Für seine Schwester: Senior (87) nimmt beschwerliche Reise auf sich

Zwei Geschwister haben sich Jahrzehnte nicht gesehen, dann bricht auch der Telefonkontakt ab. Aus Sorge reist der Bruder (87) zu seiner Schwester in die USA.
von  Victoria Kunzmann
Marianne und Hans Maurus in den USA. Hans Maurus gefällt es hier nicht so gut: "Das ist alles nicht schön."
Marianne und Hans Maurus in den USA. Hans Maurus gefällt es hier nicht so gut: "Das ist alles nicht schön." © privat

München/Buffalo - Es ist eine lange Zeit: 20 Jahre, da kann viel geschehen, man kann sich auseinander leben, voneinander entfernen. Hans Maurus (87) und seine Schwester Marianne (91) haben versucht, genau das nicht zu tun – und das, obwohl Marianne vor 61 Jahren in die USA ausgewandert ist und in den letzten zwei Jahrzehnten kein persönliches Treffen möglich war.

Vor 20 Jahren haben sich Hans Maurus und seine Schwester Marianne das letzte Mal gesehen. Telefoniert haben sie aber häufig – bis Hans Maurus seine Schwester auf einmal nicht mehr erreichen konnte. Doch gerade diese Funkstille war der Beginn eines bewegenden Wiedersehens.

Hans Maurus vor seinem Haus in Trudering.
Hans Maurus vor seinem Haus in Trudering. © Daniel von Loeper

Plötzlich erreicht er seine Schwester nicht mehr

Schon lange lebten Hans Maurus und seine Schwester nicht mehr auf demselben Kontinent. Ende der 50er Jahre ist Marianne in die USA ausgewandert. In der Nachkriegszeit sah sie in München keine Perspektive. Ihr Bruder besuchte sie einige Male, doch in den vergangenen Jahren war das immer schwerer möglich. Die einzige Kontaktmöglichkeit: das Telefon.

Vor einem halben Jahr erreichte Hans Maurus seine Schwester aber nicht mehr. Mausl, wie er sie liebevoll nennt, lebt in Buffalo in einem Pflegeheim. "Unser letztes Telefonat fand am 29. Juli statt. Dann haben wir ein Vierteljahr nichts mehr voneinander gehört."

Immer wieder probierte er, seine Schwester auf dem Telefon in ihrem Zimmer anzurufen. "Auf einmal ging jemand anderes ran und hat Englisch gesprochen." Maurus spricht kein Englisch.

Ein Nachbar des Seniors hilft

In Sorge ging er zu seinem Nachbarn Michael Mühlenhoff, der für ein amerikanisches Unternehmen arbeitet. Über die Heimleitung konnte Mühlenhoff den Kontakt zu einer Bekannten der Schwester herstellen, die Auskunft über Mausl geben konnte. Die gute Nachricht: Mausl lebt. Und Michael Mühlenhoff kam eine Idee. "Dann hab ich den Hans gefragt: Magst du deine Schwester noch mal sehen?", erzählt Mühlenhoff. Mit seinen 87 Jahren nahm Hans Maurus die Reise auf sich, Michael Mühlenhoff begleitete ihn.

Michael Mühlenhoff (l.) hat Hans Maurus (hier mit seiner Ehefrau Georgine Maurus) auf der Reise begleitet.
Michael Mühlenhoff (l.) hat Hans Maurus (hier mit seiner Ehefrau Georgine Maurus) auf der Reise begleitet. © Daniel von Loeper

"Für mich war es ein persönliches Anliegen", sagt Mühlenhoff. Innerhalb von wenigen Tagen buchte er für die beiden einen Flug nach Cleveland "Von München nach London, von London nach New York. Von New York sind wir nach Cleveland geflogen, haben übernachtet und sind mit dem Auto nach Buffalo weiter", erzählt Mühlenhoff. Große Strapazen für den 87-jährigen Maurus.

Dazu habe Mühlenhoff einen Reisepass für Maurus beantragen müssen. "Pünktlich zum ersten Advent waren wir dann dort", sagt Maurus. Seine Schwester habe ihn sehnsüchtig erwartet. Sie war im Pflegeheim hingefallen und hatte sich das Becken gebrochen. Nachdem sie aus dem Krankenhaus entlassen worden war, hatte die Bekannte Mausl in ein anderes Pflegeheim gebracht. Jeden Tag habe sie morgens als erstes aus dem Fenster geschaut, ob ihr Bruder kommt und doch nicht geglaubt, dass er sie besuchen würde.

Das Wiedersehen: Ein vorgezogenes Weihnachtsgeschenk

Umso größer die Freude, als sich die Geschwister wiedersahen. Die Münchner Heimat musste Hans Maurus seiner Mausl erst wieder näher bringen. "Es ist schwer für sie, Bairisch zu sprechen. Sie spricht ja da drüben nur noch Englisch."

Wiedersehen nach 20 Jahren, da muss man sich drücken.
Wiedersehen nach 20 Jahren, da muss man sich drücken. © privat

Nach Deutschland zurück würde sie aber wohl lieber heute als morgen. Hans Maurus kann es verstehen. "Das ist ja alles nicht schön da drüben", grantelt er. "Hier ist alles aufgeräumt, und die Infrastruktur ist auch viel besser." Dass Marianne tatsächlich wieder nach Deutschland zurückkehrt, ist allerdings unwahrscheinlich. Wiedersehen will der Bruder seine Mausl dafür gern noch einmal – einen Reisepass hat er ja jetzt. Und der ist auch noch fast zehn Jahre gültig. Ein schönes Weihnachtsgeschenk aber hatten beide schon jetzt.

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