Gedenkfeier zum OEZ-Attentat: "Die Narben wollen nicht heilen"

München – Obwohl sie seit fünf Jahren keine lauten Geräusche mehr aushalte, obwohl sie sich nicht mehr traue, in öffentliche Verkehrsmittel zu steigen, obwohl manchmal der Schmerz ihren Körper verkrampfen lasse, wie sie sagt, steht Gisela Kollmann am Donnerstag auf der Bühne. Sie ist die Großmutter von Giuliano Kollmann, den am 22. Juli 2016 im Olympia-Einkaufszentrum ein rechter Terrorist ermordete - so wie acht weitere Menschen.
Die Opfer heißen: Selçuk Kiliç, Sabine S., Can Leyla, Sevda Dag, Hüseyin Dayicik, Roberto Rafael, Armela Segashi, Dijamant Zabërgja und Guiliano Kollmann.
Seit dem Tod ihres Enkels besuche sie nahezu täglich sein Grab, sagt Gisela Kollmann. "Es ist ein Stück aus meinem Herzen herausgerissen worden." An diesem Gefühl habe sich bis heute nichts geändert.

Die Erinnerungen sind noch immer präsent wie am ersten Tag
Vor Gisela Kollmann sitzen am Nachmittag der bayerische Ministerpräsident, der Münchner Oberbürgermeister, viele Politiker, viele Presseleute, viele Menschen in Schwarz.
Am Abend sprechen weitere Angehörige. Sevda Dags Ehemann, der erzählt, dass er noch immer vor Augen habe, wie seine Frau in ihrem Blut am Boden liegt. Hüseyin Dayiciks Schwester, die sagt, dass sie ihren Bruder nach fünf Jahren noch immer vermisse wie am ersten Tag. Und Can Leylas Mutter, die schildert, dass sie nicht zur Ruhe kommen könne. Ein Grund dafür sei die Untätigkeit des Staates, gegen rechte Gewalt und Terror vorzugehen.


All die Angehörigen, die am Abend auf der Bühne stehen, blicken auf kaum jemanden mit schwarzem Schlips und Anzug. Sondern auf viele Menschen, die weiße T-Shirts tragen, mit der Aufschrift: "Wir stoppen Rechtsextremismus in Deutschland".
Dass inzwischen auch Justiz und Politik die Tat als rechten Terror einstufen. Dass inzwischen das Mahnmal am OEZ eine Inschrift trägt, die dies klar benennt, sei ein Trost, sagt Giesela Kollmann. "In Erinnerung an alle Opfer des rassistischen Attentats vom 22.7.2016" steht dort. Doch diese Inschrift mussten sich die Angehörigen erst mühsam erkämpfen.
"Der Mörder war ein Nazi": Bis der Anschlag als solcher eingestuft wurde, dauerte es lange
Obwohl es an der rechtsradikalen Gesinnung des Täters keine Zweifel gab, obwohl viele der Ermordeten einen Migrationshintergrund hatten, war lange von einem Amoklauf die Rede.
Marian Offman, der damals für die CSU im Stadtrat saß und der am Donnerstag bei der Gedenkveranstaltung auf der Bühne steht, wollte daran nicht glauben. Er stellte im Stadtrat einen Antrag, dass das wahre Motiv des Täters untersucht werden solle.
"Der Mörder war ein Nazi. Jeder wusste es, doch die Behörden kehrten das unter den Teppich", sagt Offmann, der einen Großteil seiner Familie im Holocaust verlor. Warum die Behörden dies verleugneten? Vielleicht, weil Hass und Rassimus, auch in München, weit verbreitet sind: Eine Untersuchung der LMU habe gezeigt, so Offmann, dass in München 15 Prozent latente Antisemiten, 50 Prozent Menschen mit Islamophobie, und 70 Prozent Menschen, die etwas gegen Sinit und Roma haben, leben.
Reiter und Söder warnen vor zunehmendem Rassismus
Dass der Rassismus zunimmt, stellten am Nachmittag auch der Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) und Markus Söder (CSU) fest. Söder verglich den Rassismus mit einem Tumor, der stärker wachse als je zuvor". Man könne die Tat nicht als die eines "rechten Irren abtun". Auch Reiter stellte fest: "Dieser Anschlag gehört zur Spur des rechten Terrors, die sich durch Deutschland zieht." Söder, Reiter - und später auch Alt-Oberbürgermeister Christian Ude riefen dazu auf, Rassimus zu bekämpfen, Solidarität zu zeigen.

Für zwölf weitere Menschen kommt das zu spät. Auf den Anschlag in München folgte Kassel, wo der Regierungspräsident Walter Lübcke auf dessen Veranda erschossen wurde, weil er sich für Geflüchtete einsetzte. Es folgte Halle, wo ein Rechtsterrorist versuchte, eine Synagoge zu stürmen und zwei Menschen tötete. Es folgte Hanau, wo ein Rechtsterrorist neun Menschen mit Migrationshintergrund erschoss.

"Wir sind doch alle Menschen, die ein Herz tragen."
Zum Gedenktag in München reisen ihre Angehörigen an. Die aus Hanau lesen die Namen der Ermordeten laut vor: Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtovic, Fatih Saraçoglu, Ferhat Unvar, Kaloyan Velkov, Gabriele Rathjen. Und das Publikum spricht diese Namen nach.
"Minderheit ist für mich ein sinnloses Wort", sagt Ismet Tekin, der den Anschlag von Halle überlebte. "Wir sind doch alle Menschen, die ein Herz tragen."
Die Solidarität in München spendete Trost
Tatsächlich trat an diesem Abend vor fünf Jahren auch hervor, dass in München Menschen leben, die es am rechten Fleck tragen. Söder und Reiter erinnern daran, wie die Münchner ihre Haustüren öffneten, als die Stadt in Panik geriet. Stundenlang war nicht klar, ob sich irgendwo weitere Täter verstecken, die noch mehr Menschen töten könnten. Am Hofbräuhaus, am Stachus soll es Schüsse gegeben haben. 67 Einsatzstellen wurden der Polizei gemeldet. Doch tatsächlich geschossen wurde nur an einem Ort: eben am Olympia-Einkaufszentrum in Moosach - von einem rechtsextremen Terroristen.
Für Gisela Kollmann, deren Enkel dort erschossen wurde, den sie in ihrer Rede ihr Kind nennt, ist diese Wahrheit ein Trost. Aber auch die Solidarität, die sie nach der Tat erfuhr.
Ein Enkel werde im Herbst eine Ausbildung bei der Stadt beginnen. Anderen habe die Stadt Wohnungen vermittelt. All diese Gesten seien ein Geschenk im Zustand größter Verzweiflung, sagt sie. Und trotzdem werde sie diesen Verlust ihr Leben lang nicht verkraften.