Friedhofsbesuche am Totensonntag

Übermorgen ist Totensonntag oder auch Ewigkeitssonntag. Die evangelischen gedenken an diesem Tag ihrer Verstorbenen. Nach Allerheiligen, Allerseelen, Volkstrauertag bildet der Totensonntag den Abschluss des düsteren Novembers und der Advent kann beginnen. Eine letzte Einkehr auf Münchens Friedhöfe – in die Gegenwart.
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Das Grab des Mundartdichters Franz von Kobel auf dem Alten Südlichen Friedhof.
Petra Schramek Das Grab des Mundartdichters Franz von Kobel auf dem Alten Südlichen Friedhof.

Übermorgen ist Totensonntag oder auch Ewigkeitssonntag. Die evangelischen gedenken an diesem Tag ihrer Verstorbenen. Nach Allerheiligen, Allerseelen, Volkstrauertag bildet der Totensonntag den Abschluss des düsteren Novembers und der Advent kann beginnen. Eine letzte Einkehr auf Münchens Friedhöfe – in die Gegenwart.

Geldgeschäfte mit Fantasie-Renditen

Adele Spitzeder saß im Knast für Dinge, für die Banker heute Geld vom Staat bekommen.

Ihr Name ist nirgends zu finden. Wer auf dem Alten Südfriedhof das Grab der Adele Spitzeder sucht, muss nach einem schwarzen, würfelförmigen Grabstein fahnden – auf dem er nur den Namen Schmid finden wird. Adele Spitzeder, erste Münchner Selfmade-Bankerin mit Fantasie-Renditen, hatte im Alter diesen Namen angenommen. Nachdem sie aus dem Gefängnis entlassen wurde.

Adele Spitzeder saß hinter Gittern für Dinge, für die heutige Banker Milliarden vom Staat bekommen: Sie verlieh Geld, das sie nicht hatte. Allerdings trieb sie es noch ein bisschen dreister als durchschnittliche Investmentbanker heutzutage.

Von vorne: Adele Spitzeder war eigentlich Schauspielerin ohne rechte Engagements. Sie tingelte durch Europa und kam schließlich 1868, inzwischen 36-jährig, aus Zürich wieder nach München. Mit sechs Hunden und in abgetragener Kleidung.

Weil sie gerne über ihre Verhältnisse lebte, musste sie sich ständig Geld leihen. Einmal borgte sie sich von einem Handwerker 100 Gulden und bot ihm zehn Prozent Zinsen – im Monat. Das zeigte Wirkung: Erst kam ein Kollege des ersten „Kunden“ und brachte Geld mit, der Dritte hatte sich selbst Geld geliehen, um es bei ihr „anzulegen“. Die Spitzederschen Zinsen übten auf einfache Münchner des 19. Jahrhunderts den gleichen Sog aus, wie Fantasie-Renditen auf so manchen Profi-Investor der Gegenwart.

Adele Spitzeder schaltete Zeitungsanzeigen, bot keinerlei Sicherheiten und wurde vom Geld überrollt. An manchen Tagen kamen 100 000 Gulden bei ihrer sogenannten Dachauer Bank an, die aber keine Bank war, sondern ein Haus in der Schönfeldstraße. Die Zinsen bestritt sie mit dem Geld, das sie von den Neuanlegern bekam, vom Rest lebte sie luxuriös. Sie kaufte zwölf Häuser, gründete eine Zeitung, beschäftigte 40 Hausangestellte, errichtete aber auch eine Volksküche für arme Münchner. Alles innerhalb von drei Jahren.

Doch den Behörden und auch der Presse waren – hier enden die Parallelen zur Gegenwart – Spitzeders Geldgeschäfte suspekt. Sogar der Bischof wetterte gegen sie. Die Anleger wurden misstrauisch, immer mehr wollten ihr Geld zurück – und alles brach zusammen.

Adele Spitzeder wurde verhaftet, vor Gericht gestellt und zu drei Jahren und zehn Monaten Zuchthaus verurteilt. Der angerichtete Schaden: 15 Millionen Goldmark. Wieder entlassen lebte sie unter dem Mädchennamen ihrer Mutter und starb mit 63 Jahren an Herzversagen. Ihren Grabstein – mit dem falschen Namen darauf – findet man im Abschnitt 18 des Alten Südfriedhofs nahe der westlichen Mauer.

Der Schöpfer eines „bayerischen Mythos“

Der Brandner-Kasper is a Schlosser gwest und hat bei Tegernsee a kloans Häusl ghabt, hübsch hoch obn am Albach, wo mar auf Schliersee nüber-geht.“ So beginnt die Ur-Erzählung über den Brandner Kasper aus dem Jahr 1871. Eine Geschichte, die im Gegensatz zu ihrer Hauptfigur wirklich unsterblich geworden ist: Fast tausend Mal hat der Brandner Kasper auf der Bühne des Residenztheaters den Boandlkramer beim Kartenspielen betrogen, bereits 150 Mal in der Neuinszenierung im Volkstheater – selbstverständlich immer ausverkauft. Der neue Streifen von Joseph Vilsmaier mit Bully Herbig und Franz Xaver Kroetz ist auch schon die zweite Verfilmung. Sogar von Woody Allen gibt es ein Theaterstück, das die bayerische Vorlage nicht verheimlichen kann. Die stammt von Franz von Kobell, eigentlich ein Chemiker und Professor für Mineralogie an der Münchner Uni. Nebenbei fotografierte und dichtete er ein bisschen - und schrieb die nur wenige Seiten lange Kurzgeschichte vom Brandner Kasper, die in den sogenannten Fliegenden Blättern veröffentlicht – und zum bayerischen Kulturgut wurde. Einige seiner Dialoge haben sich fast wörtlich in die Bühnenfassung seines Ururneffen Kurt Wilhelm gerettet. „Kasper, i bin der Boanlkramer und hob Di fragn wolln, ob D’nit ebba mit mir geh willst?“ „So? der Boanlkramer bist, naa Bruader, i mag nit mitgeh, gfallt ma no ganz guat auf der Welt.“ Kobell, der elf Jahre nach dem Brandner Kaspar vom Boandlkramer geholt wurde, liegt heute auf dem alten Südfriedhof, An der westlichen Mauer, gegenüber von Gräberfeld 10.

Gräber für Koalitionäre

Im Friedhof am Perlacher Forst liegen politische Menschen – zum Beispiel die Widerstandskämpfer der Weißen Rose. Aber auch Wilhelm Hoegner, der einzige Ministerpräsident, den die SPD je in Bayern hatte. Hoegner hat von 1954 bis 1957 das geschafft, wovon Franz Maget nur träumen kann: mit Hilfe einer Viererkoalition die CSU in die Opposition zu verbannen. Doch die Koalition zerbrach, der neue schwarze Ministerpräsident Hanns Seidel übernahm zwei der drei Koalitionspartner und die Regierung. Damals hielt man in Bayern das Regieren in einer Koalition noch für normal. Sein Nachfolger Hans Ehard, ebenfalls CSU, war viermal Ministerpräsident, koalierte in wechselnden Zusammensetzungen mit der SPD, der FDP, dem BHE und der WA. Falls sich Horst Seehofer am Grab seiner Vorgänger Ratschläge von oben erbeten möchte, muss er sich von der Staatskanzlei allerdings ein Stückchen bewegen: Hanns Seidel ruht auf dem Westfriedhof in Moosach, Hans Ehard liegt im alten Teil des Waldfriedhofs in Hadern. Dort könnte sich Seehofer auch gleich himmlischen Rat von Alfons Goppel holen – wie man eine absolute Mehrheit zurückholt.

jr

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