Tempo 30 statt Dieselverbot in München: "Lieber langsam fahren als gar nicht"

Die Luft auf der Landshuter Allee in München muss besser werden – aber wie? Die einen fordern ein verschärftes Dieselfahrverbot, die anderen ein Tempolimit. Das Umweltreferat hat Zweifel, dass ein Tempolimit auf dem Ring etwas bringt und rechtmäßig ist. Doch SPD und CSU beschließen es trotzdem.
Christina Hertel |
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
81  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News
Die Landshuter Allee.
Die Landshuter Allee. © Foto: Sigi Müller

München - Die Stadt verschärft das Dieselverbot nicht. Stattdessen soll auf einem 2,5 Kilometer langen Abschnitt auf der Landshuter Allee Tempo 30 gelten. Das hat eine Mehrheit des Stadtrats so beschlossen - trotz erheblicher Bedenken aus der Verwaltung. Klimareferentin Christine Kugler (parteilos) hält die Maßnahme weder für rechtmäßig noch für zielführend. Kugler plädierte dafür, für Euro-5-Diesel ein Fahrverbot innerhalb und auf dem Mittleren Ring zu erlassen - mit Ausnahmen für Anwohner, Lieferverkehr, Schichtdienstleistende und andere Gruppen.

München überschreitet seit Jahren die Grenzwerte für Stickstoffdioxid. Mit der Deutschen Umwelthilfe hatte die Stadt deshalb einen Stufenplan ausgehandelt, der Stadtrat hat dem zugestimmt. Doch davon war die Stadt vergangenes Jahr abgekehrt, weil sie davon ausging, dass die Werte sinken. Das traf nicht ein. Heute sind sie laut Klimareferat praktisch identisch wie vor einem Jahr. Die Deutsche Umwelthilfe verklagte die Stadt und bekam recht.Im Urteil heißt es: Die Stadt sei "verpflichtet, weitere, über die bereits angeordneten Verkehrsverbote hinausgehende Fahrverbote für Dieselfahrzeuge anzuordnen". Eine Revision ist Stand heute nicht möglich. Der Stadtrat hat aber entschieden, Beschwerde einzulegen.

Vorbild für das Tempo-Limit ist Berlin 

Die SPD setzt auf eine Idee, die weder das Gericht noch das Klimarferat als Option nannten: ein Tempolimit von 30 km/h auf der Landshuter Alleeentlang der Wohnbebauung zwischen Dachauer Straße/Parkharfe Olympiapark und Arnulfstraße/Donnersbergerbrücke. SPD-Fraktionschefin Anne Hübner erklärte, dass der Stadtrat vor der Gerichtsverhandlung nicht einbezogen worden sei und sich deshalb nun im Nachgang in die Debatte einbringen müsse. Auch Berlin führte auf der Leipziger Straße Tempo 30 ein, um die Luft sauberer zu bekommen - und habe positive Erfahrungen gemacht, so Hübner. "Ich hätte mir mehr Ausgewogenheit seitens des Referates gewünscht." Ein Tempolimit sei ein Beitrag zum Lärmschutz und einfacher zu kontrollieren als ein Fahrverbot. Die SPD hatte die CSU auf ihrer Seite. Zwar erinnerte CSU-Stadtrat Sebastian Schall daran, dass die Stadt nicht über Fahrverbote diskutieren müsste, wenn sie an der Landshuter Allee einen Tunnel gebaut hätte. Allerdings: "Lieber langsam fahren, als gar nicht fahren."

Lesen Sie auch

Umweltreferentin Christine Kugler (parteilos) appellierte an den Stadtrat, sich das noch einmal zu überlegen. Die Vorstellung, der Stadtrat könnte die Maßnahmen nach dem Urteil noch einmal neu bewerten, teile sie nicht. "Der Stadtrat läuft Gefahr, einen Beschluss zu fassen, der rechtswidrig ist", sagte sie. Rechtskräftig wird das Urteil zwar erst am 16. Mai, aber dann sei es bindend. Kugler rechnet nicht damit, dass eine Beschwerde der Stadt gegen die Nichtzulassung der Revision Erfolg haben werde. Kugler erinnerte außerdem daran, dass das Bayerische Landesamt für Umweltschutz bereits vor Jahren festgestellt habe, dass Tempo 30 auf der Landshuter Allee keine Verbesserungen für die Luft bringen würde. Im Gegenteil: Es besteht sogar die Gefahr, dass die Luft schmutziger wird. Mit der Leipziger Straße in Berlin, wo täglich um die 30.000 Fahrzeuge fahren würden, sei die Landshuter Allee nicht vergleichbar. Hier seien täglich bis zu 120.000 Fahrzeuge unterwegs. Darunter viele LKW.

Nur drei Prozent des Verkehrs auf der Landshuter Allee sind flüssig

Schon heute sei laut Kugler nur drei Prozent des Verkehrs flüssig. Auch Mobilitätsreferent Georg Dunkel (parteilos) bestätigte, dass die Durchschnittsgeschwindigkeit deutlich unter 50 km/h liege, in den Spitzenzeiten seien es eher 20 km/h. Beide Referenten erklärten, dass die Stadt nicht einfach so Tempo 30 anordnen kann, sondern das gut begründen muss. Ein rechtswidriger Beschluss hätte, so Kugler, nach ihrem Kenntnisstand Folgen: Zwangsgeld oder sogar Beugehaft. Sie forderte deshalb eine neue juristische Prüfung. OB Dieter Reiter (SPD) sagte zu, bei der Regierung von Oberbayern auf einem "kollegialen Weg" nach einer Einschätzung zu fragen. Sollte die Beschwerde zur Nichtzulassung der Revision abgewiesen werden, werde er den Stadtrat erneut befassen.

"Ich frage mich, warum die Grünen noch Teil der Koalition sind" 

"Wir haben keine Zeit mehr, wir muten den Anwohnern schon viel zu lange viel zu viel zu", sagte Grünen-Stadtrat Florian Roth. Statt schnell wirksame Maßnahmen zu ergreifen, setze der Stadtrat nun auf ein Pferd, das möglicherweise sogar rückwärts reite - also die Luft noch schmutziger mache. "Ich frage mich, warum die Grünen noch Teil dieser Rathauskoalition sind", sagte der FDPler Fritz Roth. Anstatt bloß die Symptome zu bekämpfen, müsse die Stadt an die Ursachen ran - und einen Tunnel auf der Landshuter Allee schaffen und den ÖPNV ausbauen.

Zumindest mit dem zweiten Punkt hatte die FDP Erfolg: Die Stadt wird eine Ringbus-Linie auf dem Ring prüfen und Gespräche mit dem Freistaat für eine Ring-S-Bahn aufnehmen. "Das werde ich delegieren, da mach ich mich ja lächerlich", kündigte Reiter an. Dabei hat die SPD im Stadtrat und im Landtag vor gut zwei Jahren selbst eine Ringbahn gefordert.

Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
81 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
  • CO2 Voodoo am 26.04.2024 09:49 Uhr / Bewertung:

    Die Grünen Prognosen sinken gegen 10%, die BTW stehen vor der Tür. Die Grünen zappeln wie ein Köder am Angelhaken und leugnen alle ihre ideologischen Lügen. Der Wähler hat verstanden, was für eine Lügenbande er da gewählt hat. Alles was die Grünen versucht haben gegen geltende Gesetze zu verabschieden kommt ans Tageslicht. Heizungsverbot liegt in Karlsruhe mit hoher Wahrscheinlichkeit auf Wiedervorlage im Parlament, da Gremien im Entscheidungsprozess übergangen wurden. Die Wahlrechtsreform wird einen Bauchplatscher erleiden. Das AKW aus wurde bewusst manipuliert, Tempo 30 ist jetzt doch umweltschädlich (verbrieft vom Grünen Umweltreferat). E-Autos werden zu Ladenhütern, Scholz hat Demenz. Somit haben die Grünen aber auch gar nichts bis BTW25 auf die Kette bekommen. Zu Recht fliegen sie aus der Regierung.

  • Xaverl Weissnix am 25.04.2024 22:30 Uhr / Bewertung:

    Warum sollte ich unter dem Aspekt der schlechten Luft durch Dieselfahrzeuge mit meinen Elektrofahrzeug 30 fahren müssen?! Und kommt mir jetzt bloß nicht mit Reifenabrieb, das wäre Themaverfehlung! Das Tempolimit steht im Kontext mit schlechter Luft durch Dieselfahrzeuge

  • ClimateEmergency am 26.04.2024 11:19 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von Xaverl Weissnix

    Warum sollte man Feinstaub durch Dieselabgase reduzieren wollen, Feinstaub durch Reifenabrieb aber nicht?

    Auf die selbe Strecke gesehen scheint der Reifenabrieb aber mit höherer Geschwindigkeit leicht zu sinken (auf die Gesamtstrecke gesehen).
    Quelle: https://www.researchgate.net/figure/Effect-of-fleet-velocity-and-weight-on-brake-and-tire-wear-PM-emission-factors-EFs_fig1_360857529

    Dass man dann aber als 50km/h schnelles Fahrzeug zwischen 30km/h schnellen Fahrzeuge oft auf 30 abbremsen muss und wieder auf 50 beschleunigen muss, dürfte den Vorteil allerdings vernichten.

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.