Full House in Monte Carlo

Das kleine Fürstentum an der Cote d'Azur war die letzte Station der „Pokerstars European Poker Tour“ – die AZ war dabei und traf den Münchner Profi-Kartenspieler Jan Heitmann und seinen Schüler Boris Becker.
von  Abendzeitung
Hochspannung bei der European Poker Tour: Jan Heitmann bleibt gelassen. Er scheint, als sei der Münchner am Poker-Tisch eingefroren.
Hochspannung bei der European Poker Tour: Jan Heitmann bleibt gelassen. Er scheint, als sei der Münchner am Poker-Tisch eingefroren. © Dorina Herbst

Das kleine Fürstentum an der Cote d'Azur war die letzte Station der „Pokerstars European Poker Tour“ – die AZ war dabei und traf den Münchner Profi-Kartenspieler Jan Heitmann und seinen Schüler Boris Becker.

Sie machen Geräusche wie tausend fallende Dominosteine. Wie zig Sekretärinnen, die mit langen Fingernägeln unermüdlich auf ihren Tastaturen tippen. In Wirklichkeit sind es Spielchips, die von nervösen Händen über filzbespannte Pokertische geschubst werden. Rund 500 Kartenspieler füllen den abgedunkelten Sternesaal – Full House im Monte Carlo Bay Hotel. Während draußen das glamouröse Leben von Monaco lockt, ziehen es die Spieler vor, bis zu zwölf Stunden an den Pokertischen zu hocken – und zu zocken.

Der Grund: Das Grand Final der fünften „Pokerstars European Poker Tour“ – Europas finanzstärkste und beliebteste Pokertour außerhalb der Top-Events in den USA. Das diesjährige Finale ist mit einem Preispool von insgesamt 9,35 Millionen Euro das höchstdotierte Turnier außerhalb von Las Vegas.

Das Festival bietet 14 unterschiedliche Veranstaltungen. Höhepunkt ist das 10000 Euro Buy-In Mainevent. Gespielt wird „Texas Hold’em No Limit“ im Multi-Tischturnier-Format.

Das Auftreten der Teilnehmer könnte unterschiedlicher kaum sein. Auf „Karls Hügel“ (Monte Carlo) treffen sich nette Normalos, Computer-Nerds, Cowboys und gelackte Macho-Typen in deren Brusthaaren sich die Goldkettchen verfangen. Die coolen Kerlchen mit schrägen Käppis, Ed Hardy-Shirts und iPod im Ohr haben dafür nur ein müdes Grinsen übrig. Komplett egal ist das den Schweigern. Sie sind mit sich und ihrer Tarnung beschäftigt, sitzen in Jogginghose am Tisch, ziehen ihre Kapuze tief ins Gesicht und tragen eine verspiegelte Sonnenbrille, manche sogar einen Schal. Der Grund: Die Halsschlagader könnte Nervosität verraten.

Ein 26-jähriger Holländer gewinnt 2,3 Millionen Euro

Unter den insgesamt 935 Teilnehmern aus 57 Ländern, befinden sich 39 Deutsche. Mit dabei: der Münchner Jan Heitmann, Nickname „erdnase“ (siehe Interview). Er ist Mitglied des „Pokerstars Pro Germany-Team“. Leider endet für ihn das Grand Final schon nach sechs Stunden. „Aber wenigstens ist Boris noch drin. Ich bin brutal stolz auf ihn“, sagt er und macht uns am zweiten Tag auf einen seiner Schüler aufmerksam. Es ist Boris Becker, der neue Botschafter von Pokerstars.

Als er Heitmann sieht legt er den Arm um ihn und erklärt der AZ: „Jan ist ein hervorragender Trainer. Er war drei Wochen bei mir in Miami und hat mir das ABC des Pokers beigebracht.“ Dann zieht Becker Parallelen zum Tennis: „Nicht das erste Blatt gewinnt oder der erste Satz, sondern das letzte Blatt.“ Beckers Verlobte, die Holländerin Lilly Kerssenberg, mischt sich derweil unter die Fotografen. Becker möchte, dass sie den Poker-Trubel für ihn auf Video festhält.

Einen Tag später muss sich der einstige Tennis-Heroe mit seiner Starthand Ass Zehn geschlagen geben. Der Gewinner der Pokerstars EPT steht am sechsten Tag fest: Pieter de Korver. Der 26-jährige Holländer gewinnt 2,3 Millionen Euro. Das nennt man dann wohl „spielend reich“ werden.

Der Poker-Profi: Der Münchner Jan Heitmann in Monte Carlo

INTERVIEW mit Jan Heitmann: Vom magischen Zirkel an den Casino-Tisch

Erst gezaubert, dann gezockt: Jan Heitmann über Strategien und Ablenkungsmanöver

AZ: Herr Heitmann, wie wurden Sie Poker-Profi?

JAN HEITMANN: Ich habe früher viel mit Karten gezaubert, wurde Dritter bei der deutschen Meisterschaft des magischen Zirkels. Viele Kunststücke haben Poker als Thema, also habe ich mich näher damit beschäftigt.

Und begonnen, Ihre Gegner am Poker-Tisch zu verzaubert?

Ich versuche es. Nein – abgesehen davon, dass man auch Karten benutzt, hat die Zauberei nichts mit Poker zutun.

Ist Poker reines Glück?

Nein. Das Spiel basiert stark auf Theorie und Mathematik. Hinzu kommt die Erfahrung. Man muss möglichst viele Situationen kennenlernen, entdecken und vergleichen.

Worin liegt die Kunst?

In der Strategie. Das Spiel erfordert viel Konzentration. So ein Turnier dauert zehn bis zwölf Stunden am Tag. Da muss man auch zum Ende hin noch fit sein und die richtigen Entscheidungen treffen.

Wie trainieren Sie?

Es gibt eine große Poker-Community. Mit denen und mit meinen Freunden diskutiere ich Hände. So kann man sich sehr schnell verbessern.

Was fasziniert Sie an Poker?

Es ist in sich so facettenreich. Dadurch, dass Poker seit sechs Jahren in Amerika und seit 2005/6 in Deutschland und Europa so boomt, entstehen immer neue Ideen und Herausforderungen. Poker ist ein Spiel, mit dem man sich sein Leben lang beschäftigen kann.

Wie erklären Sie sich den Poker-Hype in Deutschland?

Durch Online-Poker und den Sprung ins Fernsehen wurden die Leute endlich darauf aufmerksam.

Sind Sie vor Turnieren nervös?

Nein. Es ist eine Frage der Vorbereitung. Man muss geistig und körperlich fit, idealerweise im Fitnessstudio gewesen sein. Das mache ich mal mehr, mal weniger – je nach Schweinehund. Und es ist wichtig, in den späteren Phasen des Turniers über seine Gegner Bescheid zu wissen.

Besitzen Sie Karteikarten mit Notizen über Ihre Rivalen?

Nein. Es gibt andere Möglichkeiten, sich solche Dinge zu notieren. Zum Beispiel auf dem iPhone oder Notebook. So kann man nach dem Turniertag die eine oder andere Taktik überlegen, wie man einen spezifischen Kontrahenten auslotsen kann.

Haben Sie einen Glücksbringer?

Es gibt viele Leute, die immer ein kleines Figürchen, einen Glücks-Chip oder ein Familienfoto dabei haben. Ich nicht. Ich bin nicht abergläubisch.

Dürfen Pokerspieler mit Sonnenbrille am Tisch sitzen?

Ja. Wenn man zehn Stunden spielt, gibt es Situationen, in denen man unaufmerksam wird. Da ist es hilfreich, sich verstecken zu können.

Warum verstecken?

Wenn man ein Gefühl für Menschen und für emotionale Situationen, für Tischdynamiken hat, dann sieht man, ob jemand gestresst, sauer oder müde ist. Die Augen verraten sehr viel.

Achten Sie bewusst auf Ihre Mimik und Gestik?

Beim Poker gibt es das so genannte „Tell“, eine körpersprachliche Information, die man abgibt. Die wirklich guten Spieler versuchen, diese Infos bewusst falsch abzugeben. Das heißt, ich versuche dann nervös zu wirken. Aber ganz subtil, nicht überspielend.

Und das hilft?

Gegen Amateure schon. Die kann man damit foppen. Profis durchschauen das und verwenden es dann gegen einen. Das ist eine Gratwanderung.

Was war bisher Ihr verrücktestes Ablenkungsmanöver?

Bei der Weltmeisterschaft in Las Vegas hat einer in einem Ganzkörperkostüm als Krümelmonster aus der Sesamstraße gepokert. Das war sehr lustig, aber ich glaube, dass er sich damit keinen Gefallen getan hat. Es war sehr heiß.

Hat es Sie denn irritiert?

Nicht wirklich. Man trifft beim Pokern auf so viele Charaktere, dass das eigentlich nur eine weitere Facette war.

Gibt es für Sie eine finanzielle Grenze?

Die sollte es immer geben. Ich persönlich spiele nicht um wahnsinnig hohe Summen, maximal 2000 bis 3000 Euro am Tag. Turniere sind etwas anderes. Da sind die Startgelder höher, die Gewinne aber auch.

Können Sie davon leben?

Ja. Nebenher schreibe ich aber auch noch drei Kolumnen für Pokermedien, bin Co-Kommentator beim DSF und Poker-Coach.

Wen haben Sie gecoacht?

Rund 30 Prominente, zum Beispiel für die „Stefan Raab Pokernacht“. Das ist immer eine wilde Runde. Am meisten Spaß hat’s mit Boris Becker, Karl Dall, Ralf Möller und Moritz Bleibtreu gemacht.

Wie stellte sich Becker an?

Er hat ein unheimliches Talent und nimmt Poker-Konzepte sehr schnell an.

Boris Beckers Strategie?

Er setzt vieles in Tennissprache um. Ich habe ihm gesagt, er soll die Schwachstellen des Gegners suchen und später ausnutzen. So, wie er es früher auf dem Tenniscourt gemacht hat. Damals hat er auch erst abgewartet, solides, risikofreies Tennis gespielt und den Gegner zum Ende hin gekonnt attackiert.

Wie ist die EPT für Sie beide gelaufen?

Boris kam hervorragend weit. Für mich lief es nicht gut. Ich bin am ersten Tag nach sechs Stunden rausgeflogen. Das war besonders frustrierend, weil überhaupt keine spannenden Poker-Situationen stattfanden. Jetzt habe ich nicht mal Hände, die ich mit Kollegen diskutieren kann. Gestern fand ich das ärgerlich – aber heute bin ich darüber hinweg.

Dorina Herbst

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