Fast 1000 Euro für Kitaplatz in München: "Das ist ein Wahnsinn"

München - Endlich scheint die Sonne, die Kinder toben im Garten, die Eltern ratschen, tauschen sich aus. Eigentlich wirkt alles recht fröhlich und entspannt, als die AZ in der Kita Die Seepferdchen in Sendling vorbeischaut. Doch der Anlass für den Besuch ist ein ernster. Die Eltern sind besorgt – und aufgebracht. Ihre Wut richtet sich gegen die Stadt.
Das neue Fördersystem der Stadt für Kinderbetreuungseinrichtungen, das der Stadtrat im Februar beschlossen hat, bedeutet für sie ein ernstes Problem. Möglicherweise sind sie ab September, wenn das neue Betreuungsjahr beginnt, mit weit höheren Kitabeiträgen konfrontiert.
Für Familien, die über 80.000 Euro jährliches Haushaltseinkommen haben, kostet beispielsweise der Krippenplatz bei den Seepferdchen für eine Betreuung von täglich sieben Stunden derzeit 111 Euro pro Monat zuzüglich einer Verpflegungspauschale von 125 Euro, also insgesamt 236 Euro, erklärt Caroline Jäger, eine der Geschäftsführerinnen der Seepferdchen GmbH. "Das ist natürlich supergünstig", so Jäger. "Aber das ist ja auch gut so. So werden Familien, die in München ohnehin wahnsinnig hohe Lebenshaltungskosten haben, entlastet."
Kita-Gebühren in München: Die Beiträge pro Platz müssten steigen – um mehrere hundert Euro
Möglich wird dieser günstige Beitrag durch die Förderung der Stadt. Fällt diese weg, müssten die Beiträge steigen. Für sieben Stunden in der Krippe wäre man künftig inklusive Verpflegung bei 870 Euro, so Jäger.

Einige der betroffenen Familien haben für sich bereits durchgerechnet, wie sich solch deutlich höhere Kita-Kosten auf ihre Finanzen auswirken würden. "Wir können das schon irgendwie aufbringen", sagt etwa Dennis Fischer, dessen Kind bei den Seepferdchen an der Lipowskystraße in die Krippe geht. "Aber das geht dann von unserer Altersvorsorge ab." So oder ähnlich geht es den meisten. "Das Geld fehlt den Familien dann an anderer Stelle", sagt Michael Karmann, ebenfalls Vater eines Krippenkindes.
Ärger um neues Kita-Fördersystem in München: "Es trifft wieder einmal die Frauen"
Und die Konsequenzen sind noch weitreichender: "Wir müssen uns dann überlegen, ob sich das Teilzeitgehalt meiner Frau überhaupt noch lohnt", erklärt etwa Maximilian Tieffenbach, ein weiterer Vater aus der Runde. "Der Elternteil, der weniger arbeitet, bleibt dann zu Hause", sagt Katalin Tieffenbach, "und das sind eben leider oft die Mütter. Es trifft also wieder mal die Frauen." Dennis Fischer fasst es zusammen: Die Neuregelung sei im Grunde "eine Herdprämie durch die Hintertür". "Schade, dass man sich im Jahr 2024 solche Gedanken machen muss", sagt auch Jennifer Blume, Elternbeirätin bei den Seepferdchen. Auch sie muss sich überlegen, ob sie sich die höheren Beiträge leisten kann. "Ich finde es traurig, dass mein Sohn dann aus seinem Umfeld gerissen wird, wo er gut eingewöhnt ist, weg von seinen Freunden."
Einfach Kita wechseln? So leicht ist das nicht
Was können die Familien also tun? Einfach die Einrichtung wechseln, in eine, die am neuen Fördersystem teilnimmt? "Wir haben uns jetzt natürlich auf andere Plätze beworben", sagt Tieffenbach, "machen uns aber keine großen Hoffnungen". Tatsächlich dürfte das so leicht nicht sein. Gerade endete die Bewerbungsfrist für das kommende Betreuungsjahr. Wer einmal in München einen Kitaplatz gesucht hat, weiß, oft kommen Hunderte Bewerber auf verfügbare Plätze im nur ein- oder zweistelligen Bereich.
Dass jede Familie, die einen Betreuungsplatz benötigt, auch einen bekommt, sollte unter anderem auch der Rechtsanspruch sichern, der für Kinder zwischen einem und drei Jahren seit 2013 besteht. Doch "warum kostet der die einen ein kleines Vermögen und die anderen kaum etwas? Wo bleibt da der Gleichheitsgrundsatz?", fragt Michael Karmann.
Die Stadt verweist hier auf die Möglichkeiten der Unterstützung über die sogenannte Wirtschaftliche Jugendhilfe (WJH). Nach diversen Protesten gegen das neue Fördersystem hat sie zudem eine eigene Beratungsstelle, ein Online-Berechnungs-Tool und weitere Online-Services eingerichtet.
Die betroffenen Seepferdchen-Eltern erwarten sich auch davon wenig. Sie fürchten, dass gerade mittelständische Familien mit nur einem Kind hier wenig Hilfe bekommen können. Das System gehe an der Realität von Kleinfamilien in der teuren Großstadt vorbei. "In München ist man am besten wirklich bedürftig, dann wird man gut unterstützt - oder finanziell so aufgestellt, dass einen 1000 bis 2000 Euro für Kinderbetreuung im Monat kalt lassen", sagt einer.
Dazu kommt: Nicht alle wollen das. "Ich finde es schwierig, dass man zum Amt geschickt wird", sagt Jennifer Blume. "Ich bin und war immer stolz darauf, finanziell auf eigenen Beinen zu stehen."
Ein Gericht kippte die bisherige Förderpraxis in München – im Herbst 2021
Die Stadt, die verpflichtet war, ihre Förderpraxis zu überarbeiten – ein Gericht kippte die sogenannte Münchner Förderformel 2021 – sieht eher die Kitaträger in der Pflicht. Er könne nicht nachvollziehen, wie es zu Gebührenerhöhungen von bis zu 1000 Euro kommen könne, hatte OB Dieter Reiter (SPD) vergangene Woche mitgeteilt und an die Träger appelliert, sich dem neuen System anzuschließen.
"Das System ist unausgegoren"
Dass die Stadt den Schwarzen Peter den Trägern zuschiebt, ärgert Caroline Jäger. "Die Stadt spielt Eltern und Träger gegeneinander aus", sagt sie. "Dieses System ist nicht ausgegoren. Die Stadt hat es in einem Hauruckverfahren durchgezogen." Und: "Sie hat uns auch nicht gehört." Es sei nicht nachzuvollziehen, warum das alles auf den Schultern der Eltern ausgetragen werde.
Auch der Ton der Debatte sei teils irritierend gewesen. "Es geht hier nicht darum, dass wir alle im Ferrari vorfahren", sagt Jäger. Und auch nicht darum, "dass wir nur auf Gewinne aus sind. Ich will einfach nur qualitätsvolle Arbeit machen und meine Verwaltung finanzieren können – und ich möchte niedrige Beiträge für die Eltern", sagt sie. "Ich weiß, dass es eine Katastrophe ist für die Familien, wenn die plötzlich fast 1000 Euro für einen Kitaplatz zahlen müssen", sagt sie. "Das ist ein Wahnsinn."
Neun Kitas betreibt die Seepferdchen GmbH in München und stellt damit gut 400 Kitaplätze, die meisten im Krippenbereich. Die Kita in der Lipowskystraße ist die größte und einzige, zu der auch ein Kindergarten mit 50 Plätzen gehört. Erst 2021 habe man die Räume "in miserablem Zustand" von einem anderen Träger übernommen. "Wir haben 250.000 Euro in Umbau und Renovierung gesteckt." Die Summe sei natürlich noch nicht abbezahlt. "Das kann ich nur mit einem Überschuss aus dem laufenden Betrieb finanzieren", so Jäger.
Krise im Kita-Markt – Kampf um gute Erzieherinnen
Ein Hauptproblem im neuen System, dem sogenannten Defizitausgleichsverfahren, sei etwa die zu knapp bemessene Verwaltungskostenpauschale. Caroline Jäger erklärt, die Stadt habe in München seit 20 Jahren die privaten Träger gefördert. Diese hätten viele Krippenplätze geschaffen und so der Stadt geholfen, den Rechtsanspruch zu erfüllen. In diesen 20 Jahren habe man sich als Unternehmen auf dem Markt aufstellen dürfen, und selbst entscheiden können, wie viel Geld man wofür ausgibt.
Jäger erklärt, sie habe, wie viele private Träger umfassendere Verwaltungsstrukturen als städtische Einrichtungen – auch weil man den einzelnen Kitaleitungen Aufgaben wie Personalakquise, Abrechnungen und Belegung abnimmt. Der Verwaltungsaufwand für "Personalmarketing, Qualitätskontrolle und Weiterentwicklung" sei "wirklich sehr hoch und über die Jahre immer weiter gestiegen", so Jäger. "Es ist in München eine totale Krise im Kita-Markt. Ein Kampf um gute Erzieherinnen, um gute Fachkräfte. Wir haben hohe Krankenstände." Das Personal dafür könne sie so nicht bezahlen.
Eltern und Betreiber hoffen, dass nochmal nachgebessert wird
Die "naheliegendste Konsequenz" wäre schon, aus der städtischen Förderung auszusteigen, erklärt Jäger. Entschieden ist dies bei den Seepferdchen-Kitas aber noch nicht. "Wir sind noch am Rechnen. Und wir haben die neuen Förderrichtlinien noch in der Überprüfung."

Hochpreisig werden, das will sie eigentlich unbedingt vermeiden. Und sie betont: "Ich will überhaupt nicht eine Elite-Kita werden. Ich will einfach eine sehr gute Betreuung für kleine Kinder machen und ich wünsche mir Eltern aus allen Schichten, die bei uns zufrieden sind." Caroline Jäger und die Seepferdchen-Eltern hoffen nun. dass sich das Problem wenigstens mittelfristig löst – indem die Stadt in näherer Zukunft noch einmal nachbessert.