Frau vor S-Bahn geschubst: Mann verweist vor Gericht auf Erinnerungslücken

München - Es waren dramatische Momente auf dem Bahnsteig der S-Bahn am Hauptbahnhof: Eine Frau (64) wurde in den Abendstunden des 9. Juni 2022 unvermittelt von einem Mann gestoßen und stürzte just in dem Moment ins Gleis, als eine S-Bahn einfuhr.
Zeugen des Sturzes gestikulierten, um den Fahrer – er erlitt einen Schock – auf die Frau aufmerksam zu machen. Tatsächlich kam die S-Bahn 15 Meter vor der Frau zum Stehen. Die hatte sich bereits in den Sicherheitsbereich neben den Gleisen unterhalb des Bahnsteigs geflüchtet.
Angeklagter spricht vor Gericht von Erinnerungslücken
Beschuldigt wird ein 27-Jähriger, der laut Antragsschrift an paranoider Schizophrenie leidet und daher nicht schuldfähig gewesen sei. Er war bereits kurz nach der Tat festgenommen, und weil er sich auffällig verhielt, zur einstweiligen Unterbringung in die Psychiatrie gebracht worden. Seinen Aufenthalt dort will Staatsanwältin Johanna Heidrich verlängern und ihn dauerhaft unterbringen. Sie hält den Mann für eine Gefahr.
Vor Gericht macht der 27-Jährige beim Prozessauftakt am Montag Erinnerungslücken geltend. Seine Verteidigerin Birgit Schwerdt erklärt, dass sie mehrmals versucht habe, mit ihrem Mandanten den Tatablauf zu rekonstruieren. Das habe nicht funktioniert, er könne sich nicht erinnern. Trotzdem wolle er sich bei seinem Opfer entschuldigen.
Die Ermittler schildern die Tat so: Zunächst war dem Beschuldigten an jenem Abend ein Rauhaardackel auf dem Bahnsteig im Weg. Mit einem Tritt gegen den Hals des Tieres verletzte er die Hündin. Laut Antragsschrift erlitt das Tier Schmerzen und ein Kehlkopftrauma. Doch der Beschuldigte sei ohne jede emotionale Regung weitergegangen.
Opfer lehnt Entschuldigung des Angeklagten ab
Am Ende des Bahnsteigs traf er auf die 64-Jährige, die dort mit ihrem Lebensgefährten stand. "Ich habe zwei Hände auf meinen Schultern gespürt", erinnert sie sich am Montag im Zeugenstand. Im nächsten Moment habe sie im Gleis gelegen. Die S-Bahn konnte rechtzeitig stoppen, dann hätten sich ihr viele Hände entgegengestreckt, um sie wieder auf den Bahnsteig zu hieven, erinnert sich die 64-jährige Münchnerin.
Doch der Sturz hatte Folgen für sie. Seit damals leide sie unter Schmerzen. Außerdem habe sie psychische Probleme infolge des Angriffs. "Dieses mulmige Gefühl, dass wieder was ist", begleite sie zum Beispiel an belebten Kreuzungen. Eine Entschuldigung des Mannes lehnt sie ab. Sie wolle nicht mit ihm sprechen.
Der 27-Jährige erklärt am Montag, er nehme wegen seiner Krankheit Medikamente, die ihn vergesslich machten. Krankheitsbedingt sei er zuvor mehrmals in Behandlung gewesen. Seine Betreuerin gibt gegenüber dem Gericht an, er nehme seine Medikamente nur im Krankenhaus, ansonsten lehne er die Einnahme ab. Er halte sich nicht für krank. Gegenüber einer psychiatrischen Gutachterin hatte er unter anderem erklärt, er nehme "zwei Seelen" wahr, die ihn beobachteten und mit ihm sprächen. Der Prozess wird fortgesetzt.