Serie

Geflüchteter Syrer erzählt in der AZ, wie er sich in München ein neues Leben aufgebaut hat

Auf einem Geheimtreffen bei Potsdam sprachen Rechtsextreme und Politiker über die sogenannte "Remigration". Welche Bedeutung hätte die Deportation von Personen mit Migrationshintergrund? Nach dem Auftakt spricht in Teil 2 der AZ-Serie der in München lebende Syrer M. Rajeh und erzählt seine Geschichte.
von  Guido Verstegen
Am Briefzentrum in der Arnulfstraße: "Insbesondere in den Ballungsräumen in Deutschland, in denen Vollbeschäftigung herrscht, gibt es große Herausforderungen, den Bedarf an geeigneten Mitarbeitern zu decken", sagt eine Sprecherin von Deutsche Post und DHL.
Am Briefzentrum in der Arnulfstraße: "Insbesondere in den Ballungsräumen in Deutschland, in denen Vollbeschäftigung herrscht, gibt es große Herausforderungen, den Bedarf an geeigneten Mitarbeitern zu decken", sagt eine Sprecherin von Deutsche Post und DHL. © Guido Verstegen

München - Im November treffen sich Neonazis sowie Vertreter aus den konservativen und rechten Parteien in Potsdam. Was sie besprechen, klingt ungeheuerlich: Millionen Ausländer wollen sie aus Deutschland abschieben, verpacken es in den Begriff "Remigration". Was sie nicht bedenken: Über eine Million Ausländer gehen allein Bayern einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nach – das ist fast jeder fünfte Arbeitnehmer. Das heißt: Ohne sie wäre die Wirtschaft in Bayern und auch ganz Deutschland nicht überlebensfähig. Die AZ fragte bei Unternehmen und den Menschen mit Migrationshintergrund nach, welche Folgen die Deportationspläne für sie hätten.

"Da die Deutsche Post und DHL einen Querschnitt der Gesellschaft in Deutschland abbilden, können Sie davon ausgehen, dass in unserem Unternehmen mit 200.000 Beschäftigten in Deutschland viele Mitarbeiter mit Migrationshintergrund arbeiten, ohne die unser Betrieb nicht laufen würde", teilte eine Sprecherin des Unternehmens auf AZ-Anfrage mit.

Sie seien in allen möglichen Bereichen eingesetzt, ob nun in der Zustellung, in der Sortierung oder im Management: "Allein in den letzten Jahren haben wir über 20.000 Geflüchtete eingestellt, die ebenfalls in verschiedenen Bereichen des Unternehmens arbeiten."

Deutsche Post und DHL: Menschen aus über 190 verschiedenen Nationen an deutschen Standorten

Den Angaben zufolge sind an den deutschen Standorten Mitarbeiter aus über 190 verschiedenen Nationen unterschiedlichen Alters, mit verschiedenen Lebensentwürfen und Fähigkeiten tätig: "Diese Vielfalt zu leben und Inklusion zu fördern, ist als Teil in unserer Unternehmensstrategie fest verankert." 

Bei der Einstellung achte man im Unternehmen auf Leistung, Kompetenz und Umgangsformen, "nicht auf die Hautfarbe". Der Arbeitsmarkt in Deutschland habe sich durch die Pandemie weiter verändert und flexible Arbeitskräfte seien weiterhin deutlich schwerer zu finden als früher: "Insbesondere in den Ballungsräumen in Deutschland, in denen Vollbeschäftigung herrscht, gibt es große Herausforderungen, den Bedarf an geeigneten Mitarbeitern zu decken."

Die Sprecherin bat zugleich um Verständnis, "dass wir keine detaillierten Zahlen zum Anteil von Beschäftigten mit Migrationshintergrund herausgeben können", zumal viele Mitarbeitende mit Migrationshintergrund in der Regel einen deutschen Pass hätten und dazu keine Aufzeichnungen geführt würden. 

Post-Mitarbeiter M. Rajeh aus München: "Ich hatte null Plan, wollte einfach weg aus Syrien"

M. Rajeh (27) ist im Juli 2015 aus Syrien über die Türkei nach München geflüchtet, kam damals am Ostbahnhof an und war zunächst in der Bayernkaserne in Freimann untergebracht, ehe er über die Stationen Ingolstadt und Tegernsee in Valley im Landkreis Miesbach landete. 2018 begann er seine Ausbildung bei der Deutschen Post, arbeitete sich dann von der Fachkraft für Kurier-, Express- und Postdienstleistungen in die Transport-Aufsicht hoch.

Der Syrer M. Rajeh ließ sich zwischen 2018 und 2020 bei der Deutschen Post zur "Fachkraft für Kurier-, Express- und Postdienstleistungen" ausbilden und ist inzwischen zur Transport-Aufsicht aufgestiegen.
Der Syrer M. Rajeh ließ sich zwischen 2018 und 2020 bei der Deutschen Post zur "Fachkraft für Kurier-, Express- und Postdienstleistungen" ausbilden und ist inzwischen zur Transport-Aufsicht aufgestiegen. © Deutsche Post

"Meine Hoffnung war, irgendwo anzukommen. Ich hatte null Plan, wollte einfach weg aus Syrien, denn als 18-Jährige war ich aufgerufen, im damaligen Assad-Regime Militärdienst zu leisten und in den Krieg zu ziehen. Das heißt, du tötest, oder du wirst getötet –  im Kampf gegen das eigene Volk, das ist furchtbar", erzählt M. Rajeh der AZ.

Lesen Sie hier unsere Serie: "Warum bin ich wichtig für Deutschland?"

In der AZ-Serie sprechen Menschen, die einen Migrationshintergrund haben, und von der "Remigration" betroffen wären.
In der AZ-Serie sprechen Menschen, die einen Migrationshintergrund haben, und von der "Remigration" betroffen wären. © imago/AZ

Teil 1: Folgen der "Remigrations"-Pläne der AfD in München und Bayern – Augustiner-Wirt: "Ein Weiterbetrieb wäre nicht oder nur völlig reduziert möglich"

M. Rajeh: "Ich habe die Chance genutzt, die mir das Leben geschenkt hat"

Herr Rajeh, wie ist es Ihnen in der ersten Zeit in Deutschland ergangen?
M. RAJEH: Ich wusste nicht, wie es weitergehen sollte, habe die deutsche Sprache nicht verstanden. Nach den ersten sechs Monaten mit Bleiberecht habe ich auf einer Raststätte an der A8 gearbeitet, danach wurde die Aufenthaltsgenehmigung zweimal für drei Jahre verlängert, und ich habe alles dafür getan, um die deutsche Staatsbürgerschaft zu bekommen.

Im September 2023 war es dann so weit, Sie haben nun einen deutschen und einen syrischen Pass. Wie steinig war der Weg dorthin?
Es war sehr schwierig, aber ich hatte Glück und habe die Chance genutzt, die mir das Leben geschenkt hat. Ich war drei Monate in der Container-Siedlung in Valley, da habe ich eine deutsche Familie kennengelernt, die mir geholfen hat mit meinen Unterlagen. Weil die beiden Söhne ausgezogen waren, hatten sie viel Platz in ihrem Haus und haben mir dann angeboten, bei ihnen zu wohnen. So habe ich schneller Kultur, Land und Sprache kennengelernt. Das war der Schlüssel.

Geflüchteter Syrer in München: "Habe große Angst, ich will nicht wieder ganz von vorne anfangen"

Sind Sie angefeindet worden, haben Sie Diffamierungen, Beleidigungen oder sogar Gewalt erlebt?
Nein, eigentlich nicht, nur sehr selten. Mal hat man mir auf der Straße den Mittelfinger gezeigt oder mal '"Affe" und "Scheiß Ausländer" gerufen – das war's. Und im Beruf gibt es dafür keinen Platz, da machen wir alle nur unseren Job.

Befürchten Sie, dass sich die politische Lage in Deutschland derart verändern könnte, dass Sie wieder nach Syrien zurückgeschickt werden?
Ich habe große Angst, ich will nicht wieder weggejagt werden und dann wieder ganz von vorne anfangen. Aber es könnte schnell gehen. Auch als Syrer mit deutscher Staatsbürgerschaft habe ich Angst. Und doch bleibt Syrien meine Heimat, dort leben noch meine Eltern, ein Bruder und zwei Schwestern. Es gibt keine Besuche, ab und zu Facetime. Reisen auch in andere Länder sind mit Visum schwierig.

Zukunft in München? "Ich habe hier eine Familie gegründet"

Was sind Ihre Pläne für die Zukunft?
Ich habe im November letzten Jahres geheiratet, kurz darauf ist unser Sohn zur Welt gekommen. Meine Frau ist Griechin und in Deutschland geboren, wir haben uns hier bei der Arbeit kennengelernt. Ich wünsche mir, dass ich meinem Kind die Sicherheit geben kann, die ich nie hatte.

Worauf kommt es aus Ihrer Sicht bei Integration an, was raten Sie Geflüchteten?
Du musst dich von deiner Kultur und deiner Herkunft ein bisschen entfernen und dich darauf konzentrieren, wo du jetzt lebst. Offen sein für die neue Kultur, die neue Sprache. Ich wusste, ich muss klarkommen, wo ich jetzt bin. Es ist nicht so, dass die Menschen hier mit mir klarkommen müssen.

Was glauben Sie: Warum sind Sie wichtig für Deutschland?
Ich trage für das Land etwas bei, indem ich arbeite, indem ich hier Steuern zahle. Ich habe hier eine Familie gegründet, und auch meine Frau und später mein Kind tragen etwas dazu bei, dass es uns allen hier gut geht.

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