Finger mit Kreissäge abgetrennt
MÜNCHEN - Die Schmerzen, die Thomas Richter ertragen muss, sind unerträglich. Zwei Finger hat er sich mit der Kreissäge abgetrennt, drei weitere schwer verletzt. Es zieht, brennt, pocht und klopft in seiner Hand. Den Schmerz muss der 46-Jährige bei vollem Bewusstsein sechs Stunden lang ertragen – bei einer Odyssee durch Münchens Kliniken.
Freitagmittag: Das Unglück
Thomas Richter ist bei Bekannten in Igling bei Landsberg am Lech. Er baut in der Werkstatt für seinen fünfjährigen Enkel ein Vogelhäuserl. In einem Moment der Unachtsamkeit passiert es: Mit der Kreissäge schneidet sich der Gabelstaplerfahrer in die linke Hand. Der kleine Finger und der Ringfinger sind abgetrennt, bei Mittel- und Zeigefinger sind Nerven durchtrennt, am Daumen hat er einen Sägeblattschnitt.
13.45 Uhr: Der Notruf
Sofort ruft sein Bekannter die 112 an. Nach 20 Minuten kommt der Krankenwagen. Die Sanitäter versorgen den Verletzten, suchen nach den zwei abgetrennten Fingern, um sie zu kühlen. Einen finden sie zehn Meter vom Unglücksort entfernt auf der gefrorenen Eisfläche des Pools.
Die Sanitäter fordern einen Rettungshubschrauber an. Da der keinen geeigneten Landeplatz findet, fahren sie ihm 20 Kilometer nach Schöffelding mit dem Krankenwagen entgegen. Eigentlich soll Richter in die Unfallklinik nach Murnau, doch das Wetter ist so schlecht, dass man dort nicht hinfliegen kann. Stattdessen geht’s in die Klinik in der Nußbaumstraße. „Die Sanitäter im Hubschrauber haben direkt die Kliniken angefunkt und im Vorfeld abgeklärt, wo sie hinkönnen”, erklärt das Landratsamt Fürstenfeldbruck dazu.
„In dieser Zeit hätte man mich locker nach Augsburg in ein Klinikum fahren können”, sagt Richter. Stattdessen geht’s per Hubschrauber nach München.
15.40 Uhr: Chirurgische Klinik in der Nußbaumstraße
Thomas Richter hat große Schmerzen und bittet darum, ein Schmerzmittel zu bekommen. Doch die Ärzte können ihm nur ein leichtes Schmerzmittel geben, da niemand weiß, wann er operiert wird. Der vierfache Vater wird erstversorgt und untersucht. „Wir wussten vorher nicht, dass seine Verletzungen so schwer sind. Eine adäquate Versorgung war zu diesem Zeitpunkt nicht möglich”, erklärt Philip Kreßirer, Sprecher der Unikliniken. Alle OP-Säle sind besetzt.
17.20 Uhr:
Klinikum Bogenhausen
Mit Blaulicht wird der Schwerverletzte nach Bogenhausen gefahren. „Die haben mich mehrere Minuten auf dem Flur liegen lassen, weil ich anscheinend nicht angemeldet war”, so Richter. Die Ärzte sind ehrlich zu ihm: Man könne nicht operieren. Denn wieder ist kein OP-Saal frei.
18 Uhr: Auf Entzug
Thomas Richter muss seit einem schweren Bandscheibenvorfall täglich Morphium einnehmen. Er fleht eine Schwester an, ihm das erlösende Medikament zu bringen. „Sonst wäre ich auch noch auf Entzug gewesen”, sagt er. Die Ärzte gestehen ihm, dass seine Finger vielleicht nicht gerettet werden können. „Da hat es mir gereicht”, sagt Richter. Während die Schwester das Schmerzmittel holt, ruft Thomas Richter seine Frau an und bittet sie, auf eigene Faust ein Krankenhaus zu suchen.
19.45 Uhr: Schön-Klinik in Harlaching
Wieder mit Blaulicht geht es weiter zur rettenden Schön-Klinik in Harlaching. Dort ist der OP schon vorbereitet. Fünf Stunden wird Thomas Richter operiert. Unter einem Spezialmikroskop fügen die Handchirurgen die durchtrennten Nerven wieder zusammen. Nur der kleine Finger, der ist nicht mehr zu retten.
In zehn Tagen soll Thomas Richter entlassen werden. Nach einer Reha wird er wieder arbeiten können. Ob er je wieder handwerklich tätig sein kann, ist unklar.