Geburtsort des NSDPA-Vorläufers DAP: Gaststätte Mettingh - Das Nazi-Nest in Neuhausen

Der 7. März 1918 gilt als Geburtstag der Nazi- Partei DAP, der späteren NSDAP. Und seinen Anfang nahm alles in der Mettinghstraße.
von  Karl Stankiewitz
In der Mettinghstraße (in der seinerzeitigen Gaststätte Mettingh) wurde 1918 von Anton Drexler (kleines Foto) die Vorgängerorganisation der NSDAP gegründet.
In der Mettinghstraße (in der seinerzeitigen Gaststätte Mettingh) wurde 1918 von Anton Drexler (kleines Foto) die Vorgängerorganisation der NSDAP gegründet. © Thomas Stankiewitz/Ullstein

Der 7. März 1918 gilt als Geburtstag der Nazi-Partei DAP, der späteren NSDAP. Und seinen Anfang nahm alles in der Mettinghstraße in München.

München - Wo heute "Münchens ältester Spanier" vor senffarbenen Holzwänden zu Tisch bittet, hat Günther Baumann eine "Keimzelle der NSDAP" ausfindig gemacht. Dorthin führt der Stadtteilforscher von Neuhausen am heutigen 7. März im Auftrag der Volkshochschule München. In seinem kleinen Bierkeller um die Ecke in der Richelstraße berichtet er im Rahmen eines Stadtteilspaziergangs über ein kaum bekanntes oder längst verdrängtes Ereignis genau hundert Jahre zuvor. Müsste nun deshalb die Frühgeschichte des Nationalsozialismus ein wenig ergänzt werden?

Der Mann, der jetzt wieder ins Spiel kommt, heißt Anton Drexler. Einigen Historikern gilt er als "Hitlers Steigbügelhalter". Der 1884 geborene Münchner war in der "Kgl. Bay. Staatsbahn-Centralwerkstätte" an der Donnersbergerbrücke als Werkzeugschlosser beschäftigt. Fast alle, die am 7. März 1918 seinem Aufruf folgten, waren Arbeitskollegen. Nach einigen völkischen Reden, die den Juden die Schuld an Krieg und Elend gaben, beschloss man im Hinterzimmer der "Gaststätte Mettingh", dem heutigen "La Tasca" (Mettingh- Ecke Sedlmayrstraße), einen "Freien Ausschuss für einen guten Frieden" zu gründen.

Nichts Besonderes in jener chaotischen Zeit des nahenden Zusammenbruchs. In München, wo sich schon vor 1914 viele Weltverbesserer eingefunden hatten, "existierten zeitweise annähernd fünfzig mehr oder minder politische Zusammenschlüsse, deren Anhang vornehmlich aus verwirrten Resten der durch Krieg und Revolution zersetzten, in Auflösung geratenen Parteien der Vorkriegszeit bestand", so Joachim C. Fest in der Standard-Biografie "Hitler". Diese Grüppchen nannten sich beispielsweise "Siegfriedring" oder "Rat geistiger Arbeit" (die Keimzelle der Münchner Volkshochschule).

Das Gründungsprotokoll wurde erst vor wenigen Jahren entdeckt

Doch ein anderer deutscher Historiker, nämlich Werner Maser, der als Erster das Hauptarchiv der NSDAP auswerten und die "Hitler-Tagebücher" als Fälschung entlarven konnte, will in dem Dokument von Neuhausen die eigentliche Geburtsurkunde der nationalsozialistischen Bewegung erkannt haben.

Tatsächlich dauerte es noch bis zum 5. Januar 1919, dass Drexler, wiederum mit 30 Kollegen von der Staatsbahn, im Fürstenfelder Hof die in der Mettinghstraße 2 beschlossene "Deutsche Arbeiterpartei DAP" gründete.

Als Günter Baumann, Mitgründer der Geschichtswerkstatt Neuhausen, vor einigen Jahren der Nazi-Geschichte seines sogenannten Mettinghviertels nachzuspüren begann, entdeckte er unter den im Stadtarchiv aufbewahrten Wirtschaftskonzessionen nicht nur das handschriftliche Gründungsprotokoll, er fand auch bisher unveröffentlichte Aufzeichnungen des nach wie vor geheimnisumwitterten Anton Drexler, aus denen im folgenden Text zitiert wird.


Anton Drexler (1942): Mitbegründer der Deutschen Arbeiterpartei (DAP) und frühester Vertrauter Adold Hitlers in München. Foto: Ullstein

Bei einer der ersten Versammlungen seiner DAP im August 1919 lauschte Drexler "mit heller Begeisterung" in der Diskussion einer "zwar kurzen, aber schneidigen Rede im Sinne eines Großdeutschland". Der Redner war Adolf Hitler, der sich nach einer Verwundung auf Fronturlaub befand. Er sollte die Versammlung eigentlich nur beobachten.

Der 29-jährige Österreicher wohnte bis zu seiner Entlassung aus dem Militärdienst im Jahr 1920 in einer Münchner Kaserne und bezog 40 Mark Sold bei freier Verpflegung. Polizeilich war er als "Kunstmaler, Schriftsteller" gemeldet. Am 15. Februar 1919 hatte er sich zum "Gruppenkommando 4" gemeldet. Dieses sogenannte "Gruko" unter Führung des Hauptmanns Karl Mayr vom Bayerischen Kriegsministerium sollte die alten und neuen Parteien überwachen und heimkehrende Soldaten "antibolschewistisch schulen".

Hitler, immer noch Gefreiter der Infanterie, bezeichnete seine Funktion später als "Bildungsoffizier". In populären Biografien erscheint er meist als "Spitzel der Reichswehr". Ein kürzlich mit Dokumenten aus US-Archiven eröffnetes Museum "Berlin Story Bunker" zeigt bisher unbekannte Fotos von damals: Auf einem ist Hitler als "Vertrauensmann" der Hauptbahnhofswache markiert, auf einem anderen steht er mit Uniformierten angeblich bei der Beisetzung des ermordeten Ministerpräsidenten Kurt Eisner am 21. Februar 1919.

2.000 Zuhörer zieht es zu Hitlers Rede ins Hofbräuhaus

Nach jener denkwürdigen DAP-Versammlung drückte Drexler dem schneidigen Diskussionsredner ein Exemplar seines "Tagebuchs eines deutschen sozialistischen Arbeiters" in die Hand. Titel: "Mein politisches Erwachen". In einem 1935 verfassten Lebenslauf behauptete Drexler: "Hitler und ich wurden Freunde."

In seiner Wohnküche in der Burghausener Straße 6 habe man sich drei bis vier Mal in der Woche getroffen, um "Ziele und Wege der Bewegung" zu besprechen. Eine ebenfalls 1935 erschienene NS-Parteigeschichte bestätigt, dass die von "einem gewissen Drexler" formulierten Ideen "die Seelenkämpfe spiegelten, wie sie Hitler selbst in seiner Wiener Zeit nachdrücklichst auszufechten gehabt hatte".

Am nächsten Tag erhielt Hitler die Mitteilung, dass er in die - in München völlig unbekannte - Partei aufgenommen sei. Er bekam auch gleich die Mitgliedsnummer Sieben. So weit die offizielle NS-Geschichte.

Drexler dagegen behauptete im August 1940 in einem Beschwerdebrief an seinen Führer, die Mitgliedskarte sei gefälscht worden, indem die Nummer 555 durch die Sieben ersetzt worden sei. Jedenfalls ließ sich das neue Mitglied zum "Werbeobmann" der DAP ernennen. Persönlich will Hitler dann Einladungskarten geschrieben und verteilt und die ersten 300 Mark kassiert haben - während Parteiführer Drexler mit 5000 Stück seines "Politischen Erwachens" sitzen blieb und seine Rolle von den neuen Parteiführern heruntergespielt wurde.


1935: Adolf Hitler und Joseph Goebbels (r.) beim Besucher der ersten Geschäftsstelle der NSDAP in München. Foto: imago

Der im Mettinghviertel geborene "politische Debattierklub", so die offizielle NS-Historie, versammelte sich dann im Alten Rosenbad in der Herrnstraße 48, (heute Parkhaus) sowie im Café Gasteig (wo später eine "historische Ecke" gekennzeichnet wurde), bald auch im Hotel Wagner (wo auch Karl Valentin debütierte) und schließlich im Leiberzimmer (heute Geschäftsräume) des Sterneckerbräu im Tal 54 (heute Nummer 38). Weitere frühe Nazi-Treffpunkte waren das Café Heck in der Galeriestraße, der Tambosi-Garten (wo ihn Bert Brecht 1922 beobachtete) und die Osteria Bavaria in der Schellingstraße (wo O. M. Graf eine bizarre Begegnung mit Hitler gehabt haben will). Göring spottete: "Eine Bande von Biertrinkern und Rucksackträgern".

Die 25 Thesen eines Parteiprogramms , die angeblich in einer Küche in Neuhausen erarbeitet wurden, verkündete Hitler als Werber der DAP am 24. Februar 1920 auf einer legendären Großkundgebung im Festsaal des Hofbräuhauses vor 2.000 Münchnern. Fest: "Mit dieser Veranstaltung begann die Entwicklung der von Drexler ins Leben gerufenen, bescheidenen völkischen Bierrunde zur Massenpartei Adolf Hitlers."

1920 wird aus der DAP die NSDAP

Dem passte die "schwunglose Vereinsmeierei" längst nicht mehr. Schon am 1. Februar hatte er durchgesetzt, dass der Drexler-Partei das Attribut "nationalsozialistisch" voran gesetzt wird. Um seinen Parteiaustritt rückgängig zu machen, forderte Hitler außerdem "umfassende Machtbefugnisse", die ihm der sechsköpfige Ausschuss sogleich schriftlich einräumte. Am 25. Juli erschien Drexler bei der Münchner Polizei - und warnte vor dem Diktator Hitler.

Am 3. Dezember 1920 wurde die in N.S.D.A.P. umbenannte Partei im Sterneckerbräu formell ins Leben gerufen. "Die ersten sieben wackeren Kämpfer legten hier den Grundstein zur deutschen Freiheitsbewegung", so war einst in der Gedenkstube samt Reichsadler plakatiert.

Hier mietete sich auch die erste Geschäftsstelle der Nazi-Partei für 50 Mark im Monat samt Telefon und Schreibmaschine ein; sie musste wegen rasch steigender Mitgliederzahlen bald in ein Gasthaus in der Corneliusstraße 12 umziehen.

Der Ideengeber Anton Drexler durfte noch eine Weile mitmachen. Die neuen, eher brutalen "alten Kämpfer" wählten ihn zum Ehrenvorsitzenden. Zum 10. Dezember 1922 rief er namens der Parteileitung zu Protestkundgebungen gegen "jüdisch-internationalen Marxismus und Freimaurerei" auf. In nicht weniger als zehn Bierkellern sollte "unser Führer PG. Hitler" jeweils kurz sprechen.


24. Februar 1920: Nazi-Gedenkecke zur Gründung der NSDAP im Sterneckerbräu im Tal. Foto: Ullstein

Am November-Marsch zur Feldherrnhalle im November 1923 nahm Drexler jedoch nicht teil, er sah durch diesen "verrückten Putsch" die Partei "total zerstört"; inhaftiert wurde er trotzdem. In "Mein Kampf" erwähnte der Zweit-Gründer der Bewegung seinen Vorgänger als Schwächling: "Nicht fähig, mit brutalster Rücksichtslosigkeit die Widerstände zu beseitigen, die sich beim Emporsteigen der neuen Idee in die Wege stellen mochten."

Von 1923 bis 1928 saß der Werkzeugschlosser für einen "Völkischen Block" im Bayerischen Landtag. Am 1. Mai 1925, während Hitler noch Redeverbot hatte, gründete er zusammen mit Münchner Mandatsträgern einen "Nationalsozialen Volksbund", der von Hitlers Schergen brutal bekämpft wurde. Nach der Machtübernahme von 1933 trat Hitlers "Toni" wieder in die NSDAP ein und bekam sogar den "Blutorden" der "Alten Kämpfer".

Auf spätere Briefe an Hitler reagierte dieser nicht. Am 24. Februar 1942 starb er in München - völlig zurückgezogen von aller Politik.


Anmeldung zur Führung heute am Mittwochabend (18 Uhr) bei der Volkshochschule Neuhausen unter 089 83 53 53.

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