Fasching ganz unten

Feldmoching - Wo die Basis feiert, ist’s am schönsten: Rund 150 Faschingsfans haben im Feldmochinger Pfarrsaal die 5. Jahreszeit gefeiert. An Großstadt erinnert hier kaum etwas.
Das Schnitzel lappt ein wenig über den Tellerrand, die Portion Kartoffelsalat könnte einen Menschen mit einem sensiblen Magen bange werden lassen. Doch Georg Kraft macht seinem Namen alle Ehre. Er ist ein stattliches Mannsbild, das schon einiges vertragen kann. Bedächtig schneidet er Stück für Stück vom Fleisch und gabelt die Kartoffeln mit gebührender Ernsthaftigkeit weg. Er kümmert sich nicht um das hektische Treiben. Jetzt wird gegessen – gleich muss er eine Rede halten, da würde Hunger nur hinderlich sein.
Kraft ist der Vorsitzende des Feldmochinger Trachtenvereins „Riadastoana“, und der lässt’s an diesem Abend krachen. Wie jedes Jahr richtet der Verein einen Faschingsball aus. Und wie jedes Jahr ist der Saal neben der Kirche Sankt Peter und Paul gut gefüllt. 150 Narren aus dem Münchner Norden haben sich aufgebrezelt und zehn Euro Eintritt an der Kasse gelassen.
Gleich ist’s acht, die Gaudi mag beginnen. Feldmoching, Kerngemeinde des Stadtteils mit der Nummer 24, Feldmoching-Hasenbergl: Auf einer Gesamtfläche von 2900 Hektar leben rund 56000 Menschen (Tendenz steigend) in 25000 Haushalten. Es praktizieren 57 Ärzte, 17 Zahnärzte, es gibt 16 Schulen (kein Gymnasium), 22 Sportanlagen (kein Hallenoder Freibad), in den sechs Hotels werden jährlich 22000 Übernachtungen registriert. Feldmoching wurde im sechsten Jahrhundert gegründet, hatte seit 700 eine eigene Kirche und verlor seine Bedeutung mit dem Bau von Schloss Schleissheim im Jahr 1599. Bis 1938 war der Ort eigenständig, dann wurde er zum Stadtteil Münchens.
Wie ein oberbayerisches Dorf
„Wir sind ein Dorf geblieben“ sagt Georg Kraft. Vom Schnitzel liegt ein kärglicher Rest auf dem Teller, der Kartoffelsalat ist alle. Hinter Kraft kichern zwei Schönheiten in weißen Einteilern und haben rote Wangen. Unverhohlen gucken sie zu einem Tisch, an dem junge Burschen nach dem Abendessen den gemütlichen Teil des Abends angehen. „Da gibt es noch Bauern, der Ortskern sieht aus wie ein oberbayerisches Dorf. Da kannst vergessen, dass du in der Großstadt bist.“
Kraft ist selbst Bauer. Getreide, Mais, Heu. Der Boden ist mittelprächtig, am besten wächst alles in der Nähe der Regattastrecke. Kraft hat viel zu tun, und alle müssen mit anpacken: Vater Georg, Mutter Rosl, Frau Hannelore und die Söhne Georg und Florian. Aber trotz der Arbeit hat Kraft zugesagt, als man ihm 2000 das Amt des Vorsitzenden antrug. Da war er schon 31 Jahre im Verein (benannt nach einem Berg oberhalb des Tegernsees) und hatte diverse Faschingsbälle durchgestanden. Als Bub beim Kinderfasching, wo man die ersten Tanzschritte wagte. Als junger Bursch, der den Dirndln auch schon mal den Hof machte und im Fasching fünfe gerade sein ließ. Nach der Hochzeit mit 20 als Jungbauer, der in der narrischen Zeit vor allem die sozialen Kontakte pflegte. Und jetzt als Vorsitzender des Trachtenvereins, dessen Jahres-Höhepunkte Reisen (man war schon auf Mallorca, in Frankreich, Schottland, Japan), die Teilnahme amTrachten- und Schützenzug zur Wiesn und der Faschingsball sind.
Es wird nicht gesoffen und nicht gefrauf
„Früher“, sagt Kraft, „war mehr los. Die Leute haben nicht mehr so viel Geld, und der Fasching ist nicht mehr so attraktiv.“ Immerhin hat er es wieder geschafft, den Saal an der Feldmochinger Straße zu füllen. Jetzt muss er aber auf die Bühne, sagt er und schiebt den leeren Teller zur Seite. Die Ballkönigin und zwei Begleiter haben einen Sketch beendet, nun ist Kraft mit seinem Vortrag dran. Eigentlich wollte er sich ja noch vorbereiten, doch jetzt muss er ein wenig improvisieren. Macht nichts, kleine Holperer verzeihen die Maschkera gern.
Es wird eine schöne Nacht. Die „Red Roses“ mischen ihr Programm hervorragend. Nur ein Hit ist nicht im Repertoire: „Ein Stern“. Vor ein paar Monaten musste man einen Feuerwehrmann beerdigen, da spielte man das Lied am Grab. Jetzt möchte die Band damit keine düsteren Erinnerungen wecken. Denn der Ball der Feldmochinger Trachtler ist von jeher eine heiterfriedliche Veranstaltung. Es wird nicht gesoffen, bis man kollektiv durchs Koma taumelt – allenfalls holt man sich sein Räuscherl an der Bar im Keller ab. Und es wird nicht gerauft – es wird getanzt, getafelt, geratscht. Man hat genug zu besprechen. Zum Beispiel, wie weit die Arbeiten am neuen Maibaum sind, den der Gruber Franz bemalen und der Past Johannes mit einem soliden Fuß versehen wird. Oder der neueste Klatsch übers Dorf, in dem auf dem Gelände der Futterfabrik gebaut werden soll und am unwirtlichen Bahnhof ein Supermarkt, kleinere Läden und Wohnungen Leben in die Bude bringen sollen. Und man ratscht natürlich übers Rauchverbot, das alle im Saal klaglos hinnehmen. Dann gehen sie halt nach draußen und stehen in kleinen Gruppen gegenüber vom Friedhof und lüften die Köpfe in der eiskalten Luft aus.
Busseln in dunklen Ecken
Es ist weit nach Mitternacht, als die sechs Herren von den „Red Roses“ ihre Instrumente einpacken. Gut haben sie ihre Sache gemacht, die Tanzfläche war immer voll. Ein paar neue Paare haben sich gefunden und zum Busseln in dunkle Ecken verdrückt; die Menschen werden jetzt müde. Der Saal leert sich. Um zwei ist Schluss. Nur eine kleine Gruppe Trachtler will noch nicht ins Bett. Die Damen und Herren ziehen ein paar Häuser weiter zum Hof von Georg Kraft. Der hat in einem Nebengebäude einen großen Raum zum Vereinsheim umfunktioniert. Hier proben die Aktiven jeweils am Montag, hier lernt der Nachwuchs das Platteln.
Jetzt wird ein starker Kaffee gebrüht, es kommt Kuchen auf den Tisch. Die Menschen sind zufrieden. War doch ein schöner Abend! Bis um fünf in der Früh’ sitzen sie zusammen und unterhalten sich. Sie vereinbaren ein Treffen um zehn Uhr – schließlich muss der Saal gesäubert werden (es werden sich sechs Müllsäcke mit allem füllen, was bei einer gelungenen 150-Personen-Party so anfällt).
Und dann ist schon in Feldmoching Straßenfasching. Die Trachtler sind natürlich am dritten Februar auch mit einem Standl vertreten.MitMohrenkopf- Kanone, trockenen Kuchen, Kaffee, Bier und „Riadastoana spezial“. Hernach kommt der ganze Faschingskrempel in einen Lagerraum, Frau Kraft hat noch ein paar Waschmaschinen mit Geschirrtüchern, Deckchen und Ähnlichem zu füllen. Eine Woche drauf diskutiert der Bezirksausschuss, ob es ein Geld gibt für den Straßenfasching 2008. Dann hat’s sich ein Jahr lang mit der Narretei. Nicht für den Feldmochinger Ober-„Riadastoana“. „Jaja“, sagt Georg Kraft mit seiner tiefen ruhigen Stimme. „Nach dem Fasching ist vor dem Fasching. Es hört nicht auf. Ich habe bei der Pfarrei schon den Saal für 2009 bestellt. Wir feiern am 6. Februar.“ Na bitte! Da freut man sich doch schon heute.
Detlef Vetten