Für gute Fotos geht er durchs Feuer

MÜNCHEN - Thomas Gaulke knipst seit fast 40 Jahren Katastrophen, Brände und Unfälle für Münchner Zeitungen – dafür verzichtet der Fotograf auf ein ganz normales Leben.
Wenn’s brennt, ist er da. Ein Anruf, und er rast übers Land, pirscht sich über Feldwege, brettert über Forststraßen, dass es staubt. Hin zu Katastrophen, von denen andere erst am nächsten Tag lesen. Thomas Gaulke ist Feuerwehrfotograf – immer da, wo’s kracht, knistert, kreischt und qualmt.
Er hätte auch was Gescheites machen können. Seine Mutter hat ihn angefleht, sein Vater überzeugt, und mit 16 lernte der heute 50 Jahre alte Ramersdorfer Industriekaufmann. Was Seriöses. 32 Jahre arbeitete er in einer Baufirma, bei MBB und EADS. In seinem Innern aber loderte das Feuer.
Nach Feierabend schnappte er sich seine Nikon und fuhr zu brennenden McDonald’s-Filialen, versengten Wäldern, eingeklemmten Autofahrern oder verunglückten Elefanten im Tierpark – noch mehr Arbeit, aber die machte ihm Spaß. Seit 1992 ist Gaulke selbstständiger Fotograf, zuerst im Nebenjob, heute hauptberuflich. Dafür verzichtete er auf Vieles. Auch auf Frauen und Familie.
Mit 12 das erste Foto - von mittlerweile über 200 000
Mit zehn Jahren bringt Gaulke seine eigene Zeitschrift namens „Wochenzeitung“ heraus. Thema: die Feuerwehr. Nach der Schule sitzt der Knirps stundenlang am offenen Fenster der Wache in Ramersdorf und wartet, bis seine großen Vorbilder auf ihre großen roten Fahrzeuge springen. Und wenn der Löschwagen heulend um die Ecke biegt, fährt er mit seinem roten Radl hinterher. Eine Kamera hat er nicht, also zeichnete er verkohlte Schober und demolierte Autos ab. „Man konnte sogar erkennen, ob das Auto ein Käfer war oder ein BMW. Nur Menschen habe ich nie gezeichnet – die blieben nie so lange stehen.“
1971 schenkt ihm sein Vater endlich seine alte Agfa Silette. Mit zwölf schießt Gaulke sein erstes Foto eines Feuers und merkt: Feuerwehr und Fotografie – das ist es. Fünf Jahre geht’s so weiter: Andere kicken auf dem Fußballplatz, Gaulke holt sich den Kick beim Knipsen. Bis 1976 fotografiert er für sein privates Archiv, dann verkauft er sein erstes Foto an die Süddeutsche Zeitung: Ein überschlagener Milchlaster bei Dingharting, er bekommt 40 Mark. „Was mich aber viel mehr freute war, dass es in der Zeitung stand.“ Mit diesem Schuss wird Gaulke Feuerwehrfotograf. 13 Jahre ist er ohne Konkurrenz – heute fotografieren selbst Schaulustige mit Handys, „und manche drucken den unqualifizierten Mist auch noch“.
Die Zeiten haben sich geändert, Gaulke nicht. „Mir geht es nicht bloß ums Geld, sondern um das gute Foto. Der Reiz ist es, im Bruchteil einer Sekunde ein aussagekräftiges Motiv einzufangen.“ Ihm geht es nicht um die Sensation, er will die Arbeit der Feuerwehr darstellen – die nützt seine Fotos regelmäßig für Ausbildung und Öffentlichkeitsarbeit. Andere seiner über 200000 Motive erscheinen in Fachzeitschriften und Schulbüchern.
Freundin oder Fotografie?
1978 beliefert er erstmals die AZ: ein Erdbeben in der Schwäbischen Alb. Gaulke fährt im alten VW Käfer hin. Im selben Jahr fotografiert er einen tödlichen Unfall in der Stäblistraße und steht vor seiner ersten Leiche. Inzwischen hat er über tausend Tote gesehen – zerrissene, verbrannte oder erstickte. „Ich mache mir immer Gedanken, vor allem über die Angehörigen. Das schleppe ich aber nicht mit mir herum, meist ist es am übernächsten Tag vergessen. Tote sind für mich nicht interessant – mir geht es um die Arbeit der Feuerwehr.“
Wegen der Leichen hätte Gaulke niemals aufgehört. Wegen einer Frau schon eher. Der schlanke, gebräunte Mann mit den blauen Augen und dem Kinngrübchen sieht gut aus, ein bisschen verwegen, war aber nie verheiratet und ist auch heute solo. Natürlich liegt das an seinem Beruf. „Die Madl sind ja nicht blöd. Ich führe ein unstetes Leben, sie aber wollen einen Freund, der mit ihnen etwas unternimmt. Da kannst du nicht ständig abhauen, nur weil es irgendwo gekracht hat.“
In den 80ern überlegt er es sich anders: Gaulke hat seit drei Jahren eine feste Freundin, „verdammt viel für mich“. Er bewirbt sich als Berufsfeuerwehrmann, schließlich ist er seit 1976 bei der Münchner Freiwilligen Feuerwehr. Als er den Job bekommt, sagt er ab. „Wenn ich in der Leitzentrale sitze, kann ich keine Bilder machen. Und Nachtdienst wäre letztendlich auch nichts für mich. Ich brauch’ meinen Schlaf.“ Die Freundin verlässt ihn, Gaulke kann’s verstehen. „Aber ich würde nie meinen Job für eine Frau aufgeben, das ist mein Leben.“
Im professionellen Leben hat Gaulke mehr Erfolg: 1986 druckt die Londoner „Times“ eines seiner Fotos. Es zeigt das Auto, in dem die RAF den Wissenschaftler Karl Heinz Beckurts in Straßlach ermordet hat. 1996 wird er „Bester Feuerwehrfotograf Deutschlands“ – und heute kann er mit seinen Geschichten Abende füllen, die, nebenbei gesagt, einiges über ihn aussagen. 1994 fällt ein Bus in Trudering in einen Krater, da macht Gaulke gerade Urlaub auf Fehmarn. „Ausgerechnet – aber ich bin die ganze Nacht durchgefahren, um das Foto zu kriegen.“ 1980 rutscht er in Unterbiberg auf nasser Straße mit seinem Mokick aus und rammt sich den Fußraster ins Knie. Gaulke schießt blutend seine Bilder und lässt sich dann erst ins Krankenhaus bringen. In den 90ern rutschte er nach einem Waldbrand am Herzogstand über hundert Meter einen Hang hinab – „da rollte ein brennender Baumstamm an mir vorbei.“ Es sind nur Zentimeter.
Muss das sein? Ja, sagt Gaulke. „Bei Feuerwehreinsätzen hast du Farbstimmungen, Feuer, Rauch und Emotionen in den Gesichtern der Retter! Für jeden Fotografen ist das ein Traum!“ Ein Hazardeur ist er trotzdem nicht: „Ich arbeite wenn möglich immer aus dem Hintergrund. Die Einsatzkräfte nicht zu behindern, ist das Wichtigste.“ Einmal half er mit, stundenlang einen heißen Heustock auszuräumen. „Und das bei meinem Heuschnupfen!“
Wenn’s brennt, ist er eben da – und heute darf Thomas Gaulke sogar mit seinem eigenen Auto zu den Flammen fahren. Der BMW ist feuerrot. War ja klar.
Thomas Gautier