Flucht vor häuslicher Gewalt: Ein AZ-Besuch im größten Frauenhaus Münchens
München - In Münchens größtes Frauenhaus kommen die Frauen oft nur mit zwei Plastiktüten. Nicht, weil sie nicht mehr besitzen. Sondern weil sie nicht genug Zeit haben, um zu packen. Hierher kommen Menschen in großer und drängender Not.
Und es sind viele. In Deutschland erlebt jede vierte Frau Gewalt durch ihren aktuellen oder früheren Partner. 2023 wurden beim Polizeipräsidium in München 4181 Fälle von häuslicher Gewalt erfasst und 1955 Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung. Die AZ hat sich in Münchens größtem Frauenhaus zeigen lassen, wie Hilfe hier funktioniert – und erklären lassen, was Nachbarn tun sollten, die etwas beobachten.
Frauenhaus in München: Schutz vor häuslicher Gewalt
Das Haus der Frauenhilfe in München bietet 45 Frauen und bis zu 60 Kindern vorübergehend sicheren Wohnraum und spezialisierte Beratung im Fall von häuslicher Gewalt. "Während ihrer Zeit in diesem Schutzraum können die Frauen schauen, wie sie neue Lebensperspektiven erarbeiten", sagt Claudia Heyne, Abteilungsleiterin Öffentlichkeitsarbeit im Frauenhaus.
Der Aufenthalt im Frauenhaus sei meist auf sechs Monate ausgelegt, jedoch sei aufgrund der Wohnungssituation in München auch ein längerer Aufenthalt möglich – so lange, wie Schutzbedarf besteht. Eine der Bewohnerinnen sei drei Jahre lang geblieben, so Heyne. Zum Schutz der Bewohnerinnen ist die Adresse geheim.
"Wir haben das Rund-um-die-Uhr-Telefon, da können Frauen jederzeit anrufen", so Heyne, die auch diesen Bereich leitet. Manche rufen an, um sich erstmal über die Möglichkeiten zu erkundigen. Wenn Schutzbedarf bestehen könnte, gibt es einen Aufnahmebogen. Je nachdem, ob Platz ist, können sich Frauen auch auf eine Warteliste setzen lassen. Dann müssen sie sich regelmäßig melden, damit das Frauenhaus weiß, dass das Interesse noch besteht.
Zwei Plastiktüten als Gepäck
In München betreibt die Frauenhilfe noch zwei kleinere Frauenhäuser und eines im Landkreis. Der Bedarf werde dadurch nicht annähernd gedeckt. "Wenn wir Glück haben, müssen sie nur zwei Wochen warten." Bei voller Auslastung versuche man, an andere Schutzhäuser weiterzuvermitteln oder Alternativen zu finden, wie die Unterbringung bei Freunden. Wenn akuter Schutzbedarf besteht, müssen die Frauen auch eine Nacht im Frauenhaus Karla oder in der Bahnhofsmission verbringen.
Grundsätzlich müsse aber darauf geachtet werden, die Unterkünfte optimal zu nutzen. "Eine alleinstehende Frau kann beispielsweise nicht in ein Apartment für eine Mutter mit drei Kindern ziehen", so Heyne.
Wird ein passendes Apartment frei, werde die Frau sofort kontaktiert. Bei ihrer Ankunft bekommen die Frauen ein Starterpaket, in dem alles Notwendige für den Anfang bereitgestellt wird – denn oft hat unter hohem Zeitdruck schließlich nicht alles in zwei Plastiktüten gepasst. Die Apartments sind mit Töpfen und Geschirr ausgestattet und in der Spendenboutique können sich die Frauen mit Kleidung eindecken.
Einzug ins Frauenhaus: "Da kommt viel auf die Frau zu"
Um zu ermitteln, ob Schutzbedarf besteht, müsse die Frau ihre Situation genau schildern. Besonders die Polizei rufe nach Einsätzen oft an und dränge darauf, dass die Frauen aufgenommen werden. "Das ist problematisch. Es ist wichtig, mit der Frau zu sprechen und herauszufinden, ob sie diesen Schritt wirklich gehen möchte", so Heyne. "Es kann sein, dass sie den Kitaplatz verliert oder die Kinder die Schule wechseln müssen." Bei finanzieller Abhängigkeit vom Partner müssten viele Anträge gestellt werden. "Da kommt einiges auf die Frau zu", sagt Heyne.
Oftmals sei es auch hilfreich, erstmal in die Beratungsstelle zu gehen und sich über alle Möglichkeiten aufklären zu lassen. Häufig müsse die Frau gar nicht aus der Wohnung, sondern der Partner. Bei den Beratungen werden Frauen außerdem auf das Gewaltschutzgesetz aufmerksam gemacht. Das Gesetz gibt dem Opfer die Möglichkeit, eine gerichtliche Schutzanordnung zu beantragen. Außerdem kann damit auch eine Wohnungsüberlassung angeordnet werden.
Gewalt gegen Frauen: "Manche haben noch nie Geld abgehoben"
Wie gelingt die Rückkehr ins Leben, wenn eine Frau ins Frauenhaus kommt? "Erstmal müssen sie zur Ruhe kommen, dann müssen die Anträge gestellt werden", so Heyne. "Dann schaut man, was sie brauchen. Es gibt Frauen, die haben noch nie in ihrem Leben Geld abgehoben, weil solche Dinge immer der Mann übernommen hat." Dann würden die Frauen zur Bank begleitet. Manchmal müsse auch erstmal ein eigenes Konto eröffnet werden. Außerdem wird zusammen mit den Beraterinnen ausgearbeitet, welche Lebensperspektive für die Frau Priorität hat.
So wohnt man im Frauenhaus
Während ihres Aufenthalts zahlen Frauen 270 Euro Miete pro Person, also auch für ihre Kinder. Die kleinsten Apartments haben Platz für eine Frau und ein kleines Baby. Die Küche teilen sie sich mit anderen Bewohnerinnen. Die größeren Apartments haben eine eigene Küche. Es gibt Stockwerkstreffen, wo Probleme beim Zusammenwohnen mit den Beraterinnen besprochen werden können.

Die Frauen dürfen ihren Alltagstätigkeiten wie gewohnt nachgehen. Sie müssen sich jedoch immer an- und abmelden und zu einer bestimmten Uhrzeit zurück sein. Auch Besuch dürfe vorangemeldet kommen, Männer jedoch nicht. Für viele Frauen sei dies ein Trigger.
Wenn die Frauen ausgehen wollen oder zur Arbeit gehen, müssen sie sich selbst um die Kinderbetreuung kümmern. Zwar gibt es einen Kinderbereich, jedoch ohne Betreuung. Meistens passen die Frauen untereinander auf die Kinder auf.
Weihnachten im Frauenhaus
Zu Weihnachten gehen die meisten Frauen zu ihren Familien. Kurz vor den Feiertagen veranstaltet das Frauenhaus einen Weihnachtsmarkt. Dort gibt es auch einen Kinderbereich und eine Vorleseecke sowie Zuckerwatte und Pizza. Auch Lebkuchen und Kinderpunsch werden angeboten. Alkohol gibt es nicht, das ist auf dem Gelände des Frauenhauses verboten.
Auch in der Spendenboutique im Keller des Frauenhauses wird es weihnachtlich. Die freiwilligen Helferinnen haben dort eine Ecke nur mit Weihnachtssachen eingerichtet. In der Spendenboutique dürfen sich die Bewohnerinnen einmal in der Woche für eine halbe Stunde alles aussuchen, was sie brauchen. Dort gibt es Kleidung, Kosmetik, Geschirr und Spielzeug. Wie der Name schon sagt, wurden alle Sachen gespendet. "Zu Weihnachten bekommen die Frauen außerdem einen Einkaufsgutschein, um sich selbst etwas Schönes zu kaufen", so Heyne.
Gewaltprävention: "Müssen Männer in den Blickpunkt nehmen"
Schutzräume wie das Frauenhaus seien wichtig und notwendig, jedoch brauche es vor allem mehr Präventionsarbeit bei jungen Männern, sagt Heyne. Diese beginne bereits bei der Erziehung der Jungen. Der Fokus sollte nicht nur auf den Frauen liegen. "Wir müssen Männer, die zu Tätern werden, in den Blickpunkt nehmen und schauen, dass wir das vermeiden", sagt Heyne. "Das wird noch viel zu wenig gesehen."
Prävention könne bereits im Kindergarten stattfinden, wo darauf geachtet werden sollte, keine Stereotype zu verstärken oder zu erzeugen. Zudem sollte übergriffiges Verhalten als solches benannt und erklärt werden, warum es nicht in Ordnung ist, so zu handeln.
Teenie-Beziehungen: "Viele wissen gar nicht, wann Gewalt anfängt"
Die Frauenhilfe veranstaltet zusammen mit dem Münchner Informationszentrum für Männer (MIM) ein Präventionsprojekt namens "Kribbeln im Bauch". Der Workshop richtet sich an Jugendliche, die gerade mit Beziehungen anfangen und soll ihnen beibringen, wie eine gesunde Beziehung aussieht.
"Viele Mädchen wissen ja gar nicht, wann Gewalt anfängt", so Heyne. Sachen wie "der lässt mich nicht mehr zu meiner Freundin, aber der liebt mich doch", würden oft nicht als psychische Gewalt verstanden werden. "Das muss man ihnen einfach erklären“, so Heyne. Es sei wichtig, ein Bewusstsein für verschiedene Formen der Gewalt zu schaffen.
Das kann man selbst tun
Und was kann man selbst tun? "Wenn man merkt, dass Streit bei der Nachbarin laut wird, kann man sie auf die Seite nehmen und auf Beratungsstellen aufmerksam machen", sagt Heyne. "Man kann auch die Polizei rufen, wenn man sich Sorgen macht." Es sei besser, die Polizei einmal zu viel zu rufen, als gar nicht. Das kann Leben retten.
Spenden für die Frauenhilfe: Frauenhilfe München gGmbH, Bank für Sozialwirtschaft, IBAN: DE12 3702 0500 0007 8445 00, BIC: BFSWDE33XXX
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