belegschaft ist derzeit in Kurzarbeit - in etwa eine ganze Kleinstadt. Denn 38.000 Beschäftigte zählte die FMG zuletzt. Dramatische Umsatzrückgänge müssen das sein. Zahlen gibt es noch nicht. Zuletzt war die Rede von einer fehlenden dreistelligen Millionensumme. Die exakte Bilanz werde derzeit noch erstellt, sagt ein Sprecher der FMG.

Wer fliegt in Corona-Zeiten vom Flughafen München?
Im Tower muss die Langeweile groß sein. 120 bis 130 Starts und Landungen zählt der Flughafen pro Tag. Doch wer fliegt noch? Und warum? Viele Türkei-Flüge sind darunter, nach Izmir und Istanbul. Häufig wollen Münchner mit türkischen Wurzeln zu ihren Verwandten. Da ist aber auch der Neuhauser Erzieher Dia Aziz. Der 26-Jährige ist gestrandet, wollte seine kranke Oma in Marokko besuchen. Sein Flug hob ohne ihn ab, wegen eines fehlenden Corona-Formulars, trotz seines aktuellen, negativen Corona-Tests.

Der Hamburger Mats Hansen sitzt neben der goldenen Statue von Ludwig II. Der 33-Jährige ist ebenfalls gestrandet. "Ich fliege europaweit, baue Etikettiermaschinen auf", erzählt Hansen, "und ich schule unsere Kunden an den Geräten. Online geht das nicht." Hansen wirkt müde. Er müsste nach Paris, wartet aber schon Stunden auf ein Schnelltestergebnis, weil sein aktueller Antigen-Test nicht ausreicht. Direktflüge gebe es kaum noch. Alles dauere ewig durch Corona.

Zurück im MAC. Dort stehen Urte Ambrosius und das Au-pair-Mädchen Valerina. Die 24-Jährige ist gerade aus dem Kosovo angekommen. "Ich habe 24-Stunden-Schichten im Krankenhaus und bin auf Valerinas Hilfe angewiesen", sagt die Anästhesistin und dreifache Mutter Ambrosius.
Man darf gespannt sein, wie es am Flughafen aussieht, wenn Valerina in etwa einem Jahr wieder in ihre Heimat zurückfliegt.