Feiern wie damals – oder ganz anders
Viktorianische Teehäuser, stylische Rockcafés und verwinkelte Mini-Bars: Wir stellen die besten Retro-Lokale in München vor.
Münchens Ruf als Schicki-Micki-Metropole hält sich hartnäckig. Doch in Wirklichkeit ergeht es den Nachtschwärmern kaum anders als den Shoppern, Studenten und Zuagroasten: Das Angebot ist so vielfältig wie die Interessen – mindestens.
Wer sich auf einen Kaffee oder auf einen Cocktail verabreden will, auf den warten hochgestylte Ausgeh-Tempel ebenso wie urige Kaschemmen. Aber in der heutigen Ära des "Anything goes“ wächst mit der Beliebigkeit der Gegenwart auch das Interesse an Jahren und Jahrzehnten – das 68er-Jubiläum zeigt es deutlich –, die einen klaren Stil hatten, eindeutige Zeichen oder gar verhärtete Fronten.
Für den Einen mag es Neugier sein, ein Hauch von Abenteuer womöglich, sich in eine American Bar zu begeben, die nach dem US-Präsidenten benannt ist, der 1933 die Prohibition aufhob. Lässt sich anderswo die Halbe in lindgrünen Plüschsesseln genauso cool genießen wie auf edel designten Metallstühlen? Und wie schmeckt der Tee, wenn englischer Adel von Ölgemälden herabschaut?
Um ehrlich zu sein: den meisten wohl auch nicht anders. Sich aber von der Atmosphäre der viktorianischen Ära umwehen zu lassen oder die drollige Autorität 70 Jahre alter Krämerladenregale aufzunehmen – all das hat seinen eigenen, besonderen Charme. Retro-Ausgehen kann eine Zeitreise sein oder ein Aufruf zur Subversion: In der wilden Hippie-Bar schmeckt die spießige Apfelschorle gleich nochmal so gut, und in Omas Café wackeln die Wände besonders schön. Auf diesen Seiten zeigen wir Ihnen, wo Sie in München feiern und entspannen können wie damals – oder eben ganz anders.
Tim Slagman
Stilvoll trinken wie Roosevelt
Franklin D. Roosevelt war es, der in den 30er-Jahren in den USA die Prohibitions-Gesetze nichtig machte und sich nach der Unterschrift erstmal ordentlich einen genehmigt haben soll – und dem Namensgeber wird im Lehel alle Ehre gemacht. In der eleganten, klassischen American Bar reicht man vor allem Hochprozentiges über den Tresen, das sich rein preislich im oberen Münchner Mittelfeld bewegt. Die Qualität der Cocktails allerdings ist hier einsame Spitze, getoppt höchstens noch von der phänomenalen Auswahl an Rum-Sorten, von denen die Roosevelt-Bar in einer separaten Karte über 200 auflistet. Stilistisch eng an den von dunklen Farben und edlem Holz bestimmten Chic der Vorbilder aus den Metropolen der Ostküste angelegt, lockt die Bar ein gemischtes Publikum unter die Schwingen ihrer großen Deckenventilatoren. Für den kleinen Hunger gibt es Hawaii-Toast, Oliven oder Currywurst. Und Zigarrenfreunde dürfen sich in dem Raucherclub beim Besten bedienen, was die Karibik zu bieten hat.
Roosevelt-Bar, Thierschplatz 5, Tel.: 21 57 83 00, Mo. bis Do. von 18 Uhr bis 1 Uhr, Fr. und Sa. bis 2 Uhr geöffnet
Party bis in die Puppen
Das "Johannis“ ist weit über Haidhausen hinaus legendär geworden. Weil sich hier seit den 50er-Jahren so gut wie gar nichts geändert zu haben scheint – vor allem nicht die Einrichtung mit allerlei Nippes wie dem Stoffeselkopf an der Wand, der riesigen Motivtapete einer Gebirgslandschaft und dem Einsatz von Tischdecken wie zu Großvaters Zeiten. Weil es hier Aventinus-Bier gibt und Schinkennudeln oder Schnitzel zu moderaten Preisen. Und nicht zuletzt, weil hier meistens noch was geht, wenn andere Kneipen in der Umgebung längst ihre Türen geschlossen haben. Ab halb zwei ist es an Wochenenden manchmal brechend voll, dafür begrüßt Wirt Olaf, der seit 1991 die Geschicke des "Johannis“ lenkt, manchen Stammgast noch per Handschlag. In der Nachbarschaft des Hofbräukellers wartet so die perfekte Melange aus Familienbetrieb und Feier-Kult.
St. Johannis-Café, Johannisplatz 15, Tel. 4801240, Mi. bis Mo. von 11 Uhr bis in den frühen Morgen geöffnet, Di. Ruhetag
Ein verstecktes Kleinod
Das größte Abenteuer ist das Hineinkommen: Die Anbindung ist mäßig, die Anmeldung zum Raucherclub und den eigenen Schlüssel holt man sich in der Kneipe gegenüber. Dann kann der Spaß aber losgehen: Nahezu jeden Abend steht ein DJ an den Plattentellern, während das legere, entspannte Publikum sich durch die reichhaltige Spirituosenkarte von Cocktails über Longdrinks und sehr empfehlenswerte Weine bis hin zum Beck's probiert. Zu Essen gibt es höchstens mal Toast oder Chips, die Einrichtung ist schlicht und gemütlich. Nicht nur Discokugeln und DJ-Pult, auch das schummrige Grün-Orange rund um den Barbereich und die Gestaltung der Wände lassen einen Hauch der 70er-Jahre durch die kleine Kneipe wehen. Von Zeit zu Zeit gibt es witzige Themenabende – von der "Bad Taste Party“ bis zum Klapprad-Treffen.
Valentinstüberl, Dreimühlenstr. 28, Tel. 76 75 70 58, So. bis Mo. von 18 Uhr bis 1 Uhr, Fr. und Sa. bis 2 Uhr geöffnet
Kaffeehaus trifft Szene-Lokal
An der Grenze zwischen Maxvorstadt und Schwabing, in unmittelbarer Nachbarschaft der Riesenschnitzel der Gaststätte Steinheil, ist das Jasmin ein Blickfang – und das nicht nur wegen der großen Glasscheibe, die zum Hineinschauen einlädt. Pastellfarben gestrichene Wände, ausgepolsterte Türen und die legendären Sofas und Sessel erinnern an die 50er-Jahre. Von dem Mief dieses Jahrzehnts jedoch keine Spur: Studenten mit Britpop-Wuschelkopf und geschniegelte Geschäftsleute im Anzug, die auf dem Tisch ihren Laptop aufklappen, genehmigen sich kleinere Snacks, einen Kaffee oder ein Tegernseer. So wie hier die Geschmäcker und Stile der Gäste aufeinander treffen, gibt es zum Entspannungsflair auch eine zünftige Theke mit Spiegel und Flaschenmeer. Sehr zu empfehlen sind die Torten und Kuchen, die ein wenig mehr von der Kaffeehaus-Atmosphäre verströmen, der sich das Lokal im Gründungsjahr 1952 noch voll und ganz gewidmet hat. Ein Schritt in Richtung Szene-Lokal ist mittlerweile gemacht, freilich ohne die eigenen Wurzeln zu verleugnen.
Café Jasmin, Steinheilstr. 20, Tel. 45 22 74 06, tgl. von 10 bis 1 Uhr geöffnet
Kaffeegenuss in käuflicher Atmosphäre
Mancher Laden muss sich die Atmosphäre und den Reiz der Vergangenheit mühsam zusammenkaufen – im Ladencafé Marais, benannt nach einem urigen Stadtteil von Paris, war alles schon da. Früher befand sich hier das Kaufhaus Mier im Westend, nun gibt es seit Dezember 2006 in der alten Einrichtung des Bekleidungs- und Kurzwarenhauses Kaffee, Afri Cola, Tee und Gerichte für zwischendurch. Spätaufsteher bekommen noch bis 15 Uhr Frühstück. Der Clou: Im Marais sitzt man nicht nur zwischen Antiquitäten und Krimskrams aus dem Bestand des seligen Mier-Kaufhauses, sondern kann auch manche der Möbel gleich mit nach Hause nehmen. Schmuck, Hüte und andere Accessoires stehen zum Verkauf – und als ob das noch nicht genügen würde, lässt sich bei einem Überdruss an Gemütlichkeit auch die turbulente Show von "Dr. Döblingers geschmackvollem Kasperltheater“ ins Marais buchen.
Ladencafé Marais, Parkstr. 2, Tel. 50 09 45 52, Di. bis Sa. 8 Uhr bis 20 Uhr, So 10 Uhr bis 20 Uhr geöffnet
Friedensaktivisten und Szenepublikum
Die Hoover und Floyd’s Minibar, 2005 von der Moderatorin und Schauspielerin Andrea Sokol gegründet, setzt auf Gemütlichkeit und Wohnzimmer-Atmosphäre. Der tun die ägyptische Anrichte und die Backsteinwand im Rücken des einzig wirklich großen Tisches direkt vor der Theke keinen Abbruch. Im Ohrensessel nebenan sieht man bis tief in die Nacht noch ergraute Friedensaktivisten im Strickpulli Zeitung lesen, während das Szenepublikum des Glockenbachviertels sich zum Vorglühen in den verwinkelten Eckchen der Minibar zusammenfindet. Das Sandwich oder ein wechselndes Tagesgericht schmecken auch zwischen dem wilden und sympathischen Patchwork aus farbigen Polstern, Teppich und dunklem Holz. Einzigartig ist hier nicht nur die Einrichtung, sondern die Möglichkeit zum lässigen Abhängen – am Wochenende auch mal über die Öffnungszeiten hinaus.
Hoover und Floyd's Minibar, Ickstattstr. 2, Tel. 26 94 90 15, Mo. bis Fr. von 8 Uhr bis 24 Uhr, Sa. und So. ab 10 Uhr geöffnet
Earl Grey in edlem Porzellan
Ein wenig gelassener als im Starbucks, aber genauso ambitioniert geht es in Brown's Tea Bar zu. Über 70 Teesorten stehen zur Auswahl – in losen Blättern natürlich, Papiertütchen kommen im Univiertel nicht in die Tasse. Dazu werden nach Wunsch Kuchen nach englischem Rezept oder „Scones“ (englische Teebrötchen) gereicht. Der Ableger des Victorian House am Viktualienmarkt sieht auch so aus, wie es der Firmenname verspricht: Landestypische Antiquitäten säumen den kurzen Weg zu den Tischen, schwere Ölgemälde flößen Ehrfurcht ein, edles Porzellan lässt die Hände zittern, die sogleich von einem kräftigen Earl Grey oder Cherry Dream beruhigt werden. Zu den größten Trümpfen bei Brown's gehört – neben dem leckeren Schokoladenkuchen – vor allem die Freundlichkeit des Personals.
Brown's Tea Bar, Türkenstr. 60, Tel. 25 54 38 39, Mo. bis Fr. 9.30 Uhr bis 19.30 Uhr, Sa. 9.30 Uhr bis 19 Uhr, sonn- und feiertags von 13 Uhr bis 18.30 Uhr geöffnet
Flower-Power vor dem Kamin
Zum Schluss wird’s noch ein wenig stylisher: Kein Wunder, liegt das Freebird doch im Herzen Schwabings, sozusagen in der Mitte zwischen elegantem Szenepublikum und studentischer Lockerheit. Die Gäste fläzen sich auf Couch und Sesseln, genießen den Mix aus zeitgenössischer Einrichtung und stilsicher zusammengestelltem Mobiliar aus den 60ern und 70ern, während sie in die Flower-Power-Tapete oder einen erdigen Rocksong versinken – immerhin ist die Bar nach einem Stück der Südstaaten-Helden Lynyrd Skynyrd benannt. Weniger klassisch, dafür umso raffinierter ist die überschaubare Auswahl an Gerichten. Und schlichtweg einmalig ist die heimelige Atmosphäre, die der offene Kamin schafft. Apropos Feuer: Von Donnerstag bis Samstag genießen ab 23 Uhr die "Freebird Friends“ einen tiefen Lungenzug unter Gleichgesinnten, und wenn in ein paar Monaten mal wieder die Sonne brennt, lädt die charmante Mini-Terrasse zum Erholen ein.
Freebird, Nordendstr. 12, Tel.27374520, Di - So ab 18 Uhr, Mo. Ruhetag
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