Freistaat lässt Häuser in München leerstehen: "Das ist Spekulantenverhalten"

Tausende Quadratmeter im Besitz des Freistaats stehen im Nordwesten der Stadt seit Jahren leer. Warum tut Bayern hier nichts, fragen sich Politiker sowie Bürger.
von  Hüseyin Ince
Hier wohnt niemand mehr und die Natur wuchert: die Hormayrstraße 12.
Hier wohnt niemand mehr und die Natur wuchert: die Hormayrstraße 12. © Daniel von Loeper

München – Eigentlich ist es faszinierend, wie schnell die Natur alles Menschengemachte einfach wieder vereinnahmt. Rund um Moosach, Untermenzing und Obermenzing ist das gut sichtbar. Innerhalb weniger Jahre sind im Stadtteil Hartmannshofen Dutzende verlassene Häuser umwuchert worden, von Bäumen, Sträuchern und Büschen. Tiere wohnen ziemlich sicher auch schon darin.

Wie ein Natur-Experiment sieht das aus, rund um die Haldenbergerstraße, Hormayrstraße, Lechelstraße oder die Waldhornstraße. Es würde einen nicht wundern, wenn mitten in einem der früheren Wohnzimmer einer Familie ein Baum hervorgewachsen ist und ein Vogel irgendwo nistet.

Tausende Quadratmeter potenzieller Wohnraum stehen leer

Doch die Faszination weicht schnell. Nämlich dem Frust. Denn hier, abseits des Zentrums, nördlich des Schlossareals von Nymphenburg, stehen schließlich Tausende Quadratmeter potenzieller, sehr knapper Münchner Wohnraum leer – in einer Stadt, in der die Mietpreise nur eine Richtung kennen.

Grundstücke, auf denen die Häuser vor sich hinrotten, haben zwischen 798 (Haldenbergstraße 46) und 3321 Quadratmeter Fläche (Waldhornstraße 3). Das sind jeweils etwa ein bis vier Fußballfelder. Es geht um zirka drei Dutzend Immobilien samt Grundstück, die verlassen und ungenutzt sind. Und all das ist im Eigentum des Freistaats.

Die meisten Anwesen waren in Erbpacht vergeben worden und fielen nach Jahrzehnten zurück an Bayern. Die Erbpächter sind längst ausgezogen, teils vor mehr als zehn Jahren.

"Erwerbsanfragen für bebaubare Grundstücke gehen wiederholt ein"

Einige Immobilien werden derzeit vom Strom- und Gasanschluss getrennt, weil sie bis auf weiteres nicht bewohnt werden können. Schnell stellt sich die Frage: Warum steht hier die Zeit still? Warum entsteht hier nicht neuer Wohnraum? "Etwas verfallen lassen und dann eventuell verkaufen: Das ist Spekulantenverhalten", sagt Florian von Brunn, Landtagsabgeordneter der SPD - und meint damit natürlich den Eigentümer: den Freistaat.

SPD-Fraktionschef Florian von Brunn, 2021 bei einer Rede im Landtag.
SPD-Fraktionschef Florian von Brunn, 2021 bei einer Rede im Landtag. © Matthias Balk/dpa

Fast alles hat seinen Preis. Wird Bayern irgendwann schwach und verkauft an den Höchstbietenden, wie es von Brunn andeutet? "Erwerbsanfragen von Dritten für bebaubare Grundstücke oder Immobilien des Freistaats im Stadtgebiet München gehen wiederholt ein", bestätigt das Bayerische Ministerium für Wohnen, Bau und Verkehr.

Von Brunns Anfrage brachte das Ausmaß des bayerischen Leerstands ans Licht. Schon im Jahr 2021. 46 Zeilen umfasst die Antwort des Bauministeriums. "Ich hatte mich gar nicht auf München fokussiert und wollte grundsätzlich wissen, ob der Freistaat sein Eigentum landesweit - vor allem die Immobilien in größeren Städten - sinnvoll nutzt", sagt er.

Und das Ergebnis sei recht ernüchternd gewesen: "In keiner anderen Stadt stehen so viele bayerische Immobilien leer wie in München", sagt von Brunn. In Nürnberg oder Ingolstadt sei diese Quote unerheblich geringer.

Um zu prüfen, ob sich zwischen 2021 und 2022 etwas geändert hat, stellte von Brunn die Anfrage 2022 gleich noch einmal. Und wieder Frust. Auf 42 Zeilen ist die Zusammenfassung geschrumpft. 32 Immobilien stehen weiterhin leer, einige werden zwischengenutzt.

Es werde geprüft, ob weitere Immobilien etwa zur Nutzung von Flüchtlingen freigegeben werden können: "Die Liste hat sich kaum verändert, der Freistaat hat in einem Jahr nix auf die Reihe gebracht", fasst es von Brunn zusammen.

Einzelne Objekte sind von dem Papier verschwunden. Es ist für jeden abrufbar auf der Webseite von Florian von Brunn.

Zwei Häuser des Freistaats, die noch 2021 als leerstehend aufgelistet wurden und zentral in München liegen, an der Karlstraße 20 und 22, sind von der aktuellen Liste verschwunden. Sie sind seit mehr als 15 Jahren unbewohnt. Bei den Protesten von Klimaschützern gegen die Internationale Automobilausstellung IAA Mobility 2021 wurden sie recht berühmt, weil die Demonstranten die beiden Häuser kurzerhand besetzten.

Protestteilnehmer der IAA Mobility 2021 besetzen eines der leerstehenden Häuser an der Karlstraße 20 und 22. Es sind nur zwei von drei Dutzend leeren Bayern-Immobilien in München.
Protestteilnehmer der IAA Mobility 2021 besetzen eines der leerstehenden Häuser an der Karlstraße 20 und 22. Es sind nur zwei von drei Dutzend leeren Bayern-Immobilien in München. © Peter Kneffel/dpa

 

Der Punkt ist: Die ehemaligen Staatsbediensteten-Wohnungen an der Karlstraße stehen weiterhin leer. Und das wird sich auch so schnell nicht ändern. Warum sie dann nicht mehr auf der Liste sind? In einer Antwort vom zuständigen Bauministerium steht, dass sich nun die sogenannte Stadibau GmbH um die Häuser kümmere, um daraus wieder 28 Wohnungen für Staatsbedienstete zu schaffen.

Florian von Brunn (SPD): "Die CSU interessiert sich nicht für bezahlbares Wohnen"

Eine Ausschreibung werde laut Bauministerium vorbereitet. Doch: Schon 2012 hatte das Bauministerium angekündigt, hier zu sanieren und Wohnraum zu schaffen. Doch die Pläne wurden wieder fallengelassen. Da stellt sich die Frage, ob es vielleicht noch weitere bayerische Immobilien in München geben könnte, die leer stehen und nicht aufgelistet wurden, weil sich ja "auf dem Papier" was tut.

Dem Sozialreferat sind trotz Zweckentfremdungssatzung an der Karlstraße die Hände gebunden, weil es sich um Bürogebäude und Staatsbedienstetenwohnungen handele. Eine Art gewerbliche Nutzung also. Schon 2010 sei das in einem sogenannten Negativbescheid so festgestellt worden.

"Ich glaube, die CSU interessiert sich einfach nicht für das Thema bezahlbares Wohnen", sagt von Brunn. Er bezieht sich vor allem auf die Immobilien in Hartmannshofen. "Jeder normale Mensch würde doch mal bei der Stadt anrufen und die Zusammenarbeit suchen." Das sei bislang kaum geschehen. "Das muss doch die Staatsregierung mal erklären", poltert von Brunn, "auch eine erneute Erbpacht wäre dort ja möglich gewesen."

Das Ministerium antwortet hierauf, Bauminister Christian Bernreiter habe sehr wohl Interesse am Thema bezahlbares Wohnen. Es sei eine der dringendsten Aufgaben. Das Ministerium "bespricht mit der Landeshauptstadt München regelmäßig Entwicklungsmöglichkeiten mit dem Ziel einer Lösung für alle Parteien".

Es solle unbedingt der Gartenstadtcharakter von Hartmannshofen erhalten bleiben, weil das die Stadt München so wünsche. In einem Viertel, wo Häuser inzwischen von der Natur zurückerobert worden sind, weil sie schon so lange leerstehen, klingt das jedoch ungewollt ironisch.

 

Die Stadt möchte offenbar nicht zusehen, wie die modernden Wände von Hartmannshofen irgendwann in sich zusammenfallen. Stadträte der Rathauskoalition hatten einen Antrag gestellt, mit dem Titel: "Wohnungsleerstand in Hartmannshofen beenden!"

Das Sozialreferat hat erst kürzlich darauf geantwortet. Für alle leerstehenden Anwesen in Hartmannshofen sei ein zweckentfremdungsrechtliches Verfahren eingeleitet worden, und zwar schon 2021, nach der ersten Anfrage von Florian von Brunn, um wieder eine Wohnnutzung der Freistaatsimmobilien zu ermöglichen. Von möglichen Zwangsgeldern ist die Rede.

Ebenfalls verwildert: die Haldenbergstraße 43.
Ebenfalls verwildert: die Haldenbergstraße 43. © Daniel von Loeper

Sozialreferat: "22.841 Münchner Haushalte suchen derzeit eine Wohnung"

Auch auf die Vorbildfunktion des Freistaats habe das Sozialreferat mehrfach hingewiesen. Das Bauministerium habe geantwortet, dass man eine Gesamtstrategie zum Abbau des Leerstands in Hartmannshofen erarbeiten wolle. Doch bis wann?

In München sind laut Sozialreferat 22.841 Haushalte als wohnungssuchend gemeldet. Tendenz steigend. Pro Jahr können aber nur rund 3.400 Wohnungen vergeben werden.

Wenn die baulichen Voraussetzungen noch gegeben seien, wolle man die Häuser von Hartmannshofen für Senioren, sozial benachteiligte Familien oder auch Azubis öffnen.

Doch: "Diese Projektplanung geht vonseiten des Freistaats Bayern leider nur sehr schleppend voran", so das Sozialreferat.

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