Franz Josef Strauß: Erinnerungen an einen Rätselhaften

Kein Journalisten in Deutschland hat Franz Josef Strauß so lange begleitet wie AZ-Autor Karl Stankiewitz. Das war nicht immer leicht. Aber FJS und seine Kamarilla boten stets viel Stoff zum Anstoß nehmen.
Karl Stankiewitz, Jahrgang 1928, war zunächst Redakteure der Abendzeitung und der "Süddeutschen Zeitung". Später schrieb er für den "Spiegel" und den "Stern", den "BR" sowie als München- Korrespondent für bis zu 15 außerbayerische Zeitungen. 1977 erhielt er einen Preis des Internationalen Presseclubs "für hervorragende journalistische Arbeiten über die bayerische Landeshauptstadt". Seine Bücher sind im Volk-Verlag erschienen.
Beim Durchblättern der vielen Berichte, die ich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts als Münchner Korrespondent auswärtiger Zeitungen und Mitarbeiter der Abendzeitung geschrieben und als getippte Durchschläge, als stenografische Notizen für telefonische Durchgaben und später als Fernschreiben gesammelt habe, stoße ich immer wieder auf drei Namen: Ludwig II., Vera Brühne und Franz Josef Strauß.
Märchenkönig, Möderin und Machtmensch
Ein Märchenkönig, der allen und sich "ein ewig Rätsel bleiben" wollte, eine Mörderin, über deren Schuld oder Unschuld noch lange nach dem Urteil gerätselt wurde, und ein Machtmensch. Diese Drei waren in ihrer Zeit gleichsam die Bestseller auf dem Medien-Markt München. Sie waren gefragt bei den bundesdeutschen Lesern, sie kamen an in den Redaktionen.
Mit Strauß musste ich mich am häufigsten befassen. Das war oft nicht leicht. Fast täglich hatte ich diesen ungewöhnlichen Mann zu beschreiben und zu interpretieren. Auch er hat mit seinen Sprüchen und Strategien alle Welt irritiert, hat vor allem den "Preußen", die man nördlich des "Weißwurst-Äquators" verortete, immer wieder Rätsel aufgegeben und bisweilen Schrecken eingejagt.
Kein Freund der Presse
Für Strauß wiederum war das, was ein Großteil der Presse und des (nichtbayerischen) Rundfunks produzierten, nicht die öffentliche Meinung, sondern nur – wie er oft abwertend bemerkte – "veröffentlichte Meinung".
Ein Freund der Zeitungsschreiber war Strauß eher nicht. Dieses ambivalente Verhältnis galt wohl auch umgekehrt. Seine Pressekonferenzen, seine Reisen und seine manchmal etwas rüpelhaften Auftritte (etwa nach Wahlabenden) forderten die Berichterstatter heraus.
Besonders nervten mich die gigantischen Parteitage der CSU mit stundenlangen, detailversessenen Reden des Großen Vorsitzenden. Deshalb habe ich später – auch mal unter Vorwänden – versucht, solche Strauß-Spektakel mehr und mehr zu meiden. Sie bedrückten mich, sie langweilten mich (verglichen etwa mit den stets spannenden Parteitagen der bayerischen SPD und besonders ihres Münchner Ablegers).
Intime CSU-Analysen
Das war nicht unbedingt im Sinne meiner Brötchengeber in den nord- und westdeutschen und schwäbischen Redaktionen. Die konnten gar nicht genug kriegen von Strauß.
Wenn ich sie – mindestens einmal im Jahr – besuchte, dann wurde ich ausgefragt nach Hintergründen, musste aus "Intim-Kenntnis" ad hoc die Lage der CSU analysieren, bekam immer wieder neue, manchmal absonderliche Aufträge.
Ganz wild, je weiter weg desto wilder, wurden die politischen Redakteure zum Beispiel nach jenem Donnerstag im September 1974, als im Wildbad Kreuth beinahe die Trennung der beiden Unionsparteien verkündet wurde.
Selbst bei Beachtung der gebotenen Objektivität war es für den Reporter manchmal schwer, über solche Veranstaltungen einen schlichten Bericht und keine Satire zu schreiben. Strauß und seine Kamarilla boten einfach zu viel Stoff zum Erregen und zum Anstoß nehmen.
Nur mühsam konnte ich in auswärtigen Redaktionskonferenzen meine eher nüchterne Meinung über Strauß und seine Partei nahebringen. Dies gelang eigentlich erst Anfang der 1990-er Jahre, nach der Wende, als bis hinauf nach Berlin und Bremen die Erkenntnis reifte, dass die CSU eine Partei wie jede andere ist oder künftig sein wird.
"Die Partei, die das schöne Bayern erfunden hat"
Mit Recht und eigener Erfahrung hat der "SZ"-Kollege Herbert Riehl-Heyse 1979 in seinem immer noch aufschlussreichen Buch über "die Partei, die das schöne Bayern erfunden hat" einleitend hingewiesen auf die "merkwürdigen Emotionen, die schon das Wort CSU, der Name Strauß im Norden unserer Republik auszulösen pflegen, wobei eine geradezu vorsätzliche Begeisterung rationalen Erwägungen ebenso wenig standhält wie eine manchmal schon recht komische Dämonisierung".
In mehreren Folgen will ich versuchen, den zweifellos bedeutenden Politiker Franz Josef Strauß in bestimmten Zusammenhängen – darunter auch "Strauß und die Medien" – auf Grundlage meiner veröffentlichten Berichte und Erinnerungen, ergänzt durch Auszüge aus dem Familien-Nachlass, den mir die Tochter Monika Hohlmeier gewährte, und andere Quellen zu skizzieren.
Die AZ-Serie soll ein Beitrag sein zum Gedenken an den Mann, der am 6. September 1915 in München geboren wurde und am 3. Oktober 1988 an einem Kollaps nach einer Jagd bei Regensburg verstorben ist. Ein kritischer Beitrag zu den vielen aktuellen neuen Büchern, Ausstellungen, Reden und sonstigen Würdigungen zu dessen 100. Geburtstag, die der "Stern" als "Strauß-Festspiele" bezeichnet hat.
"Hochzeit, Häme und Affären", den ersten Teil der neuen AZ-Serie, lesen Sie am Montag hier auf az-muenchen.de.