Frustration und Verwahrlosung bei der Landtagswahl: Warum Bayern so gewählt hat

München - Was wird von diesem Landtags-Wahlkampf 2023 in Erinnerung bleiben? Mit Sicherheit die Affäre um das antisemitische Flugblatt, das einst im Schulranzen von Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger gefunden worden war. Ein Vorgang, für den sich der stellvertretende Ministerpräsident erst unter Druck halbscharig entschuldigte, bevor er sich – fast schon Donald-Trump-like – zum Opfer einer Kampagne stilisierte und dafür nun mit zusätzlichen Wählerstimmen belohnt wurde.
Was auch im Gedächtnis bleibt: die immer aggressiveren Attacken auf Wahlkämpfer. Fast alle Parteien berichten, dass mehr Plakate als früher beschmiert, demoliert oder ganz zerstört wurden. Die Grünen brauchten bisweilen Polizeischutz bei Bierzelt-Auftritten – und ihr Spitzenduo Katharina Schulze und Ludwig Hartmann wurde gar mit einem Stein beworfen.
AfD und Freie Wähler legen in Bayern zu: Die Politik erreicht viele Menschen nicht mehr
Vor dem Hintergrund dieser düsteren Gemengelage verwundert es wenig, dass rund 30 Prozent der Stimmberechtigten in Bayern entweder eine Partei gewählt haben, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird – oder eine, deren Vorsitzender davon spricht, man müsse sich sie Demokratie zurückholen (was impliziert, es gäbe sie aktuell nicht, was wiederum unsäglicher Unfug ist und dem Gedankengut der erstgenannten Partei gleicht).
Doch warum ist das so? Ein Grund ist sicherlich, dass die Politik viele Menschen nicht mehr erreicht. Das mag zu einem Teil daran liegen, dass die Nutzung der Sozialen Medien dazu führt – und die Corona-Pandemie hat diese Tendenz noch verstärkt –, dass etliche nur noch in ihrer digitalen "Bubble" unterwegs sind. Dass sie also vor allem Kontakt zu schnell klickenden Menschen haben, die ihre Meinung bestärken – und immer öfter auch ihre Politikverdrossenheit.
Der Streit der Ampel-Parteien trägt zum Groll der Wähler bei
Diese dürfte aber auch daher rühren, dass die politische Debattenkultur verwahrlost. Wer die Diskussionsrunden vor der Landtagswahl verfolgt hat, dem dürfte aufgefallen sein: Gespräche, Austausch, ein Ringen um Ideen, finden kaum noch statt. Es werden Parteiprogramme heruntergespult – ein wirkliches Gespräch oder ein Eingehen aufeinander scheinen nicht erwünscht zu sein. Das zementiert Gräben.
Natürlich hat auch der Streit der Ampel-Parteien zum allgemeinen Groll beigetragen, vor allem das Durchstechen des unausgegorenen Entwurfs zum Heizungsgesetz. Nicht wenige Bürgerinnen und Bürger sahen (und sehen) ihre Altersversorgung durch staatliche Übergriffigkeit in Gefahr. Wobei das Heizungsgesetz sinnbildlich für das Dilemma der Grünen steht, die von vielen als oberlehrerhafte Eindringlinge ins Private wahrgenommen und deshalb abgelehnt werden.
Markus Söder ließ Hubert Aiwanger am rechten Rand fischen – und verzockte sich
Was aber auch erwähnt sein sollte: Mit seinem ewigen Ampel-Bashing und der Ausgrenzung der Grünen hat auch Markus Söder die Frustration legitimiert – und damit die Parteien rechts von der CSU befeuert. Hinzu kommt: Er hat sich mit einer viel zu frühen Koalitionsaussage an die Freien Wähler gekettet. Und dann kam der große Flugblatt-Knall, der ihm eigentlich keine Option ließ, weil Hubert Aiwanger sich immer zum Märtyrer erklärt hätte und damit auch noch erfolgreich gewesen ist.

Was auch bleibt, ist die Vermutung, dass Söder sich vorher schon verzockt hat. Dass er Aiwanger bewusst am rechten Rand hat fischen lassen, um die AfD in Bayern prestigeträchtig klein zu halten – und ihm dafür womöglich zu viel Bein- (oder Narren-?)Freiheit gewährt hat. Zumindest bis zu Aiwangers Rede in Erding, die auch den Ministerpräsidenten geschockt haben soll.
Die Streit-Koalition aus Freie Wähler und CSU bleibt, die SPD verzwergt weiter
Und nun? Wird es Streit geben in der Bayern-Koalition. Die Freien Wähler fordern ein viertes Ministerium, am liebsten das Ressort für Landwirtschaft. Dass sie es bekommen, hat Söder auf dem CSU-Parteitag jedoch kategorisch ausgeschlossen. Aus christsozialen Kreisen ist zudem zu hören, dass einige schwarze Granden einen Vize-Ministerpräsidenten Aiwanger diesmal unbedingt verhindern wollen – während die Freien Wähler die Reihen hinter ihrem Chef schließen.
Dass Markus Söder deshalb auf das Koalitions-Angebot von SPD-Chef Florian von Brunn eingeht, ist dennoch mehr als fraglich. Die bayerischen Sozialdemokraten konnten vom erhofften Bonus der Kanzlerpartei nicht profitieren und verzwergen weiter. Daran mag der schweigende Kanzler schuld sein, aber auch die Rolle als ewige Oppositionspartei im Freistaat. Was das für Florian von Brunn bedeutet, bleibt abzuwarten.