Fünf Jahre OEZ-Attentat: Die Opfer-Familien leiden bis heute

München - Noch sind es ein paar Tage bis zur Gedenkfeier am OEZ, aber schon jetzt oder immer noch erinnern Blumensträuße, Tee- und Grablichter, eine kleine Liebesbekundung am Mahnmal an den Tag, den kein Münchner vergessen wird. Ein älteres Ehepaar bleibt an dem Mahnmal "Für euch" stehen, betrachtet die Fotos der neun Opfer.
Neun Menschen starben beim OEZ-Attentat
Sie sehen Porträts von Armela S. und Sabina S. (beide 14), Sevda D. (45), Can L. (14) und Selçuk K. (15), Janos Roberto R. (15), Hüseyin D. (17), Dijamant (20), Giuliano-Josef K. (19) – fast alles Menschen mit Migrationshintergrund, fast alle Jugendliche. Sie wurden am 22. Juli 2016 von dem 18-jährigen David S. ermordet, bevor sich der Attentäter selber erschoss.

74 Phantomtatorte gab es an dem Tag
Jeder Münchner, der in der Stadt war, erinnert sich an diesen Tag vor fünf Jahren, an die Panik: Schüsse, die keine waren, Zivilbeamte, die mit Terroristen verwechselt werden, Pseudo-Geiselnahmen – die Polizei registriert am Ende 74 Phantomtatorte.
Dass David S. seine Opfer nicht zufällig wählte, macht die Inschrift des Mahnmals (inzwischen) klar. "In Erinnerung an alle Opfer des rassistischen Attentats vom 22.7.2016" steht jetzt auf dem Ring um den Gingko-Baum, dazu die Fotos der Opfer.
Die Inschrift des Mahnmals war erst falsch
Doch die Familien der Opfer und ihre Unterstützer haben drei Jahre kämpfen müssen, bevor die falsche Inschrift des Mahnmals geändert wurde. Statt Amoklauf werden ihre ermordeten Angehörigen nun als Opfer rassistischer Gewalt bezeichnet.
"Persönliches und gesellschaftliches Erinnern zur Vermeidung von Wiederholung", so fasst die Rechtsanwältin Claudia Neher (41) - sie vertritt fünf Opferfamilien - das Anliegen ihrer Mandanten zusammen.

Dass die Tat so lange als unpolitischer Amoklauf eines psychisch kranken Mannes galt, der aus Rache für erlittenes Mobbing handelte, habe die Menschen verletzt, erklärt auch Rechtsanwalt Onur Özata. Er hatte Angehörige als Nebenklageanwalt vertreten, als dem Verkäufer der Tatwaffe in München der Prozess gemacht wurde.
Bis zur Korrektur dauerte es Jahre
Der Mann wurde 2018 zu sieben Jahren Haft wegen fahrlässiger Tötung verurteilt. Bei den Angehörigen entstehe durch die Amoklauf-These das Gefühl, so Özata, als schiebe man ihnen die Schuld dafür zu, weil sich der Täter für erlittenes Mobbing gerächt habe.

Erst im Laufe der Jahre seien immer mehr Mosaiksteinchen hinzugekommen, die den "Amoklauf" in ein anderes Licht gerückt hätten, erklärt das LKA die lange Dauer bis zur Korrektur. Ähnlich äußerte sich das Innenministerium über die jahrelange Fehleinschätzung.
OEZ-Attentat war eine rechtsextremistische Bluttat
Der OEZ-Anschlag wird inzwischen als Teil einer Serie rechtsextremistischer Bluttaten verstanden. So wie der Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke oder der Anschlag auf die Synagoge in Halle.
Die Ursachen des Terrors finden sich unter anderem im Internet. Auch David S. hat sich im Netz radikalisiert. Der Freistaat reagiert mit einem neuen Handlungskonzept gegen Rechtsextremismus. Sonderdezernate wurden an allen Staatsanwaltschaften in Bayern eingerichtet. Allein 2020 führten sie 1.648 Verfahren wegen Hasskriminalität im Internet.

Die Erinnerung schmerzt immer noch
Am Jahrestag kämen die Erinnerungen wieder hoch, sagt Özata. In einem "SZ"-Podcast der Journalistin Nabila Abdel Aziz kommt Hasan L., der Vater von Can zu Wort. Als er erzählt, wie ihm Polizisten die Nachricht vom Tod seines Sohnes überbringen, bricht seine Stimme.
Die Erinnerung tut immer noch weh, wird wohl immer eine offene Wunde bleiben. Der Tag des Gedenkens ist schmerzhaft, aber für die Familien der Opfer ist er auch wichtig.

Die Familien bekamen kaum Redezeit
"Die Angehörigen wollen, dass 2016 nicht in Vergessenheit gerät. Sie erhoffen sich ein würdiges Gedenken", erklärt Neher im AZ-Gespräch. Die Anwältin kritisiert, dass den Familien bei den Gedenkfeiern am Donnerstag kaum Redezeit eingeräumt werden sollte.
Die Familien empfänden das Gebaren der Stadt ihnen gegenüber teilweise als "würdelos" und "traurig", und beschwerten sich: "Wir sind doch auch Menschen." Inzwischen haben sich die Organisatoren und die Familien darauf geeinigt, dass die Angehörigen nach der zweiten Gedenkfeier gegen 19 Uhr länger reden können.
So wie damals Sibil L. am ersten Jahrestag des Attentats, die über ihren Zusammenbruch, ihren großen Verlust redete und diese Worte an ihren Sohn richtete: "Lieber Can, es tut mir so leid, dass ich dich an diesem Tag nicht beschützen konnte."