Feinster Lesestoff
Im Jahr erscheinen in Deutschland rund 5500 neue Kinder- und Jugendbücher. Aber welche davon sind wirklich gut? Ulrike Schultheis, mehrfach ausgezeichnete Buchhändlerin aus Starnberg, stellt bei der Bücherschau jeweils mit zwei Kolleginnen vom Börsenverein die besten 100 Neuerscheinungen vor. Für die AZ hat sie vorab die Besten der Besten ausgewählt.
Bilderbücher: Paradiese, Träume, Nacht
Bilderbücher gibt’s wunderbare diesen Herbst. Das fünfte Wimmelbuch von Susanne Rotraut Berner ist da, Thema: Nacht. Außerdem gibt’s von ihr eine neue Karlchen-Geschichte, der Hasenbub kriegt ein Schwesterchen: „Wie lange will sie bleiben?, fragt Karlchen. Für immer, sagt Papa“. Dann die Neuauflage: „Im Traum kann ich fliegen“. Erzählt wird vom aufregenden Leben in der Erde. Die Protagonisten: ein Käfer, ein Engerling, die Würmer Schnurps und Knurps, eine Raupe. Der Knaller dürfte aber doch sein: „Der Panther im Paradies“, eine auch für Erwachsene sehr witzige Geschichte. Es ist im Paradies nämlich für den Panther einiges gewöhnungsbedürftig. Ein alter Hase erläutert dem Neuankömmling die Gegebenheiten: „Hier läuft alles ein bisschen anders. Wenn es ein Problem gibt, reden wir darüber“ – im Stuhlkreis. Und fressen tut man einander eh nicht. Tja, aber dann? Fehlt plötzlich das Eichhörnchen – und der Panther hat einen braunen Wuschel-Schwanz. Später ist das Zebra weg – und der Panther gestreift. Er ist kurz vor dem Rausfliegen aus dem Paradies, da fehlt der Aufpasser. Am Ende? Sind alle Tiere wieder da. Und der Panther ist glücklich – aus dem Paradies draußen.
Rotraut S. Berner: „Nacht“, Gerstenberg, 12,90 Euro. „Ein Schwesterchen für Karlchen“, Hanser, 6,90 Euro. Eveline Hasler: „Im Traum kann ich fliegen“, Nordsüd, 14,80 Euro. Martin Karau: „Der Panther im Paradies“, Aufbau, 16,90 Euro.
Ole Könnecke, Amelie Fried, Sybille Hein
Zweimal werden bei der Bücherschau die „besten 100 Kinder- und Jugendbücher“ vorgestellt: diesen Samstag, 15. November, 18 Uhr, und am Sonntag, 23. November, 11 Uhr. Ansonsten im Kinderprogramm: Kultur & Spielraum öffnet jeweils am Wochenende eine Schreib-Werkstatt, Motto: „Was wäre, wenn...“. Lesungen stehen an mit Ole Könnecke („Anton und das Weihnachtsgeschenk“), Amelie Fried („Schuhhaus Pallas“), Diana Wohlrath („Der Feuerthron“), Henning Wiesner („Tierkinder im Zoo“) und Franziska Gehm („Eline & Wilma“). Sybille Hein stellt ihr Abenteuer-Musical „Prinzessin Knöpfchen“ vor.
Karten bei München Ticket, Tel: 54 81 81 81, www.muenchner-buecherschau.de
Sachbücher: Deutschland und die Welt
Seit ein paar Jahren explodiert der Sachbuchmarkt für Kinder schier. Alle Themen, vom Klimawandel bis zur Globalisierung, werden aufbereitet, aus witzigen Perspektiven erzählt – und sind damit auch für Erwachsene mit Gewinn zu lesen.
Kurzweilige Nachhilfe in Heimatkunde bietet das Buch "Deutschlandreise“, erschienen bei cbj in Kooperation mit der Redaktion der Sendung mit der Maus. Alle 16 Bundesländer werden vorgestellt mit Schönheiten und Eigenheiten. Im zweiten Teil werden Kinderfragen „mausschlau“ beantwortet, etwa: Warum gibt es in Deutschland keine Könige mehr?, Wie heißt der kürzeste Fluss Deutschlands und wo entspringt er (die Pader, in Paderborn)? Am Ende würde man gern losfahren, in den Spreewald, wo die (auch) sorbisch sprechenden Sorben am 25. Januar Vogelhochzeit feiern. Oder nach Rühstedt, wo im Frühjahr die Störche brüten.
Lustig ist das Bilderbuch von Martina Badstuber: „Ich kenn ein Land, das du nicht kennst“. Vorgestellt werden unter anderem: China, wo Pandabären im Handstand pinkeln, Norwegen, wo Kühe auf Matratzen schlafen, Australien, wo Käfer sich in Bierflaschen verlieben. Wie bitte? Richtig gehört, das alles gibt es.
Für Jugendliche interessant: „Die Weltreise einer Fleece-Weste“. Bis die Weste gefertigt ist und dann aufgetragen wird, hat sie tatsächlich die halbe Welt gesehen. Das Rohöl für den Faserpelz kommt aus Dubai, gewebt, gefärbt, genäht wird (unter katastrophalen Bedingungen) in Bangladesh, gekauft in Deutschland, entsorgt – in Afrika. Und: In Dubai kommen die Gastarbeiter aus Indien. Auf dem Frachter nach Bangladesh ist die Crew philippinisch. Hinterher überlegt man hoffentlich besser, was man wo kauft.
Außerdem spannend und so wichtig: „Deutschland, gefühlte Heimat“. 12 junge Migranten erzählen, was sie gemacht haben aus ihrem Leben in Deutschland.
Daniela Nase: „Deutschlandreise“, cbj, 16,95 Euro. Martina Badstuber: „Ich kenn ein Land,...“, Tulipan, 12,90 Euro . Wolfgang Korn: „Weltreise einer Fleece-Weste“, Berlin-Verlag, 14,90 Euro . Elke Reichart: Deutschland, gefühlte Heimat“, dtv, 8,95 Euro .
Waffeln zum Weinen
„Waffelherzen an der Angel“ ist ein norwegisches, zum Weinen schönes Buch für Schulkinder. Es geht um eine Freundschaft – und bei der Gelegenheit um das ganze, große Leben. Trille, 9, Spross einer kinderreichen Familie mit Lieblings-Opa, und Lena, das Nachbarsmädchen, sind immer zusammen. Meistens machen sie, was Lena sagt, meistens ist das ziemlich verrückt und geht in der Regel „völlig schief“. Dabei weint Lena nie, sie zeigt nicht groß Gefühle und sagt auch Trille nicht, wie wichtig er für sie ist. Aber dann passiert eine Menge – in der zweiten Hälfte des Buchs überschlagen sich die Ereignisse. Erst stirbt die geliebte Tante-Oma, die immer Waffelherzen gebacken hat für den Opa und die Kinder. Dann zieht auch noch Lena weg mit ihrer Mama und deren neuem Freund. Eines nachts knallt ein Schneeball an Trilles Fenster. Unten steht Lena und schreit: „Nun mach schon das Fenster auf, du Trottel“. Sie ist getürmt, wird erst gesucht, dann darf sie vorübergehend bei Trille bleiben. Langsam kommt alles ins Lot, und irgendwann sagt Lena so nebenher zu Trille: „Natürlich bist Du mein bester Freund. Wer sollte das denn sonst sein?“.
Maria Parr: „Waffelherzen an der Angel“, Dressler, 12,90 Euro. Illus: Marine Ludin
Feen und Detektive
Buben dürften lieben: „Rico, Oskar und die Tieferschatten“, eine „hinreißende“ (Ulrike Schultheis) Detektivgeschichte, bevölkert von schrägen Typen. Rico, der Ich-Erzähler, findet selber, er sei „tiefbegabt“. Auf dem Spielplatz trifft er Oskar, intellektuell sein Gegenstück, aber auch leicht komisch: der Kerl läuft immer mit Sturzhelm herum. Die Beiden sind, ehe sie sich umschauen, in einen Kriminalfall verwickelt. Dann muss ausgerechnet der langsame Rico den schlauen Oskar retten. Witzig für Mädchen ist „Philippa und die Wunschfee“ von Liz Kessler. Philippa kriegt Besuch von einer Fee, kapiert das aber nicht – und ist zu dem armen Wesen ziemlich grob.
Andreas Steinhöfel: „Rico, Oskar und die Tieferschatten“, Carlsen, 12,90 Euro. Liz Kessler: „Philippa und die Wunschfee“, Fischer, 12,90 Euro.
Für Erstleser: Ritter, Frosch, Kröte
Der cbj-Verlag hat, um die oft eher langweiligen Geschichten für Erstleser aufpeppen zu können, eine pfiffige Reihe gestartet: „Erst ich ein Stück, dann du“. Es ist klar – Vorleser und Erstleser wechseln sich ab beim Lesen. Acht Bücher sind bislang erschienen, besonders zu empfehlen: „Eine Burg für Ritter Rudi“. Schon das Cover ist entzückend: ein stoppelbärtiger schlaksiger Kerl hockt auf einem Esel, nebenher läuft eine Rüstung. Der schlaksige Kerl ist Rudi, der Ritter, auf der Suche nach einer neuen Burg, in der das Leben vielleicht ein bisschen aufregender ist als bisher. Die Rüstung? Ist ihm quasi zugelaufen, was praktisch war, weil ihm eine fehlte. Nur leider ist sie super-ängstlich. Abenteuer, unter anderem in einer Drachenhöhle zur Rettung einer Prinzessin, erleben die Beiden trotzdem. Ganz zum Selberlesen ist dann„Das große Buch von Frosch und Kröte“, ein Klassiker von Arnold Lobel, neu erzählt von Tilde Michels, neu aufgelegt bei dtv junior. Frosch und Kröte sind Freunde, der eine eher agil (Frosch), der andere recht schläfrig. Sie backen Plätzchen gemeinsem und versuchen, nicht alle auf einmal zu essen, gehen Schlitten fahren und säen Blumen, lesen den Samen Gute-Nacht-Geschichten vor und warten sehnlichst drauf, dass was wächst. Süße, altmodische Zeichnungen.
Patricia Schröder: „Eine Burg für Ritter Rudi“, cbj, 7,95 Euro. Arnold Lobel: „Das große Buch von Frosch und Kröte“, dtv junior, 12 Euro.
Für Jugendliche: Schuld und Liebe
Empfehlung für Buben: „Paranoid Park“– der Film zum Buch hat gerade in Cannes einen Sonderpreis bekommen. Es geht um die Frage: Wo fängt Schuld an? Hört sie irgendwann auf? Ein Junge aus gutem Haus springt mit einem eher unterprivilegierten Gleichaltrigen, „Schramme“ genannt, auf einen Zug. Ein Wachmann erwischt die Beiden. Prügelt Schramme halbtot. Da haut der Junge, der seine Geschichte in der ersten Person erzählt, aber ohne Namen bleibt, dem Wachmann sein Skateboard auf den Kopf. Der strauchelt – und wird unter den weiterfahrenden Zug gezogen. Ist tot. Dann geht es los. Erst im Kopf des Jungen: „Es war nicht meine Schuld. Oder vielleicht doch? Habe ich ihn umgebracht? Und wer urteilt über so was?“. Dann ermittelt die Polizei. Der Junge schweigt. Und leidet. Ausgerechnet das brave Nachbarsmädchen bringt ihn auf die Idee: „Schreib das alles auf“.
Blake Nelson: „Paranoid Park“, Beltz & Gelberg, 12,90 Euro. Lustig für Mädchen: „Man weiß nie, was als Nächstes kommt“, Boje, 12,90 Euro. Inhalt: kleine Lieben, doofe Eltern.
Affenhintern in Pupssuppe
Kotzmotz der Zauberer“macht seinem Namen alle Ehre – die Schimpfwörter, die er nonstop erfindet, dürften Kinder erfreuen: „Warzenschleim mit Senfsoße“ oder: „Verstinkter Affenhintern in Pupssuppe“. Anders mit ihm wird alles, als er einen Hasen trifft – der fragt ihn ganz naiv: „Wieso hast Du so ein hässliches Haus?“. Dann streichen die zwei das Zauberer-Haus bunt an. Am Schluss findet Kotzmotz das Leben ziemlich schön.
Brigitte Werner: „Kotzmotz der Zauberer“, Freies Geistesleben, 14,90 Euro.
Andrea Kästle
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