Gedenken an das alte Trachtenhaus Wallach lebt auf – Urenkel spricht in der AZ: "Die Geschichte kannte ich nicht"
München - Der Name Wallach ist vielen Münchnern noch heute ein Begriff: Das Trachtengeschäft, das diesen Namen trug, gab es bis 2004 in der Residenzstraße. Damals gehörte es zur Firma Lodenfrey. Doch die Geschichte des Trachtenhauses beginnt viel früher, lange bevor Lodenfrey das Unternehmen im Jahr 1984 kaufte.
Es ist die Geschichte der jüdischen Familie Wallach, die seit 1910 in der Residenzstraße ihre Kleider und Innenausstattung verkaufte, als noch Droschken durch die Altstadt fuhren und Dirndl Arbeitskleidung waren. Es war ein berühmtes Unternehmen, erzählt Regina Prinz vom Münchner Stadtmuseum.
Die firmeneigene Produktionsstätte des Trachtenhauses befand sich in Dachau
Die Wallachs statteten nicht nur die preußische Königin mit einem Dirndl aus – und verhalfen dem Kleid somit zu einem neuen Ansehen in der Gesellschaft. Auch die Fußgruppen des Trachtenzugs beim 100. Oktoberfest zeigten sich in Trachten aus dem Hause Wallach. Ab 1922 besaß die Familie sogar eine eigene Produktionsstätte für ihre Stoffe, in Dachau. Doch ihr Erfolg fand mit dem Aufstieg der NSDAP ein Ende.
Die Nationalsozialisten arisierten die Geschäfte und zwangen auch die Familie Wallach 1938 dazu, ihren Laden zu einem Spottpreis zu verkaufen. Mit dem Geld floh ein Teil der Familie ins Ausland – doch nicht allen Familienmitgliedern gelang die Flucht. Max und Melitta Wallach wurden 1944 in Auschwitz ermordet.
In Gedenken an die beiden errichtete die Stadt kürzlich in der Residenzstraße ein Erinnerungszeichen. Jamie Hall, der Urenkel von Max und Melitta Wallach, kommt aus London und lebt heute in Athen. Zur Enthüllung der Stele für seine Urgroßeltern kam er nach München.
Urenkel von Max und Melitta Wallach im AZ-Gespräch: "Die Geschichte kannte ich nicht"
Im AZ-Gespräch erzählt der Brite von seinem Projekt The Wallach Project, das er in Gedenken an Max und Melitta Wallach ins Leben gerufen hat.

AZ: Wann haben Sie von der Geschichte Ihrer Familie erfahren?
JAMIE HALL: Ich bin mit Wallach-Produkten um mich herum aufgewachsen, zum Beispiel mit den Tischdecken. Die Gegenstände gehörten zu meiner Kindheit, aber die Geschichte dahinter kannte ich nicht. Was passiert ist, erfuhr ich erst als Teenager.
Was ist dann passiert?
Meine Verwandte Catherine Noren hat ein Buch über unsere Familie geschrieben, mit einem Stammbaum und Informationen über die Wallachs und das Unternehmen. Es heißt "The Camera of My Family". Das hat all die Familienmitglieder, die auf der ganzen Welt verteilt leben, wirklich verbunden.
Woher kannte sie die Geschichte?
Catherine ist die Enkelin von Moritz Wallach, dem Gründer der Firma. Er konnte 1938 rechtzeitig nach New York fliehen. Dort wuchs Catherine auf und wusste nichts über die Geschichte ihrer Familie oder dass sie jüdisch war und aus Deutschland kam. Eines Tages war sie im Haus ihrer Großeltern und öffnete einen Schrank. Da fielen lauter Fotos von München und der Familie in Tracht heraus. Und dann fragte sie ihre Großmutter, wer diese Leute sind.
"Meine Großeltern erzählten nicht wirklich etwas über diese Zeit"
Haben Ihre Großeltern etwas erzählt?
Nein. Mein Großvater Frank hat nicht mit seinen Kindern über die frühen Jahre seines Lebens gesprochen. Sein Vater Max Wallach, der später in Auschwitz ermordet wurde, schickte ihn nach England, als er 15 Jahre alt war. Das war 1939, ein Jahr bevor der Krieg begann. Später heiratete er meine Großmutter, die auch mit den Kindertransporten nach England kam. Beide haben ihre ganze Familie verloren und kamen alleine. Und beide erzählten ihren drei Kindern nicht wirklich etwas über diese Zeit.
Sie waren ein Teenager, als Sie von der Vergangenheit Ihrer Familie erfahren haben. Wie haben Sie darauf reagiert?
Ich wusste über den Holocaust Bescheid, wir haben das Thema in der Schule besprochen. Aber es hat sich bis zu diesem Zeitpunkt nicht wie eine Geschichte angefühlt, die mich ganz persönlich betrifft. Das änderte sich dann. Meine Mutter fühlte sich nicht mehr deutsch oder jüdisch und in meiner Kindheit gab es keine jüdischen Symbole oder solche aus der Münchner Kultur.
Die Stadt München hat sich gegen Stolpersteine und für Erinnerungsstelen auf Augenhöhe entschieden. Wie stehen Sie dazu?
Für Max und Melitta Wallach, meine Urgroßeltern, gibt es Stolpersteine in Dachau, dort war die Produktionsstätte des Unternehmens. Ich weiß, dass das Thema kontrovers diskutiert wird und manche Leute es nicht gut finden, dass sie am Boden platziert sind und man sich darauf stellen kann. Ich habe dazu nicht wirklich eine Meinung, aber ich finde die Stelen in München sehr schön. Sie sind subtil und auf Augenhöhe. Ich bin an der Stele für meine Urgroßeltern in der Residenzstraße zwei Tage nach der Enthüllung vorbeigelaufen und es standen ein paar Leute dort und schauten sie sich an. Ich glaube, das passiert eher bei dieser Art von Erinnerungszeichen, als wenn es am Boden ist.
"Das Erbe ist nicht tot, es lebt"
Sie haben das Wallach-Projekt ins Leben gerufen. Wie kam es dazu?
Meine Cousine Amelia hat 2017 von ihrer Universität einen Zuschuss bekommen, um über die Geschichte ihrer Familie zu recherchieren. Sie ist dann durch ganz Deutschland gereist, zu Orten, die Catherine in ihrem Buch genannt hat. Dort traf sie Josef Fromholzer. Er war ein 90-jähriger Meister-Drucker, der in Ruhmannsfelden in Niederbayern lebte. Sein Vater war ein Freund und Geschäftspartner der Wallachs. Und es stellte sich heraus, dass er weiterhin Wallach-Stoffe bedruckte, im traditionellen Verfahren. Da haben wir gemerkt: Das Erbe ist nicht tot, es lebt. Aber es gab keine Pläne für das Fortbestehen seiner Produktion, wenn er es einmal nicht mehr macht. Was würde also passieren mit all den Holzblöcken und den Schablonen – alles Wallach-Originale? In der Familie haben wir uns gefragt, was man da machen könnte. Und dann hatte ich die Idee, dass man eine gemeinnützige Organisation gründen könnte.
Was ist das Ziel der Organisation?
Es gibt drei Ziele: den Erhalt des Erbes (preserve), das Erzählen der Geschichte (retell) und die Muster neu aufleben zu lassen (reimagine). Hierfür haben wir ein Online-Archiv erstellt. Dort findet man Bilder von all den Holzblöcken, den Stoffmustern, den Dokumenten und den Broschüren – alles an einem Ort, damit jeder es sich ansehen kann. Wir überlegen auch, was unsere Rolle beim Erhalt der physischen Gegenstände sein kann, vor allem die bei Josef. Er ist dieses Jahr gestorben und es ist unsicher, wie es mit all den Artefakten weitergeht.
"Das Interesse und die Unterstützung sind sehr ermutigend"
Was sind die nächsten Schritte Ihres Projekts?
Ein Fotograf des Münchner Stadtmuseums fotografiert die 350 Wallach-Schablonen in Ruhmannsfelden. Außerdem möchten wir gerne mit Künstlern, Textilherstellern und öffentlichen Institutionen zusammenarbeiten, die uns mit ihrer Expertise helfen können.
Wie reagieren die Menschen auf Ihr Projekt?
Seitdem wir den Verein gegründet haben, habe ich mich immer sehr willkommen und unterstützt gefühlt. Zum Beispiel vom Stadtmuseum und vom Stadtarchiv. Und dieses Interesse und die Unterstützung sind sehr ermutigend. Trotzdem spürt man immer eine gewisse Last, wenn man dabei denkt, was passiert ist. Wenn mein Sohn hier zum Beispiel in der Isar schwimmt, frage ich mich: Hat mein Großvater das vielleicht auch gern getan?
Könnte es eines Tages vielleicht wieder ein Wallach-Dirndl geben?
Es ist auf jeden Fall eine schöne Idee. Wir sagen niemals nie.
Sie können etwas zu dem Projekt beitragen, weil Sie etwa alte Stoffe, Broschüren oder andere Erinnerungsstücke besitzen? Melden Sie sich gerne unter: info@wallachproject.org