Friedrich Ani: "Im Stüberl lügt man nicht"

Im Weißwurst-Interview spricht Krimi-Autor Friedrich Ani über das Gefühl Schwabing, seine Liebe zu den Boazn der Stadt – und das Leben als Bayern-Fan in Giesing.
von  Thomas Müller, Felix Müller
Treffen will sich Friedrich Ani im Türkenhof in der Maxvorstadt. Für ihn ist das noch Schwabing, ein Gefühl!
Treffen will sich Friedrich Ani im Türkenhof in der Maxvorstadt. Für ihn ist das noch Schwabing, ein Gefühl! © Sigi Müller

München - Um es gleich vorwegzunehmen: Es hat es so gewollt. Friedrich Ani wollte in den Türkenhof – obwohl der zwar Augustiner aber eben keine Weißwurst auf der Karte hat. Bloß einen Weißwurst-Burger. Er hat ihn bestellt und tapfer gegessen. Wir in einem Anfall aus Solidarität auch.

Vom kalten Weißwurst-Brätling (!) in der Mitte der Laugensemmel abgesehen: gar nicht mal so schlecht. Danach aber drei Blicke, ein Gedanke: Schnaps! Es sollte ein wunderbarer Abend werden.

AZ: Herr Ani, was ist das beste Stüberl von Giesing?
FRIEDRICH ANI: Tonys. Das ist gegenüber der Tankstelle in der Martin-Luther-Straße. Früher war der Tony Wirt im Trepperlwirt. Dann hat er den Zauberwürfel übernommen. War früher ein berüchtigter Treffpunkt für Biker. Von denen kommt manchmal noch einer rein.

Was macht Tonys Stüberl aus?
Alles! Eigentlich heißt es ja "Zum Tony‘s Stüberl". Grammatikalisch wunderbar! Der Chef ist Portugiese und nennt sich Portugiesinger. Ich habe es nicht weit und finde immer wieder nach Hause. Und es gibt Augustiner-Bier.

Früher haben Sie in Schwabing gewohnt. Heute ist Giesing eigentlich spannender, oder?
Ich finde, Schwabing oder die Maxvorstadt sind heute besser denn je. Natürlich ist da auch Nostalgie dabei, aber ich bin gerne hier im Türkenhof am Tresen oder im Schellingsalon. In Schwabing sieht man sehr unterschiedliche Leute auf der Straße, vom Alter her, vom Aussehen, da herrscht eine große Alltagslebendigkeit. In Giesing gibt es deshalb so viele Stüberln, weil man sich vom Draußen ablenken muss.

Empfinden Sie das noch so? Giesing ist doch arg angesagt!
Ich finde Giesing schwierig. An manchen Ecken ist es immer noch ein grauer Stadtteil. Umso schöner finde ich, dass die Sechzger wieder da spielen.

Sie selbst sind aber kein Fußball-Fan, oder?
Doch, ein großer sogar. Ein Bayern-Fan.

Mit Weißwurst-Burger: Friedrich Ani im Türkenhof beim AZ-Interview mit AZ-Vize-Chefredakteur Thomas Müller (M.) und Lokalchef Felix Müller. Foto: Sigi Müller

Was passiert mit Giesing an Löwen-Spieltagen?
Es ist richtig viel los. Ein Ereignis für den Stadtteil. Und Sechzig ist Giesing.

Im Sommer dachten noch viele, es werde Anwohnerproteste geben gegen die Rückkehr. Gab es aber nicht. Überrascht?
Nein. Ich wohne ganz nah am Stadion, drei Minuten weg. Die Leute hatten Sorge, dass es so wild wie früher wird. Aber im Grunde finden das doch alle gut, dass die Löwen zurück sind.

Aber im Stüberl kriegen Sie keinen Platz am Spieltag, oder?
Nein! Das kann man vergessen. Aber ich gehe dann eh nicht hin. Ich habe ja Selbstachtung. Was mache ich, wenn ich gefragt werde, ob ich auch Sechzger bin? Da müsste ich lügen – in meinem Stüberl! Geht nicht. Im Stüberl lügt man nicht.

Für die Stüberl wird es immer schwieriger. Warum?
Sky und das Rauchverbot sind die Hauptprobleme. Viele Kneipen können sich das Abo nicht mehr leisten, die Leute haben es zu Hause oder geben sich unter der Hand die PIN-Nummern weiter. Und dass das Rauchen verboten ist, ist übel! Da klagt der Tony auch.

Worüber sprechen Sie im Stüberl?
Ich gehe in ein Stüberl, weil ich ein Bier trinken und nix reden will. Wenn ich den Wirt kenne, rede ich halt irgendwas mit ihm oder lass mich bereden.

Wenn man Sie so hört: Haben Sie nie überlegt, Wirt zu werden statt Bücher zu schreiben?
Doch! Aber mit den Büchern hat es irgendwie besser geklappt. Ich weiß nicht, ob ich eine Kneipe so gut hingekriegt hätte. Aber vielleicht mache ich noch mal eine auf, vielleicht habe ich ja noch ein bisserl Zeit.

Sie hatten zunächst vorgeschlagen, dass wir uns im Schellingsalon treffen. Was verbinden Sie mit ihm?
Der Schellingsalon war früher neben dem Atzinger meine ultimative Anlaufstelle.

Was heißt früher?
Ab 1978, als ich in München mein erstes Zimmer hatte.

War das auch so ein Ort voll sehr verschiedener Menschen?
Absolut. Da waren natürlich viele Studenten, aber auch ältere Leute aus dem Viertel. Es gab einen Kiosk, man konnte nachts noch Butter und Wurst kaufen. Die haben immer aufgehabt, außer dienstags und vom 1. August bis zum 14. September. Es war gemütlich, es war preiswert – und ist es immer noch.

Die alten Schwabinger: Wie erinnern Sie sich an diese Leute?
Leute? Das waren nicht irgendwelche Leute! Das waren Schwabinger, keine Leute! Ich weiß nicht, ob es ein Haidhauser oder Harlachinger Lebensgefühl gibt. Aber in Schwabing, da gibt es das.

Was hat die Schellingsalon-Gäste besonders gemacht?
Sie haben einen schönen Dialekt gesprochen. Waren freundlich, genügsam. Sie haben eine Lässigkeit gehabt, ihr Viertel geliebt, waren nie im Englischen Garten. Es ist nur wichtig, dass man weiß: Irgendwo da hinten hinter der Ludwigstraße ist der Englische Garten.

Wie mit den Bergen: Schön, sie zu sehen, aber rauf muss man nicht.
Wobei ich die nicht mal sehen muss.

Sie fahren selten raus aus der Stadt?
Was soll ich da machen?

Viele finden an München vor allem die Natur im Umland toll.
Natur ist schön, aber warum soll ich da hin? Ohne Schmarrn: Ich bin auf dem Land aufgewachsen. Mehr Natur brauch ich in diesem Leben nicht mehr. Außerdem fahre ich jedes Jahr mehrmals nach Sylt. Ich liebe die Nordsee, weil das mein Meer ist, meine Natur: die wilde Nordsee, der Blanke Hans.

"Im Stüberl will ich nix reden" – Interview geht aber. Foto: Sigi Müller

Zurück nach München: Sie haben erzählt, dass die Leute früher im Schellingsalon Münchnerisch gesprochen haben. Den Dialekt hört man heute aber eher noch in Giesing, oder?
Ja. Aber anders. Das Giesingerische ist rauer. Es ist ruppiger, auch vom Tonfall. Der Giesinger hat das Genügsame ja eher nicht so. Wo sollte das auch herkommen?

Macht Ihnen die Gentrifizierung Sorgen? Droht nicht, dass sich viele, die mit Ihnen ins Stüberl gehen, Giesing bald nicht mehr leisten können?
Die paar, die noch da sind, werden es schon irgendwie noch hinkriegen. Aber klar: Es ist ein großstädtisches Problem. So ist das in Metropolen. Auch wenn es sich in Berlin immer noch viel preiswerter leben lässt.

Haben Sie je überlegt, nach Berlin zu ziehen?
Klar, jeder hat das überlegt. Aber ich bin Zwangs-Münchner. Ich habe diese Stadt immer geliebt und werde sie bis zu meinem letzten Atemzug lieben.

Ist München doch nur ein Dorf?
Nein, das finde ich überhaupt nicht. Weniger denn je! Ich finde, dass München ziemlich großstädtisch geworden ist. Mit dem Irrsinn der Mieten, den Staus, all den vollen Bahnen, der Veränderung im Stadtbild. Man regt sich über seltsame Architektur auf. Großartig!

Haben Sie Verständnis dafür, dass es im Zentrum immer noch keine Hochhäuser gibt?
Überhaupt nicht. Das ist total albern. Wie das Rauchverbot in den Stüberln.

Die Münchner haben sich in einem Bürgerentscheid selbst gegen Hochhäuser entschieden.
So war es beim Rauchverbot doch auch!

Offenbar denken viele Menschen da anders als Sie.
Naja, die anderen Leute sind halt nicht hingegangen zur Wahl. Oft gehen die hin, die es gar nicht betrifft. Bürgerentscheide können gefährlich sein.

Wenn Sie so von Schwabing schwärmen: Warum ziehen Sie nicht wieder weg aus Giesing?
Vielleicht mache ich das ja noch. Aber ich habe einen Balkon, ich habe Sonne und einen netten Vermieter. Und ich habe es nicht weit zum Tony.

Was regt Sie stadtpolitisch auf?
Nichts. Ob irgendwo was gebaut wird oder nicht – das nehme ich zur Kenntnis. Aber ich habe keinen Nerv, mich da aufzuregen. Außerdem habe ich ein sehr gutes Gefühl mit Dieter Reiter als OB.

Wie ist er im persönlichen Umgang?
Sehr angenehm, so weit ich das beurteilen kann.

Liest er Ihre Bücher, spricht er Sie darauf an?
Nein. Aber ich verfolge seine Politik ja auch nicht täglich. Passt schon so. Er muss mich nicht lesen. Und andersrum muss es reichen, dass ich hier Steuern zahle.

Was macht ihn zum guten OB?
Ich glaube, dass er sich gut auskennt in München, er weiß, wie er mit welchen Leuten reden muss. Und ich fand großartig, wie er sich in der Flüchtlingspolitik verhalten hat. Reiter ist einer, der sich nicht wegduckt.

Können Sie sich Reiter beim Tony vorstellen?
Absolut! Dieter Reiter wäre im Stüberl ein Gast wie jeder andere. Und er würde sich auch nicht an die Sechzger ranschmeißen.

Er ist Bayern-Fan – wie Sie. Wie kam das eigentlich?
Keine Ahnung. Ich weiß ja auch nicht, warum ich in Kochel geboren wurde. Ich mochte halt die Mannschaft.

So wie Sie das raue München mögen. Tut es dem Schlachthofviertel gut, wenn jetzt das Volkstheater herzieht?
Ja. Da kommen die Gäste, schauen sich um, gehen ins Wirtshaus im Schlachthof – und müssen dann Löwenbräu trinken, hehe.

Und kommen nicht wieder?
Doch, doch. Den meisten Leuten ist doch wurscht, was sie trinken. Ich glaube eh, dass sich die Münchner Gastronomen jede Nacht irgendwo in einem unterirdischen Keller treffen, sich abklatschen und einen Ast lachen, dass ihre depperten Gäste alles essen, trinken und zahlen. Und dass sie alles glauben, was man ihnen über die Küche und die Superweine erzählt.

War München vor 40 Jahren spannender als heute?
Ich bedauere natürlich den Niedergang der Off-Theater. Und es gibt sehr wenige bezahlbare Spielstätten für Musik, Literatur oder Theater, wo man sich auch mal ausprobieren kann. Ist schon scheiße. Wie so oft in München geht es nur ums Geld!

Jetzt klingen Sie ja plötzlich doch genervt.
Ja, aber ich sitze nicht stundenlang da und wein’ in mein Augustiner. Irgendwann soll die Erbengeneration im Glockenbach halt schauen, wo sie bleibt. Mit ihren blöden Bars und Bio-Latte und ihrem ganzen Blödsinn. Geht mich nichts an, ist halt so.

Mal überlegt, lieber aufs Land zu ziehen?
Ich habe grade eine tolle Mietwohnung auf Sylt angeboten bekommen.

Und?
Ich werde sie nicht nehmen. Es verbietet sich, da hinzuziehen. Die eigenen Leute, die in der Gastronomie oder im Hotelgewerbe arbeiten, können aus Kostengründen nicht mehr auf der Insel wohnen, sondern müssen vom Festland pendeln. Ich überlege, nach Husum zu ziehen. Ich kriege schöne Angebote von dort.

Sie würden Giesing aufgeben? Tonys Stüberl?!
Wir würden es verkraften, der Portugiesinger und ich.

Was würde Ihnen an München am meisten fehlen, wenn Sie in Husum leben müssten fortan?
Es könnte sein, dass ich sage: Es war eine große Zeit, aber es fehlt mir nichts mehr, ich habe in München alles erlebt.

Aber mag man wirklich in Husum sterben?
Eigentlich nicht. Deshalb habe ich auch noch kein Angebot angenommen.

Und ein Zweitwohnsitz dort ist auch nichts?
Zweitwohnsitz?! Wie das schon klingt. So nach Starnberg

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.