Fliegender Rock, rollender Beat

Erinnerung an die 50er: Im Wirtshaus im Isartal hat der Rock’n’Roll noch einen Platz in München
Der Zweite Weltkrieg ist vorbei, ein schlichter Wohlstand zieht in die mittelständischen Haushalte amerikanischer Kleinstädte ein und die Jugend – tanzt! Elektrisiert von der treibenden Musik eines jungen Mannes frisiert man sich die Haartolle, schüttelt Pferdeschwanz und Petticoat. Elektrisiert ist auch der 14-jährige Schüler Alfred Ostertag im amerikanisch besetzten Bayern. 1954 gerät er beim ersten Kratzen der Nadel auf dem Vinyl unwiderruflich in die Fänge von Elvis und Bill Haley. Fortan wird sein Leben geprägt sein von den drei schlichten Worten, die der Legende nach Radiomoderator Alan Freed erstmals aussprach: Rock and Roll.
Ein halbes Jahrhundert später: Die Tanzfläche im Saal des Wirtshauses zum Isartal ist voller Menschen. Die Paare sind allesamt älteren Semesters, aber getanzt wird wie auf dem Abiball: Zum Beat des Rock'n'Roll wirbeln die Männer ihre Tanzpartnerinnen herum.
Hinterm DJ-Pult: ein weißhaariger Mann im schwarzgrünen Sweatshirt – Ostertag, der heuter 70 Jahre alt wird. Mitten in der Menge tanzt Martin Kain (52). Zum Boogietanzen gekommen ist der Münchner vor 31 Jahren durch Ostertag, oder „Gaggi“, wie ihn jeder hier nennt. „Der hält hier alles zusammen“, erzählt Kain.
„In den letzten zehn Jahren ist der Boogie ziemlich aus der Mode gekommen, viele Lokale mussten schließen, es fehlt an Nachwuchs. Aber Gaggi hat immer einen Ort gefunden, an dem wir tanzen können.“ Wie das Wirtshaus zum Isartal. Hier legt Ostertag, der mittlerweile auf eine lange und erfolgreiche Karriere als Rock’n’Roll-Tänzer zurückblickt, jeden Freitag auf. Chuck Berry und Little Richard spielt er mittlerweile vom Laptop – das Vinyl ist sorgfältig zu Hause gelagert.
Angefangen hat alles in der Sendlinger Straße 55: Wo heute Cocktails und Pizza serviert werden, gab Ostertags in seiner Diskothek „Jet Dancing“ von 1976 bis 1996 einmal in der Woche tanzbegeisterten Teenagern kostenlosen Unterricht in Boogie Woogie. Heute stehen drei Generationen seiner Schüler zusammen auf der Tanzfläche. „Des is ja mei Familie. I kenn die Leit alle“, lacht er, springt zurück an seinen Laptop und blendet „Matchbox“ von den Mavericks ein.
„H moll 7“, ruft plötzlich ein älterer Herr, der schon seit geraumer Zeit am Tisch nebenan sein Helles schlürft, „des klingt so super.“ Er springt auf und greift den Akkord, der ihm so in die Beine gefahren ist, auf der Luftgitarre. Hinter seiner Anlage zupft Gaggi die imaginären Saiten eines Kontrabass. Gemeinsam schwelgen die beiden Weggefährten in Sachen Rock’n'Roll in alten Zeiten: „Mei hams mir schee g'habt.“ Lang lebe der Rock’n’Roll. Johanna Jauernig
Jeden Freitag schmeißt Gaggi Ostertag im Wirtshaus zum Isartal seine Rock’n’Roll- und Boogie-Woogie-Party.
Wo: Wirtshaus zum Isartal, Brudermühlstraße 2
Wann: Jeden Freitag, Beginn 20 Uhr
Eintritt: 5 Euro