Gehirntumor: „Mama, was wird aus mir?“

Diagnose: Gehirntumor. Wie der kleine Ivan (10) und seine Familie mit dem Schicksalsschlag leben, wie die AZ-Leser jetzt helfen können
München - Der Urlaub in Kroatien war so schön. Zeit mit der Familie verbringen, im Meer schwimmen, die Sonne genießen. Nur der kleine Ivan war so komisch. Viel ruhiger als sonst. Als alle anderen Zwetschgen sammelten, zog er sich wortlos zurück, legte sich ins Auto und schlief. Ausgerechnet Ivan, der Wirbelwind, der sonst kaum zu bremsen ist. Der zehnjährige Bub klagte über Kopfweh und Augenschmerzen. Einmal musste er sich übergeben. „Wir dachten zuerst, es ist ein Sonnenstich“, erzählt seine Mutter Katarina Iverec.
Doch auch, als Ivan wieder daheim in Gröbenzell war, hörten die Beschwerden nicht auf. Ein Besuch bei der Kinderärztin half nicht weiter. Sie verschrieb ihm lediglich einen Kindersaft für den Magen. Rote Schatten legten sich unter Ivans Augen, der Druck im Kopf wurde einfach nicht besser. Seine Mutter begann, sich richtig Sorgen zu machen. Sie ging mit ihm ein zweites Mal zur Kinderärztin, bestand auf eine Überweisung. Ein Augenarzt sollte sich das Kind genauer ansehen. Der Termin bei ihm war am 9. September. „Dieses Datum werde ich nie vergessen“, erzählt Ivans Mutter.
Es ist der Tag, an dem sie die schreckliche Diagnose erfährt: Ihr jüngster Sohn hat einen Gehirntumor. Katarina Iverec ist eine taffe, eine fleißige Frau. Seit ihr Mann sie vor sechs Jahren wegen einer anderen verließ, brachte sie ihre drei Buben alleine durch. „Der Vater zahlt keinen Cent“, erzählt die 39-Jährige. Sie arbeitete als Kellnerin, manchmal auch als Babysitterin. Wenn sie abends bedienen musste, kümmerte sich ihr ältester Sohn, der inzwischen 20 ist, um die beiden jüngeren. Um Ivan und seinen von Geburt an behinderten Bruder Benjamin (12). An dem Tag, als Ivan zum Augenarzt musste, konnte seine Mutter ihn nicht begleiten. Sie hatte vor kurzem erst einen neuen Job in einem Gröbenzeller Café begonnen. Also brachte ihr neuer Lebensgefährte Patrick den Kleinen in die Praxis. Katarina wunderte sich schon, dass die beiden nach dem Termin nicht bei ihr anriefen.
Da standen sie plötzlich vor ihr, im Café. „Der Arzt meint, es ist etwas Ernstes“, sagte ihr Freund bloß. In dem Moment brachen bei der Mutter alle Dämme mit den aufgestauten Sorgen. Sie schaffte es gerade noch in die Küche, bevor sie in Tränen ausbrach. Nur ein Moment der Schwäche – kurz bevor sich die Familie in die Krankenhaus-Maschinerie begab. Im Haunerschen Kinderspital wurde die Mutter zum Arztgespräch gebeten. Drei Mediziner und eine Psychologin saßen in dem Zimmer, als sie eintrat. Sie erklärten ihr, dass Ivan einen Tumor hat, links hinten in seinem Kopf. Sein Sehnerv war zu diesem Zeitpunkt schon so geschwollen, dass er zu platzen drohte. Das Kind kam sofort ins Klinikum Großhadern. Noch mehr Untersuchungen. Noch mehr Ärzte. Dann das erste Aufatmen: Dank Cortison ging die Schwellung am Sehnerv zurück. Die OP sollte am Montag stattfinden. Davor lag ein quälend langes Wochenende. „Mama, was wird aus mir?“, fragte Ivan immer wieder. „Aber ich wollte nicht, dass er alles erfährt“, erzählt Katarina Iverec.
Ein Arzt fand jedoch, er sei mit seinen zehn Jahren alt genug. Bei einer Visite sagten die Mediziner dem Kind, dass es einen 3,5 Zentimeter großen Tumor im Kopf hat. So groß wie ein Golfball. Am Abend vor der Operation beteten der Bub und seine Mutter miteinander. „Wird es weh tun?“, wollte er wissen. Seine Mutter fühlte sich hilflos. Am nächsten Morgen begleitete sie ihn bis zum OP-Saal. Er weinte. Sie weinte. Danach das Warten. Stundenlang. Unerträglich. Sie saß auf einer Holzbank. Flehte innerlich, das alles gut geht.
Endlich, gegen Abend, wurde Ivan zurück auf die Intensivstation gebracht. Ihr Bub, für den Bewegung immer alles war – angeschlossen an Schläuche und Monitore. Ein Bild, das der Frau nicht mehr aus dem Kopf geht. „Es ist nichts mehr drin“, sagte ein Assistenzarzt zu Katarina Iverec. „Wir konnten den Tumor ganz entfernen.“ Tage später das Ergebnis: Die Geschwulst war bösartig. In der Nacht nach der OP durfte Katarina nicht bei Ivan bleiben. Auf der Intensivstation ist um 21 Uhr Besuchsschluss. Ihr Sohn war noch nicht richtig wach, als sie gehen musste. Die Krankenschwester hatte ihr aber gesagt, sie dürfe nachts anrufen.
„Wie geht es dir?“, fragte sie ihn am Telefon, als er wieder sprechen konnte. „Gut“, antwortete der Bub – und weinte. Nach ein paar Tagen zeigte Ivans linke Körperhälfte plötzlich Lähmungserscheinungen. Er konnte seinen Arm und sein Bein nicht mehr bewegen. Die Ärzte wissen nicht, woher die Störung kommt – bis heute. Auch mehr als zwei Monate nach der OP ist Ivan noch sehr wackelig auf den Beinen. Draußen braucht er einen Rollstuhl.
Aber es wird von Tag zu Tag besser. Katarina Iverec schildert die vergangenen Wochen mit großer Konzentration. Nur einmal bricht ihre Stimme, als sie sagt: „Es tut mir leid, dass er so leiden muss.“ Währenddessen ist Ivan mit Ema, der jungen Ehefrau seines Bruders Denis, im Nebenzimmer. Sie kümmert sich um ihn wie um einen eigenen Bruder. Gemeinsam lesen sie eine Postkarte, die er von zwei Schulfreunden aus der 4b bekommen hat. Die Kinder senden ihm herzliche Grüße aus Südtirol. Ivan war der Mädchenschwarm der Klasse. Auch seine Religionslehrerin hatte ihm eine liebe Karte geschickt. Sie zeigt einen kräftigen Baum. „Von Herzen wünsche ich dir, dass du im Kampf gegen deine Krankheit so stark bist, wie dieser Baum, der Wind, Regen und Jahreszeiten standhält, der nicht umzuwerfen ist...“, schrieb sie.
Ivans Kampf wird noch lange dauern. Bis nächsten Donnerstag wird er noch bestrahlt – 30 Einheiten hat er dann hinter sich gebracht. Die erste Chemo-Therapie steckte er schlecht weg. Ihm war ständig übel. Inzwischen ist der Bub fast kahl – auch eine Folge der Tumor-Behandlung. Ab Mitte Dezember beginnt dann die neue Chemo. Jeden Tag, zehn Monate lang. In der vergangenen Woche war das Kind wieder stationär in der Klinik, weil es Fieber hatte.
Seit er krank ist, mag Ivan nicht mehr alleine sein, alle paar Minuten ruft er nach seiner Mutter oder seinen Brüdern. Manchmal bricht er ganz unvermittelt in Tränen aus. Wie soll ein Zehnjähriger das auch alles verkraften? Seine Mutter, seine ganze Familie leidet mit ihm. Zu den Sorgen um den Buben kommen noch finanzielle Probleme. Katarina Iverec kann nicht mehr arbeiten gehen, jetzt hat sie Arbeitslosengeld beantragt. „Ich schäme mich“, sagt sie und verbirgt ihr Gesicht in ihren Händen. „Wir sind doch immer alleine über die Runden gekommen.“
Als wenn es etwas gäbe, für das sie sich schämen müsste. Gerne würde sie Ivan eine neue Matratze kaufen. Die alte, die sie gebraucht erworben hatte, ist zu klein und rutscht im Bett hin und her. Ein Wäschetrockner würde ihr Arbeit ersparen und Platz in der Wohnung schaffen. Die Buben bräuchten Winterklamotten.
Und dann ist da noch ein Wunsch. Einer, den Ivan geäußert hat. Und der seiner Mutter schlaflose Nächte bereitet. Ivan hat im Krankenhaus ein Mädchen gesehen, auch eine Krebspatientin, die sich die öde Wartezeit in der Tagesklinik mit einem iPad vertrieb. Das ist ein kleiner Computer, auf dem man etwa spielen, lesen oder Filme schauen kann. „So etwas will ich auch“, hat er gesagt. Seither hat seine Mutter überlegt, wie sie das möglich machen könnte.
Katarina Iverec selbst wünscht sich nur eines: Dass ihr Sohn wieder gesund wird. Das Risiko, dass der Tumor zurückkehrt, liegt bei 17 Prozent. Und die Mutter weiß: „Falls er wiederkehrt, gibt es keine zweite Chance. Dann kann man nichts mehr machen.“
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