Fast jeder fünfte Münchner von Armut bedroht

München - Wenn in Deutschland von Menschen geredet wird, die armutsgefährdet sind, dann meint man Personen, deren Haushaltsnettoeinkommen weniger als 60 Prozent des deutschlandweiten Mittelwerts entspricht. Doch eine solche allgemeine Rechnung wird der realen Situation vor Ort nicht immer gerecht. Besonders in München täuscht dieser Mittelwert über die tatsächliche Problematik hinweg.
Denn wie jeder Münchner aus eigener Erfahrung bestätigen kann, bekommt man in der bayerischen Landeshauptstadt für einen Euro weitaus weniger zu kaufen, als beispielsweise auf dem bayerischen Land. So sind die Lebenshaltungskosten nach einer Untersuchung des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) in München, der teuersten Region Deutschlands, um 37 Prozent höher als in Tirschenreuth, dem preisgünstigsten Kreis.
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In konkrete Zahlen umgerechnet, offenbart sich das Problem sehr deutlich, wie das Kölner Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in seiner aktuellen Studie "Regionale Armut" belegt: In München ist ein Single noch bis zu einem Einkommen von 1.106 Euro im Monat kaufkraftarm, während ein Alleinstehender in Tirschenreuth bereits bei einem Monatseinkommen von 818 Euro nicht mehr zu den Kaufkraftarmen zählt.
Den innerbayerischen Vergleich München – Tirschenreuth bezeichnen die Wissenschaftler als "das extremste Beispiel" innerhalb ihrer Studie. Diese sogenannte "Kaufkraftarmut" macht aus München damit einen "regionalen Brennpunkt" und lässt die Armutszahlen in einem weitaus dramatischeren Licht erscheinen, als bislang offiziell kommuniziert.
Besonders in den großen Städten leben armutsgefährdete Bevölkerungsgruppen
Das Institut der deutschen Wirtschaft errechnet nach dem Kaufkraft-Schlüssel einen Anteil von 18 Prozent der Münchner Bevölkerung, der akut gefährdet ist, in die Armut abzurutschen. Demnach ist also fast jeder fünfte Münchner, der ein eigenes Einkommen bezieht, der Gefahr ausgesetzt, dass dieses nicht ausreicht, um davon den Lebensunterhalt zu bestreiten.
Ein Grund für diese Entwicklung ist laut den Wissenschaftlern des IW die anhaltende Landflucht. Personengruppen mit erhöhter Armutsgefährdung sind demnach Alleinerziehende, Alleinstehende, Personen mit Migrationshintergrund und Arbeitslose. Und genau diese Personengruppen machen in den großen Städten wie München mittlerweile fast zwei Drittel der Bevölkerung aus, in eher ländlichen Gebieten aber nur knapp die Hälfte.
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Die Wissenschaftler fordern daher von der Politik Maßnahmen, die insbesondere diesen Personengruppen zugutekommen: "Regionale Fördermaßnahmen sollten besser mit einer Politik für die besonders armutsgefährdeten Gruppen verzahnt werden, etwa durch Bildungsmaßnahmen für Geringqualifizierte und Migranten […] Gelänge es beispielsweise durch eine verbesserte Integration und durch einen Ausbau der qualifizierten Ganztagsbetreuung das Einkommen dieser Personengruppen an das der übrigen Bevölkerung heranzuführen, würde vor allem in den Städten das Einkommensniveau ansteigen und die Einkommensungleichheit sinken."
Interessantes Detail der Studie: Wenn man die Bundesländer als Ganzes betrachtet ist die Kaufkraftarmut-Quote im Freistaat Bayern mit 12,3 Prozent bundesweit am niedrigsten. Die vielen starken ländlichen Regionen gleichen die schlechten Münchner Werte insgesamt gesehen wieder aus. Ob das einen Münchner Geringverdiener trösten kann, sei allerdings dahingestellt.