Gavril wünscht sich ein neues Gesicht
Ein Brand hat den Buben schlimm zugerichtet. Ärzte hatten ihn sogar schon aufgegeben. Dank der Hilfe von AZ-Lesern kann er nun wieder gehen. Aber wie er aussieht – „das macht ihn fertig“
München - Als er sich nach dem Unfall zum ersten Mal im Spiegel sieht, weint er. Dann ist er ganz still. Gavrils Gesicht ist völlig vernarbt, seine Ohren verbrannt. Ein Augenlid hängt, sein Mund ist verzerrt. Es ist ein Anblick, bei dem sich Fremde erschrocken abwenden. Ein Anblick, den Gavril selbst nicht erträgt.
Seine Tante und sein Vater sind bei ihm, als der 18-Jährige vor dem Badezimmer-Spiegel steht. Sie reden auf ihn ein. Versprechen ihm, alles zu tun, damit sie das Geld für die nächsten Operationen zusammen bekommen. „Aber wir wissen im selben Moment, dass wir uns das nicht leisten können“, sagt seine Tante Dragica Kazandziska. „Und er weiß das auch.“
Im Sommer hat die AZ schon mal über den Jugendlichen aus Mazedonien berichtet. Über den Unfall, der jetzt mehr als ein Jahr zurückliegt. Ein Freund sitzt am Steuer, Gavril und zwei andere Teenager fahren mit. Das Auto überschlägt sich, fängt Feuer. Die anderen werden kaum verletzt. Doch Gavril steht in Flammen. 60 Prozent seiner Haut verbrennen. Sein Oberkörper, sein Kopf – alles wund.
Die Ärzte in Mazedonien geben den jungen Mann nach 50 Tagen auf. Sie wollen ihn sterben lassen. Seine Tante Dragica, die in München auf einer Intensivstation als Krankenschwester arbeitet, will das nicht akzeptieren. Sie sammelt Geld, nimmt einen Kredit auf – und holt Gavril nach Bayern.
Was sie für ihren Neffen leistet, ist beispiellos. Sie verschuldet sich, um seine Behandlung zu finanzieren.
20 Mal musste Gavril bisher in München operiert werden. Seine Tante versucht, die noch ausstehenden Krankenhaus-Kosten in Höhe von 240 000 Euro abzustottern. Ein auswegloses Unterfangen. 200 Euro zahlt sie im Monat – mehr ist nicht drin. Die Eltern des 18-Jährigen können kaum helfen. Sie haben selbst nichts. Und der mazedonische Gesundheitsfonds, also die dortige Krankenkasse, weigert sich, die Summe zu übernehmen.
Es sind die AZ-Leser, die Gavril im Sommer unterstützt haben: Mit ihren Spenden konnte auch eine Reha bezahlt werden. Während der Therapie hat der junge Mann wieder gelernt zu laufen. Er kann mit seinen Krücken sogar Treppen steigen, wenn auch unter Schmerzen.
„Wir sind unendlich dankbar“, sagt Dragica Kazandziska. Und doch ist die Situation immer noch verfahren.
Gavrils Luftröhre muss von zwei künstlichen Stützen offen gehalten werden, sie ist völlig vernarbt. Derzeit läuft der Heilungsprozess zwar gut. Falls aber neue OPs nötig werden, damit ihm nicht die Luft wegbleibt, wird es teuer.
Und dann ist da eben sein Gesicht. „Die Situation macht ihn fertig“, weiß seine Tante, bei der er inzwischen lebt. Auch wenn er nicht darüber spricht. Gavril schämt sich so, dass er fast ununterbrochen eine Maske trägt. Die soll er zwar ohnehin benutzen, weil sie das Wuchern des Narbengewebes eindämmt. Aber er will sie gar nicht mehr ausziehen. „Er versteckt sich dahinter – auch vor sich selbst“, sagt Dragica.
Weil er keine Ohren mehr hat, zieht er die Kapuze seines Pullis über den Kopf. Niemand soll sehen, was die Flammen angerichtet haben.
Natürlich könnten die Ärzte ihm helfen. Könnten ihm ein neues Antlitz geben. Wenn nur das Geld dafür da wäre. Seine Tante sagt: „Ich kann ihm keine Ohren verschaffen, ich kann sein Aussehen nicht verändern.“ Auch wenn sie noch so sehr mit ihm leidet. „Ich bin finanziell am Ende.“
Ein Experte für Brandverletzungen hat ausgerechnet, was es kosten würde, dem jungen Mann zu helfen: Demnach würde eine Rekonstruktion alleine der Ohren bei Gavril mindestens 30 000 Euro kosten.
Was seinen Fall so schwierig macht: Sein kompletter Kopf inklusive der Haut um die Ohren war verbrannt – und damit besteht eine große Narbenplatte. Deshalb müsste für die Rekonstruktion Gewebe von anderen Körperstellen verpflanzt werden. Mit allen anderen nötigen Korrekturen läge die Summe etwa bei 50 000 Euro.
Gavril und seine Tante glauben selbst kaum daran, dass sie diesen Betrag je zusammen bekommen. Aber Dragica weiß auch: „So akzeptiert er sich einfach nicht.“
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