Feiernde Teenager in München: "Wir stören halt das Stadtbild"

München - Die herausragend spektakuläre Geschichte hört man an diesem lauen Mittwochabend nicht. Das Wetter ist gut, aber nicht so gut, dass jeder sich seinen Platz an der Isar sucht. Dennoch ist es recht voll.
Was man hört, sind dafür ähnliche Geschichten. Es sind keine, in denen geschlagen wird oder Pfefferspray eingesetzt wird. Es sind aber Geschichten von Taschenlampen, die einem ins Gesicht leuchten, von Schlagstöcken, die getätschelt werden, und von gut sichtbaren Waffen. Und von Jugendlichen, die der Polizei nicht mehr vertrauen.
"Alle 20 Meter stand ein Mannschaftsbus"
Polizeieinsätze im Englischen Garten und an der Isar waren zuletzt immer wieder in den Schlagzeilen in München. Inzwischen haben sich die Partys (oder die Anwohner-Beschwerden darüber) Richtung Universität verschoben. Unrühmliche Höhepunkte waren die Flaschenwürfe am Schwabinger Bach vor zwei Wochen. Aber auch an der Isar ging es heiß her.
Wer abends zwischen Flaucher und Deutschem Museum an der Isar spazierte, sah vor allem zwei Dinge: Massen von jungen Menschen und viel Polizei.
"Alle 20 Meter stand ein Mannschaftsbus", erzählt Selma. Sie sitzt mit Freunden in der Nähe des Baldeplatzes.

Die 17-Jährige ist auch häufiger im Englischen Garten, aber da sei es noch stressiger als hier: "Oft haben alle Wagen die Scheinwerfer an, so dass man direkt angeleuchtet wird." Flutlicht. Das hört man auch von anderen. Gemütlich ist das natürlich nicht.
Nun ist die Polizei nicht präsent, um etwa junge Menschen zu ärgern. Keiner an diesem Abend beschwert sich grundsätzlich über die Polizei. Die vielen Schlägereien und auch die Sexualdelikte sind für alle gute Gründe für Polizeipräsenz. Niemand, mit dem die AZ hier spricht, findet den Einsatz im Englischen Garten falsch, die Flaschenwürfe stoßen auf Ablehnung.
"Man versteht überhaupt nicht, warum die irgendjemanden kontrollieren"
Aber das allabendliche Auftreten der Beamten sorgt für Irritationen. "Man versteht überhaupt nicht, warum die irgendjemanden kontrollieren", sagt Leon. Er ist der einzige über 18 in der Gruppe. "Die laufen dann hier zu zwanzigst mit Helm durch und greifen drei raus. Und daneben sitzen 30 andere und werden nicht kontrolliert."
Wenn die Polizisten das Gespräch suchten, dann täten sie es mit der Taschenlampe in der Hand und leuchteten direkt ins Gesicht. So könne man kein Gespräch auf Augenhöhe anfangen.
"Man nimmt die Polizei nicht mehr als Beschützer wahr, sondern als Leute, vor denen man Angst hat", sagt Selma. Jeder ihrer Freunde könne eine Geschichte erzählen, bei der sie kontrolliert und festgehalten worden sind, ohne dass aber ihre Eltern verständigt worden sind.
Je früher der Abend, desto älter das Publikum. Um 19 Uhr liegt das Durchschnittsalter bei etwa 25, später wird es eher 18 sein. Thomas und seine Kumpels gehören zu den Älteren: "Ich sehe es halt nur. Wir werden nicht kontrolliert oder ermahnt. Aber die 20-Jährigen werden drangsaliert", erzählt er.
Das ist ein Vorwurf, der häufig kommt. Mittags sei es genauso voll an der Isar, aber da seien Familien und 30-Jährige, die dürften machen, was sie wollen - Corona hin, Corona her. Denn um den Infektionsschutz scheine es schon lange nicht mehr zu gehen, finden die Jugendlichen.
Am Baldeplatz erzählt Paul, dass sie zwei Tage zuvor wegen Ruhestörung Platzverbot bekommen haben. Da saßen sie mitten auf der Wittelsbacherbrücke. Jetzt sitzen sie auf und um eine Bank an der Wittelsbacherstraße. Aus den Smartphones scheppert Musik.
"Wir stören halt das Stadtbild"
"Wir sind Balde-Kids", sagt der 19-Jährige und lacht dann selbst, weil das so sehr nach "Die Kinder vom Bahnhof Zoo" klingt.
Etwas ernster meint er dann: "Wir stören halt das Stadtbild." Vor etwa einer Woche habe es 24 Stunden Isarverbot wegen Sachbeschädigung gesetzt. Sachbeschädigung? Die Bank habe gewackelt, mehr nicht. Man fühle sich drangsaliert: "Auf uns wird zugegangen, als wären wir Verbrecher."
Nur die Bestrafung sei eben doch nicht die von Verbrechern: Mehr als Isar- oder Platzverbote hat keiner bekommen. Im vergangenen Sommer hätten die jungen Menschen Bußgelder bekommen. In diesem Jahr noch nicht.
Julia sitzt mit etwas mehr als den zulässigen neun weiteren Personen im Gras. Nein, auch bei ihnen gibt es keine spektakuläre Geschichte. "Aber neulich", so fangen die meisten Erzählungen an, "neulich saßen wir unter der Brücke und wurden eingekesselt". Da sitzen dann 20 Jugendliche - Julia zuckt verlegen mit den Schultern - und von rechts und links stürmen 30 Polizisten mit Helm herunter. Personenkontrolle, zwei Widerspenstige bekommen Platzverbot. Das war's.
"Ich habe auch gute Erfahrungen mit der Polizei gemacht"
"Jetzt plant man mit ein, wegrennen zu müssen", sagt Felix. Er spielt neben Julias Gruppe Fußball - und hat seinen Rucksack an: "Man hat sein Zeug immer dabei und lässt es nirgendwo liegen."
Später am Abend, gegen 24 Uhr, ist es am Baldeplatz immer noch laut. Sehr laut. Aber die Polizei ist bisher nur vorbeigefahren. Die Stimmung ist gut und alkoholgeschwängert. Paul zeigt auf eine Kamera, die sehr weit oben an einer Laterne hängt, und sagt: "Die ist erst seit Kurzem da. Nur, um uns Angst zu machen."
Selma und Leon sind jetzt auch zum Baldeplatz gekommen. Selma nimmt sich eine Zigarette von einem anderen Jugendlichen. "Krieg ich dafür 'nen Kuss?" Selma zeigt keine Reaktion, der junge Mann nimmt es gelassen hin. "Ich habe auch gute Erfahrungen mit der Polizei gemacht", sagt sie, "aber im Augenblick kommt auf jede gute eine schlechte."
Man muss nicht jedes Wort an diesem Abend für bare Münze nehmen. Es ist ein subjektives Bild, das Selma, Paul und die anderen Jugendlichen zeichnen. Sie bemühen sich um Verständnis: "Klar muss die Polizei Gesetze durchsetzen", sagen sie immer wieder. Aber es gebe eben kein Gespräch, monieren sie, keine Toleranz, keine erkennbare Logik, wer es übertrieben hat und wer sich noch im tolerierbaren Rahmen bewegt.
Für diese Menschen, denen Corona mindestens ein Jahr ihrer Jugendzeit geraubt hat, in denen sie ihre Grenzen und die der Gesellschaft testen wollen, ist die Polizei kein Freund und Helfer mehr. Weil Freunde und Helfer keine Schlagstöcke und Pfeffersprays in der Hand haben.