Friedhöfe in München: Beseelte Orte
Ach, dieser Monat trägt / den Trauerflor . . . / Der Sturm ritt johlend / durch das Land der Farben. / Die Wälder weinten. Und die / Farben starben. / Nun sind die Tage grau wie nie zuvor. / Und der November trägt den Trauerflor. Erich Kästner (1899-1974), beerdigt auf dem Bogenhausener Friedhof
Der Goldene Oktober ist Geschichte. Nun steigen dafür wieder die Morgennebel auf. Die Tage werden kürzer. Es wird kühler. Die Bäume verlieren langsam ihr buntes Blätterwerk. Es ist November – der Monat der Totenfeste (siehe auch Kasten rechts). Typischerweise werden die Menschen in dieser Zeit des Jenseitigen besonders gewahr. Zu Allerheiligen am Dienstag nehmen die AZ und Mystik-Experte Christopher Weidner (49, „Die Stadtspürer“, www.mystisches-muenchen.de) Sie, liebe Leserinnen und Leser, auf einen Spaziergang zu Münchens wichtigsten und schönsten (und unbekannten) Friedhöfen.
Orte rund um München, die das Herz bewegen
Denn: Kirchliche Friedhöfe sind gestaltete Orte der Erinnerung. Sie legen Zeugnis davon ab, dass wir vergänglich sind, aber dass wir auch Spuren durch unser Leben hinterlassen haben, die einen Ort der Erinnerung brauchen. Genau an diesen Orten der Toten finden wir Lebenden die Kraft und innere Ruhe, um uns den Herausforderungen des Alltags stellen zu können. Also sollten wir diesen Monat der Besinnung nutzen, um Energie zu tanken.
Denn der Gedanke, Friedhöfe als Kraftort zu nutzen, sollte Menschen keineswegs abwegig oder unbehaglich sein. Im Gegenteil. Hier sollen nicht nur trauernde Seelen Trost und Stärkung finden, sondern alle anderen Besucher gleichermaßen auch. Was steht noch am Wiener Zentralfriedhof, einem der größten Friedhöfe Europas? „Park der Ruhe und der Kraft“.
Neuhauser Friedhof: Hier hat Oskar von Miller seine letzte Ruhe gefunden
Der Friedhof in Neuhausen wird auch „Winthirfriedhof“ genannt. Nach der Winthirkirche, um die die Grabstätten angelegt sind. Diese wiederum erhielt ihren Namen vom englischen Wanderprediger „Winthir“, der im 8. Jahrhundert die oberbayerische Region östlich der Würm und westlich der Isar christianisiert hatte. Man sagt, dass in der Zeit, in der er dazu in Neuhausen gelebt hat, der Stadtteil von Unwettern und Viehseuchen verschont blieb.
Über seinem Grab wurde die nach ihm benannte Kirche errichtet und um diese herum dann der Neuhauser Friedhof.
Berühmte Persönlichkeiten: Oskar von Miller, der Gründer des Deutschen Museums († 1934); Sigi Sommer, der AZ-Journalist, Kolumnist und Schriftsteller († 1996).
Alter Südfriedhof: Ein Gottesacker als Ruhegarten mit Parkcharakter
Im Jahre 1788 wurde als „Centralfriedhof“ das „Steinerne Geschichtsbuch“ Münchens eröffnet – und blieb bis 1944 in Betrieb. Dabei bestand an dieser Stelle südlich des Sendlinger Tors bereits ein Gottesacker, nur damals vor den Toren der Stadt. Dieser Friedhof war damals sicher nicht die erste Adresse für Beerdigungen, denn dort fanden zunächst in erster Linie Selbstmörder und Angehörige unehrenhafter Berufe ihre letzte Ruhe oder ungetaufte Kinder, aber auch Fremde. In Pestzeiten wurde er auch als Seuchenfriedhof genutzt.
Im 17. Jahrhundert wurde schließlich die Stephanskirche gebaut. Die Wende kam, als Kurfürst Karl Theodor 1789 Bestattungen in der Stadt verbat und den „Centralfriedhof“ einrichten ließ. Mittlerweile hatten sich die Vorstellungen von Tod und Sterben unter dem Eindruck der Aufklärung stark verändert – Friedhöfe galten nicht mehr länger als Orte des Schreckens, die es zu vermeiden galt. Der Tod wurde zu „Schlafes Bruder“ und die Gottesäcker zu Ruhegärten mit parkartigem Charakter. Der Friedhof sollte ein schöner Platz sein, an dem wir uns unserer Ahnen erinnern können.
Die individuelle Grabgestaltung nahm daher an Bedeutung zu: Man sollte nicht nur sehen, wer hier seine letzte Ruhe gefunden hat, sondern auch durch kunstvolle Ornamente, Sinnsprüche und Skulpturen dem Verstorbenen nahe sein und seiner gedenken. 1815 nahm der Friedhof seine heute noch erhaltene Gestalt an.
Man wählte im Sinne der architecture parlante – der „sprechenden Architektur“ – einen Sarkophag als Grundriss. Trotz des enormen Schadens, den er im Zweiten Weltkrieg genommen hat, gilt der Alte Südfriedhof heute als einer der bedeutendsten Friedhöfe Europas, was Ausstattung und Anlage angeht, aber auch „Prominentendichte“.
Münchner Stadtgrößen wie der Publizist Joseph Görres († 1848), der Physiker Joseph Fraunhofer († 1826) und der Erbauer des Neuen Rathauses Georg von Hauberrisser († 1922) fanden hier ebenso ihren Frieden wie der Maler Carl Spitzweg († 1885) und der Mundartdichter Franz von Kobel († 1882).
Durch München fließt eine Drachenlinie
Gottesacker an der Salvatorkirche: Als Friedhofskirche geweiht – heute Gotteshaus der Griechisch-Orthodoxen
Gegenüber dem Literaturhaus, in der Nähe der letzten oberirdischen Überreste der ehemaligen Stadtmauer, befindet sich eine besondere Kirche Münchens: die Salvatorkirche. Heute ist sie die Kirche der griechisch-orthodoxen Gemeinde in München. Sie war 1494 jedoch zunächst als Friedhofskirche im Kreuzviertel eingeweiht worden als Erweiterung des überfüllten Gottesackers der Frauenkirche.
Der Baumeister ist nicht urkundlich überliefert, wahrscheinlich handelt es sich um Lukas Rottaler, Schüler Jörg von Halsbachs und dessen Nachfolger an der Baustelle der Frauenkirche. Nach der Stadterweiterung unter Ludwig des Bayern wuchs die Einwohnerzahl der Stadt rapide. Die ersten Friedhöfe der Stadt, um den Alten Peter und die Frauenkirche herum, boten bald nicht mehr genug Platz für die wachsende Anzahl Toter.
So wurde ein weiterer Friedhof nahe, doch noch innerhalb der Stadtmauern, errichtet. Zu diesem Friedhof wurde die Salvatorkirche, die „Erlöser“-Kirche erbaut, um in ihr Beerdigungszeremonien abhalten zu können. Die ehemalige Friedhofskirche offenbart ihre ursprüngliche Bestimmung an den ausladenden Seitenportalen, durch das die Toten in die Kirche und wieder hinaus auf den Friedhof gebracht wurden. Das eigentliche Eingangsportal fällt dagegen ungewöhnlich klein aus.
Der alte nördliche Friedhof: Ein Kraftort der Begegnung mit ganz besonders sanfter Ausstrahlung
Den Alten Südlichen Friedhof kennt wohl jeder Münchner; und auch der interessierte Tourist wird schon einmal zwischen den romantisch gelegenen Grabsteinen bayrischer Prominenz aus dem 19. Jahrhundert gewandelt sein. Doch weniger bekannt, vielleicht weil kleiner und nicht so hochdekoriert, ist die Idylle des Alten Nördlichen Friedhofs.
Dabei ist dieser Gottesacker, eröffnet 1899, ein Faszinosum, und das zu allen Jahreszeiten. Geliebt wird er von Jung und Alt: Ein Spielplatz gehört ebenso zu ihm wie ein sommerliches Picknick zwischen verwitterten Denkmälern oder der morgendliche Lauf durch das überschaubare Carrée in der Maxvorstadt, ganz in der Nähe des Josephsplatzes.
Dort wurden schon Menschen tanzen, meditieren, schlafen und tief in Gespräche versunken gesehen. Der Alte Nordfriedhof ist also so etwas wie ein Kraftort der Begegnung geworden, er strahlt etwas Berührendes aus, etwas Sanftes, gar nicht Morbides.
Inmitten der trudelnden Stadt findet man hier zu sich und zu anderen. In jedem Fall ist der Alte Nördliche Friedhof einen Besuch wert. Etwas Zeit sollte man schon mitbringen: Nicht nur, um die zahlreichen Grabmäler und Epitaphien zu betrachten, sondern auch, um die Landschaft zu genießen, sich berühren zu lassen, sich hinzugeben. Berühmtheiten auf dem Friedhof sind Lucile Grahn-Young († 1907), die gefeierte dänische Tänzerin und Ballettmeisterin; Hermann Lingg, der Schriftsteller und Gründer des Münchner Dichterkreises „Die Krokodile“ († 1905); Sebastian Wilhelm Valentin Bauer († 1875), der Erfinder und Ingenieur des ersten modernen Unterseebootes – sein Grabstein zeigt das Abbild des von ihm erfundenen „Brandtauchers“, der 1850 vom Stapel lief.
Bogenhausener Friedhof: Wo Münchens Prominente liegen
Oben auf dem Montgelashügel befindet er sich: Münchens flächenmäßig kleinster Friedhof. Die Anlage um die St. Georg Kirche wurde schon seit dem 9. Jahrhundert als Grabanlage genutzt. Angehörige von alteingesessenen Bogenhausener Familien finden hier ihre letzte Ruhe. Auf den Grabsteinen sind die Namen vieler prominenter Münchner Künstler zu lesen. Gleich links neben dem Eingang leuchtet das rote Eisenherz der Grabkreuzes für „Liesl Karlstadt“ entgegen.
Das Herz ist aufklappbar. Innen ist es weiß lackiert und verbirgt den echten Namen der Kabarettistin, Elisabeth Wellano. In den 20er Jahren war sie mit Karl Valentin als unvergleichliches Komiker-Duo aufgetreten.
Hinter der Kirche ist auf einem Stein der Namen Oskar Maria Graf zu entziffern. Auf der anderen Seite ruht Erich Kästner. Dieser versteckte Friedhof ist ein Spiegelbild deutscher Kulturgeschichte.