Interview

Gefährlicher Drogen-Trend: Warum die Jugend lieber Xanax nimmt

Früher haben junge Menschen Cannabis geraucht oder Alkohol getrunken. Inzwischen greifen sie häufiger zu Medikamenten. Warum das so ist – und keine gute Entwicklung.
von  Laura Meschede
Ein Fläschchen mit Xanax steht neben einem Glas Wasser auf einem Tisch.
Ein Fläschchen mit Xanax steht neben einem Glas Wasser auf einem Tisch. © imago images/Hans Lucas

München - Es ist ein gefährlicher Trend unter Jugendlichen: Verschreibungspflichtige Beruhigungsmittel wie Xanax oder Valium werden als Drogen eingenommen. Auch in München. Ein Gespräch mit Sven Frisch von der Suchtambulanz der Caritas in München.

AZ: Herr Frisch, immer wieder liest man, dass Benzodiazepine und andere Beruhigungsmittel sich als Droge unter Jugendlichen verbreiten würden. Ist das auch in München so?
SVEN FRISCH: Wir beobachten auf jeden Fall, dass sie als neuer Player zu den Drogen dazugekommen sind. Früher haben die Jugendlichen vor allem Cannabis geraucht und Alkohol getrunken, jetzt kommen immer häufiger auch Medikamente dazu. Auch bei den Jungs, bei denen das früher eigentlich immer verpönt war. Das hat sich jetzt mit den Benzos geändert.

"Benzodiazepine wie Xanax haben eine sehr hohe Toleranz" 

Woran liegt das?
Der Trend ist aus den USA herübergeschwappt. Sein Ursprung ist diese neue Generation von Rappern, die alle "Lil Irgendwas" heißen, Lil Peep, Lil Wyte, und so weiter. Die machen ein bisschen auf Opfer, sagen ganz offen, dass sie Xanax brauchen, weil sie sonst auf ihr Leben nicht klarkommen würden. Das gibt den Pillen einen coolen Anstrich - und das ist gefährlich.

Warum?
Benzodiazepine wie Xanax sind eine ganz andere Liga als Cannabis oder Alkohol. Sie haben eine sehr hohe Toleranz. Das heißt, dass man sehr schnell sehr viel höhere Dosen braucht, um die gleiche Wirkung zu erzielen. Und: man wird sehr schnell abhängig - und der Entzug ist dann ziemlich schlimm.

Sven Frisch: "Früher hat man konsumiert, um sich auszuklinken, heute wird konsumiert, um mithalten zu können."
Sven Frisch: "Früher hat man konsumiert, um sich auszuklinken, heute wird konsumiert, um mithalten zu können." © privat

Was für eine Wirkung haben diese Medikamente?
Benzos sind eigentlich Medikamente gegen Angststörungen, das heißt, sie haben eine beruhigende Wirkung, emotional wie körperlich. Die Muskeln werden komplett entspannt, teilweise so stark, dass die Leute nicht mehr stehen können. Sie zünden sich eine Zigarette an und vergessen sie dann, bis sie nur noch einen langen Asche-Stengel in der Hand haben. Sie fühlen sich wie in Watte gepackt. Aber: Wenn sie morgens aufwachen, ist die Watte weg - und dann kriegen sie einen Schock und legen nach.

Frisch: "Xanax wird in erster Linie über Instagram bezogen"

Erinnern Sie sich noch an den ersten jugendlichen Benzo-Konsumenten, den Sie in Ihrer Beratungsstelle hatten?
Klar erinnere ich mich, das ist erst ein paar Jahre her. Der Erste, der das Wort "Xanny" verwendet hat, war so ein 17-jähriger Kiffer, der brachiale Schwierigkeiten in der Schule hatte. Ich hab das Wort erst überhaupt nicht verstanden. Der hatte das über seine Eltern, die hatten das im Badezimmerschrank liegen oder so.

Ist der Badezimmerschrank der Eltern der klassische Weg, wie Jugendliche an die Pillen kommen?
Nein, in erster Linie wird das über Instagram bezogen. Der Algorithmus macht's möglich. Ich hab Leute, die hatten ein neues Profil, hatten ein paar Rapper gelikt und plötzlich wurde ihnen das erste Angebot in die Timeline gespült. So Bilder von zum Beispiel 'ner Gucci-Tasche und daneben einem Streifen Xanax, die gehören in dieser Bubble einfach dazu. Und oft werden die Leute von den Dealern auch direkt angegangen. Die kriegen dann Nachrichten: "Na, wie schaut's aus, brauchst du was?"

Früher galten solche Medikamente als klassische "Hausfrauendrogen" und wurden vor allem von, naja, Hausfrauen konsumiert.
Es gibt ja den alten Spruch: "Die Frau geht zum Arzt, der Mann in die Kneipe". Aber heute gehen eben auch Jugendliche zum Arzt, zum Jugendpsychiater zum Beispiel, und kriegen da Ritalin verschrieben. Eltern sind heute sehr schnell an dem Punkt, wo sie sagen: "Unser Kind ist ein bisschen anders, das muss behandelt werden."

Wird Ritalin, das ja gegen Aufmerksamkeitsstörungen verschrieben wird, auch als Droge verwendet?
Ja, dabei geht es um Leistung. Wenn die Leute Ritalin nehmen, dann schreiben sie wie verrückt, machen ihre Aufgaben in einer höheren Geschwindigkeit. Und um dann runterzukommen, werfen sie zum Beispiel eine Xanax ein. Das Problem ist, beim nächsten Mal scheint es viel einfacher, es ebenso zu machen, und so rutschen sie in eine Abhängigkeit.

"Oft haben die Leute auch mit Depressionen zu kämpfen"

Das klingt nicht nach dem klassischen Jugendrausch.
Das Konsummotiv hat sich geändert. Es gab einen Paradigmenwechsel. Früher hat man konsumiert, um sich auszuklinken, heute wird konsumiert, um mithalten zu können. Um mehr leisten zu können, schneller entspannen zu können, mehr schaffen zu können.

Spielt dabei auch der Schulstress eine Rolle?
Natürlich. Der Druck ist einfach viel zu hoch. Die Erwartungshaltung, was Jugendliche leisten müssen, ist riesig. Und: Oft haben die Leute auch mit Depressionen zu kämpfen. Die sind oft vorher schon da - und dann kommt die Abhängigkeit obendrauf.

Lässt sich in Zahlen beziffern, wie viele Hilfesuchende in Ihrer Münchner Beratungsstelle Erfahrungen mit Benzos haben?
Etwa ein Drittel der Leute, die bei uns auftauchen, haben ein Problem mit Alkohol, ein anderes Drittel mit Cannabis. Und ich würde sagen, etwa zehn Prozent haben inzwischen Erfahrungen mit Benzos. Früher waren es vielleicht drei Prozent.

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