Gastro-Boom im Glockenbach: Die Ersten ziehen weg
Die Kehrseite des Szeneviertels: Viele Nachbarn sind vom Gastro-Boom genervt. Die Folge: Die Ersten ziehen jetzt weg.
MÜNCHEN Zu laut. Zu teuer. Zu viel Müll. Das ist der Eindruck, den immer mehr Anwohner vom Glockenbachviertel gewinnen. Deshalb ist Alexander Miklosy, Chef des Bezirksausschusses, jetzt mit der Forderung nach einem Kneipen-Stopp vorgeprescht (AZ berichtete). Im seinem Viertel hat er dafür Zuspruch geerntet. Viele Anwohner haben aber bereits resigniert und suchen das Weite. „Es ist ein galoppierender Prozess, dass die Leute wegziehen“, sagt er. Sein Schreckens-Szenario: Ein Viertel, in dem kaum einer mehr wohnt. Und das zum reinen Vergügungspark mutiert.
Nina Bauer (32) weiß, wovon der BA-Chef spricht. Mit ihrem Mann lebt sie seit fast zehn Jahren in der Reichenbachstraße – schräg gegenüber vom „Trachtenvogel“. „Wir überlegen gerade wegzuziehen, weil es zu laut ist“, sagt sie. „Ich bin nicht sehr empfindlich, aber es ist selbst mir zu viel.“ Lärm bis vier Uhr morgens, Glasscherben, Müll.
"Wohnviertel, nicht nur Partymeile"
Das war früher anders, erzählt die Frau. Als sie einzog, da sei der „Trachtenvogel“ wirklich noch ein Trachtenladen gewesen. Heute ist es ein Szenetreff. Irgendwann machten die ersten Cafés auf. „Das war nett“, erinnert sie sich. Aber seit drei bis vier Jahren ist es vorbei mit nett. „Wenn man Fernsehen schauen will, muss man das Fenster zumachen – sonst versteht man nix.“ Sie und ihr Mann halten die Augen nach einer anderen Wohnung offen. Nach einer, die nicht wie die jetzige mit zwei Zimmern nach vorne rausgeht. „Das hier ist ein Wohnviertel – und nicht nur eine Partymeile!“
Ursula Fröhmer (62) vom Laden „Tracht und Heimat“ hat die Segel schon vor vier Jahren gestrichen. Sie lebte damals am Stephansplatz – und bekam die Partygänger aus der Thalkirchner/Ecke Müllerstraße mit. „Nachts geht’s da fürchterlich zu.“ Nach 17 Jahren zog sie weg. Auch deshalb.
Kneipenstopp als probates Mittel?
Aysim Woltmann würde gerne bleiben. Doch sie erlebt gerade eine besonders schwierige Kehrseite des Booms. Seit 33 Jahren wohnt sie mit ihrem Mann in der Baaderstraße. Jetzt ist ihnen gekündigt worden – wegen einer Kernsanierung „zur angemessenen wirtschaftlichen Verwertung“. Alle Mieter müssen raus. „Es gab hier mal eine richtige Vielfalt der Bevölkerungsgruppen“, sagt die Architektin (55). Aber nun könnten sich viele die Preise im Glockenbach nicht mehr leisten. „Irgendwann hat man als Durchschnittsbürger in dem Szeneviertel nichts mehr verloren.“
BA-Chef Miklosy bestätigt: „Die Mieten im Glockenbachviertel haben sich überproportional erhöht.“ Was also tun? Ist der Kneipenstopp, den er fordert, ein probates Mittel? Im Rathaus ist man mehr als skeptisch. Das würde zu weit gehen, findet CSU-Fraktionschef Josef Schmid. Aber im Hinblick auf Verstöße gegen Lärm- und Sperrzeitvorschriften fordert er: „Das KVR muss schauen, dass geltende Regeln eingehalten werden – noch mehr als bislang.“ Auch SPD-Mann Alexander Reissl lehnt den Kneipenstopp ab. Er sieht „keine Regelungskompetenz“ bei der Stadt.
Julia Lenders