Fluchtchaos: Aus Kiew ins Münchner Hotel

München - Abgekämpft sehen sie aus, als sie nach tagelanger Fluchtodyssee am Donnerstagmittag in München aus dem Reisebus steigen, 16 Frauen, fünf Kinder und ein älterer Mann aus Kiew, Lugansk und Charkiw. Zwei von ihnen drücken zwei Katzen fest an ihre Brust, die verängstigt sind wie die Menschen.
Einigen Frauen laufen Tränen übers Gesicht, vielleicht vor Erschöpfung, vielleicht, weil die Gedanken zu Hause sind, bei den Söhnen, Männern, Vätern an der Kriegsfront.
Über Budapest und Wien direkt nach Bayern
Aber erstmal sind sie in Sicherheit. Der Reisebus der Firma Weger, den der Münchner Privatmann Marcel Meier Dienstagmittag auf eigene Faust zur ungarisch-ukrainischen Grenze geschickt hat, hat sie 1.000 Kilometer über Budapest und Wien nach Daglfing direkt vors Azimut-Hotel gefahren. Dort können sie jetzt erst mal kostenlos bleiben. Vier Wochen lang.
Welche Strapaze die Reise war, darüber können der Busfahrer Damir Simunovic und sein Beifahrer Kristian viel erzählen. Schon auf dem Hinweg, bei der Einreise nach Ungarn - mit dem Bus voller Medikamente fürs Kriegsgebiet an Bord - werden sie mehrmals durchsucht, kein einziges Hotel im Land lässt sie übernachten. "Mein Gefühl ist, Ungarn will nicht, dass der Ukraine geholfen wird", sagt Simunovic.
Also machen sie, was in diesen Tagen wohl kein Reisebus aus Deutschland gewagt hat: über die Grenze in die Ukraine hineinzufahren, bis ins Dorf Tschop - dorthin lotst sie eine Kontaktfrau der ukrainischen Kirche in München.

Viele Geschichten sind herzzerreißend
55 Frauen und Kinder steigen am Mittwochmittag in den Bus, darunter vier Säuglinge, auch Hunde und Katzen. "Ein Vater hat sein drei Monate altes Kind geküsst und verabschiedet", sagt Simunovic, "das ist so herzzerreißend, das hält man fast nicht aus."
Dann reihen sie sich an der Grenzschlange ein, Dutzende überfüllte ukrainische Busse vor ihnen. Über viele Stunden geht nichts voran.
Als abzusehen ist, dass man so nicht weiterkommt, ändern sie den Plan, fahren zurück nach Tschop, setzen die Frauen und Kinder in einen Zug, damit sie auf der Schiene schneller die Grenze überqueren und auf der anderen Seite, am Bahnhof Zahony in Ungarn, wieder in den leeren Bus steigen.
An der Grenze zu Ungarn war für Einige Schluss
Inzwischen ist Nacht. Und plötzlich Bombenalarm. An der Grenze gehen alle Lichter aus, Menschen laufen in Panik auseinander. Bis der Bus endlich Zahony erreicht, ist es weit nach Mitternacht - und die Hälfte der Passagiere ist verloren gegangen. Nur 22 haben es geschafft. Die anderen, darunter die vier Säuglinge, hat Ungarn nicht einreisen lassen - weil sie keine biometrischen Pässe haben, heißt es.
Das Azimut-Hotel wird die Neuankömmlinge erstmal mit Tee, Essen und warmen Betten versorgen, "wir machen das, weil wir mithelfen wollen", heißt es vom Management, das die Zimmer über die Helferplattform des Vereins "Münchner Freiwillige" angeboten hat.
Aus dem Nichts entsteht ein Hilfenetz
Die Betreuung hat vorerst die Münchner Ukrainerin Alla Frisin-Yakub übernommen, sie nimmt Urlaub vom Job, um für die katholisch-ukrainische Kirche in Giesing Hilfe zu koordinieren.
Man kann nur staunen, wie die Helfer-Rädchen in der Stadt gerade ineinander greifen. Als hätten die Münchner nie etwas anderes gemacht, als aus dem Nichts heraus ein funktionierendes Hilfenetz zu bauen.