Florian von Brunn (SPD) fordert: "Hubert Aiwanger muss entlassen werden"

München - Der Münchner Florian von Brunn (54) ist seit 2013 Abgeordneter im Bayerischen Landtag, seit 2021 Fraktionsvorsitzender der SPD-Landtagsfraktion sowie Vorsitzender der Bayern-SPD.
Als Spitzenkandidat führt er seine Partei in den Landtagswahlkampf. Die AZ hat mit ihm über Hubert Aiwanger, die Aussagekraft von Umfragen und hohe Mieten gesprochen.
AZ: Herr von Brunn, Hubert Aiwanger bleibt zunächst in Amt und Würden, bis er 25 Fragen, die ihm der Koalitionsausschuss gestellt hat, schriftlich beantwortet hat. Fordern Sie immer noch seine Entlassung – oder sollte man lieber das Ergebnis abwarten?
Florian von Brunn: Wir haben seine Entlassung schon nach dem furchtbaren Auftritt in Erding gefordert. Denn dort hat er im AfD-Sound gesprochen. Es ist nur konsequent, jetzt dabei zu bleiben. Die aktuellen Vorwürfe sind sehr schlimm: Hubert Aiwanger wird mit einem widerwärtigen Flugblatt in Verbindung gebracht, das sich in reinstem Nazi-Jargon über die Mordopfer von Auschwitz lustig macht. Hubert Aiwanger hat in rund 14 Tagen nicht aufgeklärt, warum das Flugblatt in seinem Schulranzen war. Jetzt melden sich zudem Schulkameraden, die sagen, er habe damals den Hitlergruß gezeigt, Hitler imitiert – und es gibt einschlägige Fotos aus dieser Zeit. Das alles zusammen ist mehr als genug für eine Entlassung.
Florian von Brunn (SPD): "Wir werden die Entlassung von Hubert Aiwanger fordern"
Helmut Aiwanger behauptet, er habe das antisemitische Flugblatt verfasst und sein Bruder Hubert habe es nur eingesammelt, um zu "deeskalieren". Wie wollen Sie das widerlegen?
Ich persönlich glaube das nicht. Ich finde es bezeichnend, dass er erst jetzt mit dieser Erklärung an die Öffentlichkeit tritt. Jetzt, wo der Druck massiv ist. Und auch erst, nachdem die Freien Wähler ihn zu einer Vorstandssitzung einbestellt haben. Der von ihm angerichtete Schaden für den Freistaat und die bayerische Wirtschaft ist bereits groß. Viele bayerische Konzerne sind im Ausland tätig, und gerade in den USA werden solche Debatten genau verfolgt. Allein um das Ansehen des Freistaates und den Wirtschaftsstandort zu schützen, muss er entlassen werden. Deswegen haben wir gemeinsam mit Grünen und FDP für nächsten Donnerstag eine Sondersitzung beantragt und werden in einem Antrag seine Entlassung fordern.

Was erhoffen Sie sich von dieser Sondersitzung? Dass der Antrag auf Entlassung angenommen wird, ist ja aufgrund der Mehrheiten eher nicht zu erwarten.
Was Markus Söder mit Hubert Aiwanger vereinbart hat, ist doch wachsweich: Er schickt ihm schriftliche Fragen, von denen die Öffentlichkeit keine einzige kennt. Ohne Frist, bis wann er die Fragen beantworten muss. So etwas kann aber nicht im Hinterzimmer ausgehandelt werden. Deswegen werden wir als selbstbewusstes Parlament diese Frist durch die Sitzung setzen. Es geht darum, unsere Demokratie zu schützen. Mein Eindruck ist, dass es bei Aiwanger keine rote Linie gibt. Das hat Erding gezeigt. Da sind ihm die moralischen Sicherungen durchgebrannt. Er ist aufgetreten wie ein rechtspopulistischer Demagoge. Wenn wir das laufen lassen, wachen wir bald in einem anderen Land auf.
"Hubert Aiwanger sollte jetzt endlich ehrlich sein", fordert Florian von Brunn
Hubert Aiwanger soll dem Koalitionsausschuss 25 Fragen beantworten. Welche Fragen würden Sie ihm stellen?
Herr Aiwanger muss zu all dem Stellung beziehen, was bekannt geworden ist. Zu diesem Klassenfoto, das mich an Hitler in jungen Jahren erinnert: mit klarem Seitenscheitel und Schnurrbart unter der Nase. Außerdem zu den Schilderungen seiner ehemaligen Schulkameraden, dass er den Hitlergruß gezeigt, Judenwitze erzählt und sich über den Holocaust sowie die Ermordung von sechs Millionen Juden lustig gemacht haben soll. Er muss sich dazu äußern, wie dieses Flugblatt in seinen Ranzen gekommen ist. Er sollte jetzt endlich ehrlich sein und sich nicht als verfolgte Unschuld darstellen, was besonders abstoßend ist. Es geht nicht darum, dass er wegen einer angeblichen Jugendsünde verfolgt wird. Es geht darum, dass er bayerischer Wirtschaftsminister und stellvertretender Ministerpräsident ist, und das Ansehen des Freistaats Bayern massiv Schaden genommen hat. Er kann versuchen, mit Anstand aus dieser Sache herauszukommen. Das ändert aber nichts daran, dass ich ihn entlassen will.
Wie bewerten Sie seine Entschuldigung?
Die Entschuldigung war mehr als überfällig. Es gibt aber keine neuen Fakten. Der Schaden für Bayern ist extrem groß und wächst mit jedem Tag weiter. Diese fortdauernde Krise verhindert, dass wir wieder über soziale Politik diskutieren – anstatt über Aiwanger.
Stünden Sie als Koalitionspartner der CSU bereit, sollte in Bayern nach der Landtagswahl ohne Hubert Aiwanger weiterregiert werden müssen?
Diese Frage will ich im Moment nicht diskutieren. Aktuell geht es um den Schutz unserer Demokratie, um eine klare Rote Karte für einen rechten Demagogen.
Weg von Hubert Aiwanger, hin zu Florian von Brunn: Ein Interview mit Ihnen trug unlängst den Titel "Florian wer?" – eine Anspielung darauf, dass beim letzten Bayerntrend im Mai 69 Prozent der Befragten nichts über Sie sagen konnten. Schmerzt das?
Ich finde es ganz normal, dass es seine Zeit braucht, bis man bekannt ist. Markus Söder ist seit über 20 Jahren in der Politik. Ich bin erst 2013 in den Landtag gekommen und seit etwas über zwei Jahren Fraktions- und Landesvorsitzender. In der letzten Umfrage von Sat1 lag mein Bekanntheitsgrad bei 46 Prozent. Diesen Anstieg haben wir aufgrund der starken Wahlkampagne und der großen Präsenz auf Plakaten erwartet, und werden ihn im Wahlkampf noch ausbauen.
Florian von Brunn und die SPD im Wahlkampf: "Wir stehen für ein bezahlbares Bayern für alle"
Wie wollen Sie verhindern, dass Sie wie schon 2018 lediglich mit knappen zehn Prozent durchs Ziel gehen?
Bisher wurde sehr intensiv über Berlin diskutiert. Es ist in Landtagswahlkämpfen auch normal, dass erst acht bis sechs Wochen vor dem Termin die Landespolitik in den Vordergrund tritt. Jetzt stehen die Plakate überall auf der Straße und das Thema Landtagswahl dringt immer stärker ins Bewusstsein der Menschen. Die SPD steht für ein bezahlbares Bayern für alle. Wir haben Themen, die den Alltag der Menschen betreffen. Ich glaube, dass wir unser Ergebnis deutlich verbessern.
Sie haben uns im April gesagt: "Spätestens im Sommer haben wir andere Umfragewerte". Jetzt ist der Sommer quasi vorbei, die Briefwahl hat schon begonnen, aber an der Situation der SPD hat sich nichts geändert. Was macht Sie denn so hoffnungsfroh, dass sich der Trend auf den letzten Metern umkehrt?
Der Sommer ist noch nicht vorbei, schon gar nicht für die SPD. Aber wenn zwei Partner – FDP und Grüne – in der Koalition in Berlin immer streiten, vermittelt das natürlich keinen guten Eindruck. Wir müssen noch viel stärker herausstellen, was die Regierung unter Olaf Scholz erreicht hat. Er hat uns als Kanzler sicher durch den letzten Winter gebracht. Niemand musste frieren, es gab keine Blackouts. Er geht mit Putins Angriffskrieg auf die Ukraine in einer sehr besonnenen Weise um. Trotzdem sind wir der zweitgrößte Unterstützer der Ukraine nach den USA. Wir haben die Menschen massiv steuerlich entlastet: Einer Familie mit durchschnittlichem Einkommen und zwei Kindern bleiben über 2000 Euro mehr. Das müssen wir einerseits in Berlin stärker herausstellen. Und andererseits werden wir in Bayern deutlich machen, wofür wir stehen: kostenfreie Kitas, faire Mieten, gute Pflege für 2,7 Millionen Seniorinnen und Senioren sowie saubere und bezahlbare Energie, die das Klima schützt.
Die SPD hechelt in den Umfragen hinterher: "Die Messe ist noch nicht gelesen"
Sie haben gesagt, Ihr Ziel in Bayern sei Platz zwei, mindestens aber Platz drei. Aktuell sieht es eher danach aus, als würde es wieder Platz fünf – und die 15 Prozent Plus X scheinen fern. Was machen Sie nach der Wahl, wenn all diese Ziele verfehlt werden?
Bislang sehe ich nicht, dass wir auf Platz fünf landen, weil viele Parteien sehr eng beieinanderliegen. Und keiner weiß, wie sich die politische Situation entwickelt, Stichwort Aiwanger. Die CSU sinkt, genau wie die Grünen, denen in Berlin der Wind ins Gesicht bläst. Wir haben die Regierungserfahrung in Berlin. In Bayern stellen wir Bürgermeisterinnen und Bürgermeister in über 200 Städten und Gemeinden mit fast vier Millionen Einwohnern. Das ist ein Drittel der bayerischen Bevölkerung. Insofern: Die Messe ist noch nicht gelesen.
Als Sie neulich zusammen mit Bundeskanzler Scholz auf dem Marienplatz den Landtagswahlkampf eröffnet haben, wurden Sie von Buhrufen und Pfiffen empfangen. Wie erklären Sie sich diese Aggression?
Unsere Gesellschaft hat in den letzten Jahren schwere Zeiten erlebt. Wir hatten die Pandemie mit in Bayern besonders harten Einschränkungen. Danach kamen gleich der Krieg und die Inflation, zugleich die Klimakrise - das ist schon eine schwere Belastung. Wenn dann in Berlin der Eindruck vermittelt wird, da wird nur gestritten, und die Regelungen nicht so sind, wie sich die Menschen das vorstellen, ist das das größte Problem. Wir haben daraus gelernt. Gerade wir als SPD haben dafür gesorgt, dass das Heizungsgesetz sozial gerecht wird, dass es hohe Förderungen geben wird. Darin sehe ich auch unsere Aufgabe: zum einen dafür zu sorgen, dass Politik verlässlich ist; zum anderen dafür, dass die Menschen sicheren Boden unter den Füßen haben.
"Wir wollen mindestens 15.000 öffentliche, bezahlbare Wohnungen im Jahr bauen"
Die SPD-Bundestagsfraktion fordert eine verschärfte Mietpreisbremse in angespannten Wohnlagen wie München: Innerhalb von drei Jahren sollen Mieten nur um sechs Prozent steigen dürfen. Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm sagt, das würgt den Wohnungsbau ab.
Das sind immer die gleichen Aussagen von liberalen Ökonomen. Die erzählen uns schon seit Jahrzehnten, man müsse den Markt nur machen lassen. Wir wissen aus Erfahrung, dass das nicht funktioniert. Wir verbessern mit dem Wachstumschancengesetz auf Bundesebene jetzt die Abschreibungsmöglichkeiten für den Wohnungsbau. Wir haben über die KfW viel Geld für klimafreundlichen Wohnungsbau zur Verfügung gestellt. Den öffentlichen Wohnungsbau wollen wir in Bayern deutlich ausweiten. Wir wollen einige Hundert Millionen Euro mehr dafür zur Verfügung stellen. Wir wollen mindestens 15 000 öffentliche, bezahlbare Wohnungen im Jahr bauen.

Wie wollen Sie das bezahlen?
All diese Forderungen sind sehr gut finanzierbar. Das habe ich in meinem Von-Brunn-Plan für Bayern schon dargelegt. Erstens: Wir wollen Steuervermeidung und Steuerhinterziehung bekämpfen. Wir sind bei der Zahl der Steuerprüfer in vielen Bereichen Schlusslicht. Zweitens: Wir wollen die Spekulation mit Baugrund bekämpfen, indem wir eine Baulandsteuer einführen. Und drittens: Es gibt die sogenannten Ausgabereste - also Geld, das für verschiedene Programme im bayerischen Haushalt vorgesehen war und nicht ausgegeben worden ist. Das wird immer mehr: Im letzten Haushalt waren es 14 Milliarden Euro. Es ist also sehr viel Geld da, sodass man auch Prioritäten setzen kann. Für uns sind das gute Bildung, kostenfreie Kitas, bezahlbares Wohnen, gute Pflege und Krankenhausversorgung auch auf dem Land.
Florian von Brunn im Wahlkampf-Modus: "Es braucht kein Staatsgeld für Schneekanonen"
Und was ist Ihrer Meinung nach im jetzigen Haushalt weniger wichtig?
Ich würde zum Beispiel nicht mehr sehr viel Geld in den Neubau von Straßen investieren. Es ist eh schon eine große Aufgabe, unser bestehendes Staatsstraßennetz zu erhalten. Auch Subventionen sollte man überprüfen. Es braucht zum Beispiel kein Staatsgeld für Schneekanonen. Es braucht auch keine Fraktionsreserve von CSU und Freien Wählern, aus der man Wahlkampfgeschenke verteilt.
Ein zentraler Punkt in Ihrem Wahlprogramm ist die Forderung nach einem "Faire-Löhne-Gesetz". Das soll unter anderem einen Mindestlohn von 15 Euro bei allen staatlichen Aufträgen vorgeben. Wie soll sich der Staat so in Zukunft noch Investitionen leisten können?
Ich glaube nicht, dass das ein Problem ist. Wir werden hoffentlich auch bald einen Mindestlohn von 14 Euro in ganz Deutschland bekommen. Ich würde das andersherum sehen: Wenn Menschen hart arbeiten, müssen sie ihr Leben auch finanzieren können und haben einen anständigen Lohn verdient – sowohl bei staatlichen als auch bei privaten Aufträgen.
Die SPD-Bundestagsfraktion fordert einen zeitlich befristeten Industriestrompreis. Den hätte auch die Bayern-SPD gerne. Der Kanzler scheint allerdings weiterhin dagegen zu sein. Meinen Sie, er lässt sich noch umstimmen?
Der befristete Industriestrompreis, den wir vorschlagen, soll eine Brücke sein, bis wir die Erneuerbaren Energien ausgebaut haben. Die Subventionen sollen also im Lauf der Zeit abschmelzen. Gleichzeitig wollen wir die Stromsteuer auf das europäische Mindestmaß senken, um auch den Mittelstand zu entlasten. Der Industriestrompreis wäre für Unternehmen wie zum Beispiel Wacker Chemie sehr wichtig, die auf vielen Gebieten führend sind und Grundprodukte für Mikrochips oder Photovoltaik herstellen. Das geht nur mit vernünftigen Energiepreisen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Übrigens bis ihr Windpark entsteht, den sie selber planen. Mein Appell geht in dieser Frage auch an die FDP, dass sie nicht vergisst, dass die Industrie für unseren Wohlstand in Deutschland und Bayern entscheidend ist.