Flashmobs: Drei Minuten Anarchie

In München sorgt ein Flashmob in der U-Bahn für Ärger und einen Polizei-Großeinsatz. Dabei sind diese scheinbar spontanen Aktionen eigentlich originell und harmlos – zumindest meistens.
„Um 22.21 Uhr an der Münchner Freiheit in die U6 Richtung Klinikum Großhadern einsteigen“, lautet die konspirative Anweisung im Internet, der 400 Münchner am vergangenen Freitag Folge leisten. Doch es wird kein „feines ubahn party pilot projekt“, wie von den Organisatoren gewünscht, sondern möglicherweise mehr Mob als Flashmob: So sollen Jugendliche etwa mit einem Feuerlöscher wild herumgesprüht haben (AZ berichtete).
„Ich war zufällig in der U-Bahn. Die Leute waren aggressiv, nicht nur gegen die Polizeibeamten, sondern auch gegen die anderen Fahrgäste“, schreibt Benutzer „Thomas“ unter den Artikel auf abendzeitung.de. Kommentator „igor“ sieht’s etwas anders: „Aufgehalten wurde die U-Bahn nicht von den Leuten, die Party gemacht haben, sondern von der Polizei, die dann zwei Stunden ,ermittelt’ hat.“
Was auch immer in der U6 wirklich passiert sein mag, der Vorfall lenkt die Aufmerksamkeit auf eine gegenkulturelle Bewegung, die in den vergangenen Monaten wieder etwas in Vergessenheit geraten ist: so genannte Flashmobs, 2003 von einem US- Journalisten erfunden, bei denen sich Menschen meist via Internet an einem öffentlichen Ort verabreden und ungewöhnliche Dinge tun – oder normale Dinge, die ungewöhnlich wirken, weil es plötzlich hunderte gleichzeitig machen: zum Beispiel Tageszeitung lesen, Beifall klatschen, tanzen oder einfach nur hinfallen.
Charakteristisch für einen Flashmob ist dabei, dass sich die Versammlung nach weniger Minuten blitzartig auflöst und – als wäre nichts gewesen – die übrigen Passanten staunend, im besten Falle nachdenklich zurücklässt. Eine Idee, die sich beim jüngsten Münchner Versuch auch nicht wiederfindet, ging es doch anscheinend eher um eine besondere Party-Location.
Auch Gewerkschaften nutzen Flashmob-Aktionen
„Demokratietheoretisch gesehen können Flashmobs eine wichtige Kritik- und Kontrollfunktion übernehmen. Oder einfach auch nur bestimmte Positionen in den Meinungsbildungsprozess einspeisen“, sagt Thomas Knieper, Professor für Sozialwissenschaft an der Technischen Universität Braunschweig.
Dazu passt, dass inzwischen auch Gewerkschaften das Potenzial der Aktionen erkannt haben. So orderte etwa Verdi 40 Mitglieder per SMS in eine Rewe-Filiale, um einen Streik durchzusetzen, indem die Teilnehmer unter anderem sinnlos Einkaufswagen vollpackten. Die Arbeitgeber klagten und das Bundesarbeitsgericht urteilte, dass dies „eine zulässige Arbeitskampfform“ sei.
„Problematisch wird es, wenn Straftaten mit diesem Instrument koordiniert werden“, sagt Experte Knieper. „Sollten negative Flashmob-Aktionen zunehmen, dürfte wohl zunächst die Diskussion über die Anmeldepflicht derartiger Menschenaufläufe hochkochen.“ Damit wäre das Prinzip ad absurdum geführt.
Bislang halten sich die meisten Flashmobber ans Gesetz. Die 700 Münchner, die 2008 gleichzeitig tausende Hamburger bei McDonald’s bestellten, zahlten zum Beispiel brav die Rechnung. Ob in Wahrheit ein gewisser Ronald McDonald dahintersteckte?
Timo Lokoschat